Jahrgang 2025 Nummer 13

Eine Hochburg der Lebensfreude

125 Jahre Münchner Künstlerhaus: Wie es wurde, was es heute is

»München, Künstlerhaus und Synagoge«, Bildpostkarte (Farblithographie) 1909. (Fotos: Hans Gärtner)
Malerfürst und Gründungsvater Franz von Lenbach, Ölgemälde von Franz von Defregger 1904.
Holz-Stele der Münchner Bildhauerschülerin Lisa Hörer: »Oma Berta«, im Hof 2013 ausgestellt.

Auch wenn ein Konzert-Programm »Chopin & Champagner« geheißen hätte, wäre die Frage »Und wo bleibt der Champagner?« im Münchner Herkulessaal nicht gestellt worden. Im Festsaal des Münchner Künstlerhauses aber war, nein: ist das eben etwas ganz anderes. Da gehörte am 24. November 2023 der Champagner zum Konzert der Pianisten Johannes Obermeier und Shinyoung Lee ganz selbstverständlich dazu. Zwischen zwei Konzert-Teilen floss wirklich Champagner. Und zwar für Künstler und Publikum. Das Saal-Mobiliar war im Nu für ein Prosit umgestellt. Der Applaus galt den Künstlern nicht weniger als dem generösen Veranstalter.

So unkonventionell ist das schon immer im Münchner Künstlerhaus Usus, wo Kunst jeglicher Art in einer Atmosphäre der Lebensfreude blüht. Und das seit genau 125 Jahren. Am 29. März des Jahres 1900 wurde das vom Architekten Gabriel von Seidl entworfene und von den Münchner Malerfürsten um Franz von Lenbach initiierte Gebäude im Neorenaissance-Stil mitten in der Stadt, unweit von Hauptsynagoge und Frauenkirche, feierlich eingeweiht. Es sollte laut Urkunden-Text, »allen Künstlern Münchens ein Sammelplatz sein, ein Mittelpunkt für Frohsinn, Rat und ernste Tat«. Der Kunststadt München war ein eigenes Vereinshaus angemessen. »Einzelne Künstlergruppen hatten längst ihre Vereinslokale, wie die Künstlergesellschaft 'Allotria', deren Vorsitz Franz von Lenbach … seit 1879 innehatte«, ist in Neumann-Adrians Münchner Stadtführer »Architektur und Kunst« (Reclam 2009) zu lesen. Wilhelm Busch schrieb zur Einweihung ein Festspiel, Richard Strauss eine Hymne.

Ein Festsaal für 270 Kunst-Fans

Elf Jahre später übernahm das Haus der Künstlerhaus-Verein, 27 Jahre darauf die »NS-Kameradschaft der Künstler«. Das Hauptgebäude brannte 1944 fast ganz aus, US-Besatzer zogen in ein Kasino ein, erst 1955 stand es den Künstlerinnen und Künstlern wieder zur Verfügung. Es sollte Jahre dauern, bis die von den beiden Weltkriegen geschlagenen Wunden verheilt waren. 1960 wurde unter Architekt Erwin Schleich das Haupthaus wieder hergestellt, das der Wittelsbacher Herzog Albrecht einweihte. Während das »Venezianische Zimmer«, ein innenarchitektonisches Juwel, erhalten geblieben war, musste der 270 Personen fassende Festsaal und weitere »Zimmer«, benannt nach Ferdinand von Miller oder Lenbach, erneuert werden. »Feste feiern oder in der Lithographenwerkstatt arbeiten, Vorträge halten, die Räume für Firmenveranstaltungen oder Familientreffen mieten, Theaterspielen oder in den Büros arbeiten – so steht das Künstlerhaus heute vielen offen«, so die Neumann-Adrians. 1967 verpachtete man das Künstlerhaus an das Hotel Bayerischer Hof, um es an die Mövenpick-Kette »weiterzureichen«.

Die beiden legendären Grassingers

Voller Elan und Kunstsinn trat das heute bereits legendäre Ehepaar Peter und Maja Grassinger auf den Plan – die Retter des Künstlerhauses in den 1990er Jahren. Das historische Haus konnte unter seiner umsichtigen, künstlerisch ambitionierten »Regierung« in jeder Hinsicht wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden. Am 1. Oktober 1961 war das Münchner Künstlerhaus bereits ein zweites Mal feierlich eröffnet worden. Effi Horn schrieb: »Gabriel von Seidls eleganter Bau … ist wieder durchströmt von Leben, Farben und Bewegung. Das reizvolle Bild des Türmchen-geschmückten Renaissancegiebels… ist nicht mehr bloße Schaupackung trauriger Zerstörung, seit die traditionsreichen Festräume im alten Glanz wieder ausgebaut… werden konnten.«

Seither gibt es wieder an diesem »Ort für Kunst und Geselligkeit…im Sinne der Gründerväter … Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Vorträge, Theateraufführungen, Bälle und Bankette«, so Brigitta Rambeck in dem von ihr und den Grassingers herausgegebenen, reich illustrierten Band »110 Jahre Münchner Künstlerhaus 1900 bis 2010«. Da wird dann von einer »dritten Eröffnung des Künstlerhauses« gesprochen. Das »frisch restaurierte Haus« konnte am 23. Oktober 1998 zum Eröffnungs-Festakt betreten werden. »Nach der Sanierung und Wiederherstellung… kann der Münchner Künstlerhaus-Verein e. V. als Eigner und Besitzer … neue Pläne und Aktivitäten entwickeln«. Durchweg junge Menschen agierten – geradezu programmatisch – am darauf folgenden »Tag der offenen Tür« bei Figurentheater und Saitenmusik.

Zur Feier seiner »pompösen« Gründung vor 100 Jahren habe, so der am 13. Dezember 2024 mit 96 Jahren verstorbene, Münchner Star-Journalist Karl Stankiewitz in seinem mit »Die befreite Muse« betitelten Rückblick auf »Münchner Kunstszenen ab 1945« (München 2013), das Künstlerhaus »die Malerei, Bildnerei und Innenarchitektur der Gründerzeit noch einmal aufleben« lassen. Der Ausstellungsraum, einem großbürgerlichen Salon ähnlich, hatte »internationale Bewunderung erregt«: »Säulenportale mit dem deutschen Adler im Giebel, Kassettendecke, dicke Teppiche…, Diwans, Clubsessel, Bücher, Grafiken und Lithographien auf Marmortischen, üppiges Pflanzengrün, viel Oberlicht… An den Wänden… Ölgemälde der Kunstprominenz« wie Lenbach, Kaulbach, Achenbach, Böcklin, Franz von Defregger…« An dessen wenige Tage nach dem Tod seines Freundes Franz von Lenbach geschaffener Kopie seines Selbstbildnisses geht der heutige Besucher des Künstlerhauses geradezu katzenbuckelnd vorbei.

Ein neues Konzept in der »Oase im Getriebe der Münchner Innenstadt« musste angegangen werden. Für alle sollte ein Kunstraum geschaffen werden, »in dem Exponate in- und ausländischer, zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler im Wechsel von jeweils mehreren Monaten in Ruhe betrachtet werden können« – sowollte es der letzte Präsident Peter Grassinger (1992 bis 2006), der, selbst ein wandelbarerwunderbarer Künstler, für unterschiedliche künstlerische Strömungen eintrat.Er starb 2019 mit 93 Jahren, seine Gattin Maja, auf die 2006 das Präsidenten-Amt übergegangen war, folgte ihm vier Jahre später, sie wurde 86 Jahre alt.

Die Klientel verändert sich

Das eingangs skizzierte Chopin-Konzert ging noch auf Maja Grassingers überaus verdienstvolles Konto. »Mit ihrer warmherzigen Leidenschaft vermochte sie die Menschen für Kunst und Kultur zu begeistern und – europaweit – miteinander zu verbinden. Sie besaß ein feines Gespür, junge Talente zu entdecken und zu fördern«, formulierten Vorstand, Stiftungsrat und Kuratorium der Münchner Künstlerhaus-Stiftung in Verehrung ihrer Ehren-Präsidentin, einer Trägerin der Medaille »München leuchtet« in Gold.

Die den halben Sommer 2024 hindurch für Spaziergänger im Hof des Künstlerhauses aufgebaute Ausstellung »Rendezvous aus Holz und Stein« wird in bester Erinnerung an Maja Grassinger bleiben, die sie fraglos mit organisiert hatte, aber nicht mehr erleben konnte. Schülerinnen und Schüler aus Münchens »Bildhauerschulen« verbreiteten mit Windspielen und Stelen-Skulpturen Heiterkeit und Frohsinn. Jedes Stück dieser Freilicht-Sonderschau erzählte seine Geschichte. Lustig ist die von der »zwidanen« Oma Berta, die Lina Hörer zu ihrem zwei Meter hohen Kunstwerk erfand. Oma verstieg sich in einem Baum, blieb an einer Astgabel hängen und verpasste so einen wichtigen Termin. »Jetzt ist sie zwida / und geht diesen Weg nie wieder«.

Die Klientel des Münchner Künstlerhauses verändert sich noch weiter. Seit 2021 stehen Birgit Gottschalk und Jennifer Ruhland dafür ein. Kinder aus bildungsfernen Kreisen dürfen, um nur ein Beispiel anzuführen, 2025 nach museumspädagogisch frischer Methodik Kunst nicht nur anschauen, sondern auch berühren. So will es das jüngste Projekt des Künstlerhauses, genannt »Kinder Fantasievoll«. Lehrkräfte führen Kinder interaktiv durch das historische Gebäude. Mit »Elena Janker« können sich Interessierte austauschen. Sie ist Gründerin von »little ART e. V.«, einer im Münchner Künstlerhaus ansässigen, unabhängigen Non-Profit-Organisation und verfolgt die »Mission, Menschen den Zugang zu ihrer eigenen Kreativität und emotionalen Balance zu öffnen«. So in einer rezenten Beschreibung eines ambitionierten Projekts.

Das nun 125 Jahre alte Münchner Künstlerhaus schlägt jugendlich beschwingte Wege der Kunstvermittlung ein. Solche Wege haben der prachtvoll-altehrwürdigen Münchner Hochburg der Lebensfreude noch gefehlt. Ad multos annos!

 

Hans Gärtner

 

13/2025