Jahrgang 2024 Nummer 31

»Ein Tag ohne Schreiben ist kein Tag für mich«

Am 3. August wird Roswitha Gruber 85 Jahre alt und bringt einen Bestseller nach dem anderen heraus

Roswitha Gruber und ihr Walter Johannes sind seit 62 Jahren glücklich verheiratet.
Roswitha Grubers Schreibwerkstatt.
Dutzende DIN A4-Seiten werden zuerst handschriftlich gefüllt, bevor sie in den Laptop übertragen werden und dann zum Verlag gehen.
Zwei ihrer Geschichten die Roswitha Gruber besonders berührt hatten: »Hanni, eine Schweizer Bergbäuerin« und »Aloisia, eine Hebamme spielt Schicksal«.
Seit über 25 Jahren leben die Grubers in dem 600 Jahre alten Bauernhaus auf 800 Metern Höhe über Reit im Winkl.

Ihr Arbeitszimmer ist winzig, ein kleines Fenster, viele alte Bilder an der Wand, Dutzende Ordner mit handgeschriebenen Seiten, ein alter Schreibtisch, dahinter eine große Ahnentafel, zwei gemütliche Sessel, ein kleiner Tisch und ein Fax-Gerät: es ist das Herzstück im Bauernhaus hoch über Reit im Winkl, in dem Erfolgs-Autorin Roswitha Gruber einen Bestseller nach dem anderen schreibt und im Rosenheimer Verlagshaus Klaus G. Förg herausbringt. Am 3. August wird sie 85, aber von Schreib-Müdigkeit keine Spur. Die ehemalige Lehrerin hat noch große Pläne, will noch ihre Familiengeschichte herausbringen. Ein Wunsch, den sie schon seit 20 Jahren hegt. »Ich hoffe, dass mir der liebe Gott noch lange den Bleistift in der Hand lässt und ich noch viele Bücher schreiben kann, zwei pro Jahr ist weiterhin das Ziel«, sagt die gebürtige Triererin, die seit 62 Jahren mit ihrem Walter Johannes glücklich verheiratet ist, 18-mal umgezogen ist und nach dem Motto lebt: »Ein Tag ohne Schreiben ist kein Tag für mich!« Immerhin: Die Geschichte ihrer Schwiegermutter ist fertig, kommt am 15. September auf den Markt. Der Titel: »Die Gelübde der Sammerbäuerin«.

Auch diese Geschichte der Schwiegermutter wird, wie alle ihre Texte, überaus spannend erzählt. In einem kleinen Dorf am Fuße der Alpen, wächst Sofie auf, Jahrgang 1908, wohl behütet in einer sehr musikalischen Bauernfamilie. Im Alter von 25 Jahren lernt sie ihren Hans kennen, ihre ganz große Liebe. Doch der Vater wehrt sich vehement gegen die Ehe der beiden. Das bringt Sofie so weit, dass sie ein Gelübde ablegt, falls Hans ihr Mann werden sollte. Ihr Herzenswunsch geht in Erfüllung und als Hans im Zweiten Weltkrieg in großer Gefahr schwebt, legt Sofie ein zweites Gelübde ab. Gruber verrät dann noch: »Im Lauf der Zeit muss sie jedoch erkennen, dass sich ihre Gott gegebenen Versprechen nicht einhalten lassen.« Und am Ende steht die Frage: »Wie soll sie mit sich und der Welt wieder ins Reine kommen?«

Aktuell schreibt Gruber schon wieder am nächsten Buch. Es heißt: »Das Geheimnis der Waldbäuerin«. Es geht um eine Bäuerin im Pinzgau, auf die Gruber über einen Bekannten, den sie Hans nennt, gestoßen ist. Aufgeschrieben wurde ihre Geschichte vor sieben Jahren. »Die Frau ist leider schon verstorben, ich bin nie zum Schreiben gekommen, hatte so viele andere Themen«, erzählt sie. Vom Besuch 2017 aber sei sie höchst beeindruckt gewesen. Die Dame, damals schon 90, habe erzählt und erzählt, am Ende seien genau acht handschriftliche Seiten herausgekommen. Ein zweiter Besuch sei wegen Corona gescheitert. »Aber ich hatte noch so viele offene Fragen«, erklärt Gruber, die von ihrer Geschichte fasziniert war. Also nahm sie Kontakt mit der Enkelin auf und suchte das Pitztal erneut auf. Alle offenen Fragen bekamen Antworten. Und so steht einem neuen Bestseller nichts im Wege.

Ihren Rosenheimer Verleger Klaus G. Förg hatte Gruber vor über 30 Jahren auf der Frankfurter Buchmesse kennengelernt. Er hatte seinen Stand zufällig neben ihrem. Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits einige Bücher in anderen Verlagen herausgebracht mit den Titeln »Die Zeit, die dir bleibt«, ein Sachbuch. Es folgte: »Ehemann ade, aber wie?«, die Geschichte einer Klassenkameradin von Gruber, die ihr berichtete, welche Mühe es doch koste, den Ehemann wieder los zu werden. Und schließlich brachte sie noch »Die tugendsame Richterin« und »Die entflohene Nonne« heraus, alles wahre Geschichten, die aber offenbar niemanden interessierten, denn die Verkaufszahlen blieben im Keller.

Förg blätterte in den Büchern, las das ein und anderen Kapitel und war durchaus angetan, was Gruber bislang veröffentlicht hat. »Ich habe mir gedacht, die Frau kann ja richtig schreiben. So sind wir ins Gespräch und später auch ins Geschäft gekommen«, erzählt der Rosenheimer Verleger. Was folgte, ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Mit Großmütter-Geschichten eroberten Förg und Gruber zunächst die Leserschaft. Gleich beim ersten Buch seien die Verkaufszahlen durch die Decke gegangen. 40 Bücher sind bis heute auf dem Markt mit einer Auflage von über 600 000 Stück. »Das ist unglaublich«, schwärmt Förg, für den Roswitha Gruber die absolute Lieblingsautorin ist. »Bei meinem Vater war es der Münchner Turmschreiber Helmut Zöpfl, bei mir ist es Roswitha«, erklärt Förg.

Der Rosenheimer Verlagschef lobt Gruber auch in höchsten Tönen: »Sie ist unglaublich fleißig, sympathisch, nett und absolut zuverlässig und sie liefert immer pünktlich ab.« Zwei Bücher von ihr kämen jedes Jahr auf den Markt, von einigen gäbe es eine vierte, fünfte oder sechste Auflage. Gefragt seien vor allem die Großmütter-Bücher, sieben habe sie schon geschrieben. Vom ersten allein seien 30 000 Stück verkauft worden. »Vor allem in Seniorenheimen sind sie sehr gefragt«, weiß Gruber. Aber es habe auch schon mal Kritik am Verleger gegeben. So sei der Titel »Sehnsucht nach Liebe« eher ein Flop gewesen. Hier ging es um eine Heiratsvermittlerin, die tagelang erzählen konnte. »Die Geschichte war spannend, aber wir hatten den falschen Titel und das falsche Cover. Es hätte heißen müssen: 'Eine Heiratsvermittlerin packt aus'«, so Gruber.

Schreiben konnte Roswitha Gruber schon immer. »Meine Lehrer haben gestöhnt und gesagt, deine Aufsätze sind ja die reinsten Romane«, erinnert sich die Erfolgs-Autorin. Sie hätten aber nur deshalb gejammert, weil sie es nicht gewohnt waren, so lange Aufsätze zu korrigieren. Aber es habe immer Einser oder Zweier für den Inhalt gegeben. Sie selbst sei ja auch 37 Jahre lang Lehrerin gewesen. Heute gesteht sie: »Die kürzeren Aufsätze waren mir lieber, da war ich schneller fertig.« Als sie ihre ersten Sätze zu Papier bringen wollte, war das mangels Papier in der schwierigen Nachkriegszeit gar nicht so leicht. »Meine ersten schriftstellerischen Versuche habe ich auf Zeitungsrändern und Kalenderblätter-Rückseiten gemacht«, erinnert sie sich.

Schon im Alter von 15 Jahren habe sie mit dem ersten Liebesroman begonnen. »Zu dem Zeitpunkt war ich aber noch nie verliebt und hatte auch noch keinen Kuss bekommen. So bin ich über die ersten beiden Kapitel nicht hinausgekommen«, witzelt die Autorin. Und: »Ich habe das Manuskript dann in eine Schublade gelegt und mir gesagt, mit dem Schreiben zu warten, bis ich einschlägige Erfahrungen gesammelt habe.« Das mit dem Schreiben aber dauerte und dauerte. Als Lehrerin war sie nämlich voll berufstätig, hatte Ehemann, zwei Kinder (Jahrgänge 1963 und 1965), Haus und Garten. Aber sie konnte immer schon gut zuhören. Und vom Gehörten habe sie sich Notizen gemacht, diese in Aktenordnern gesammelt und könne heute noch davon profitieren, denn all ihre Geschichten beruhen auf wahren Begebenheiten.

Von den vielen Frauenschicksalen, mit denen sie Zeit ihres Lebens konfrontiert wurde, habe sie für ihre Bücher bewusst solche Frauen ausgewählt, die sich nicht nach dem Motto: Das war schon immer so – in das vermeintlich Unabänderliche fügen. »Meine Heldinnen sind tatkräftige Persönlichkeiten, die sich ihren Platz im Leben erkämpfen – und das gegen mancherlei Widerstände«, berichtet Gruber. Sie wolle den Frauen Mut machen, ihre eigenen Bedürfnisse anzumelden und mehr für sich selbst zu tun. Das sei vor 30 Jahren schon so gewesen, das sei aber auch heute noch der Fall. Und wie kommt sie zu all den Geschichten? »Das geht über Bekannte, die einen Bekannten haben, die wieder einen Bekannten haben und dann heißt es recherchieren«, lächelt sie.

Zwei ihrer Geschichten hätten sie besonders berührt, »Hanni, eine Schweizer Bergbäuerin« und »Aloisia, eine Hebamme spielt Schicksal«. Hanni, eine Magd aus dem Kanton Uri, habe den Witwer ihrer älteren Schwester geheiratet, den sie gar nicht liebte. Der Bergbauer habe eine Mutter für sein Kind und eine Bäuerin am Hof gebraucht. Aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft habe sich eine tiefe Liebe entwickelt, aus der im Laufe der Zeit zwölf Kinder hervorgingen, darunter vier Zwillingspaare. »Das Leben der Familie ist von großer Armut, harter Arbeit und vielen Schicksalsschlägen geprägt. Aber unerschütterliches Gottvertrauen und die tiefe Zuneigung der Eheleute lassen sie alle Schwierigkeiten meistern«, erklärt Gruber, die auch immer wieder darauf hinweist, dass alles, wie in den Büchern beschrieben, so stattgefunden habe und nichts erfunden sei.

Gleiches gelte für »Aloisia«. Hier seien im Kreißsaal einer kleinen Münchner Klinik zweiFrauen gleichzeitig in den Wehen gelegen. Bei beiden habe sich eine komplizierte Geburt angekündigt, bei der es um Leben und Tod ging. Hebamme Aloisia fühlte sich überfordert, doch da die herbeigerufenen Ärzte nicht rechtzeitig eintrafen, habe sie sich auf sich ganz alleine gestellt zum Handeln gezwungen gesehen. Ihre eigenmächtige Entscheidung mit der sie schicksalhaft in das Leben eingreift, habe für lange Zeit ihr Gewissen belastet. »Erst als sie 94 Jahre alt ist, kommt die Wahrheit durch einen sonderbaren Zufall ans Tageslicht«, so Gruber. Die eine Frau habe nämlich Zwillinge bekommen und gejammert, was sie mit zwei Kindern machen soll, die andere habe ihr siebtes Kind bekommen. Sie hatte nur Töchter und alle daheim bekommen. Aber das Kind sei tot auf die Welt gekommen. Daraufhin habe die Hebamme die Kinder vertauscht. Und eines von den Zwillingen der anderen Frau gegeben.

Kennengelernt hatten sich die Grubers übrigens in Trier bei der Wohnungssuche. Der Vater von Roswitha Gruber war Lehrer im nahen Konz, bekam eine Rektoren-Stelle in Trier, also zog die Großfamilie mit insgesamt sechs Kindern, von denen drei heute noch leben, in die Stadt. Und im gleichen Haus wohnte Walter, ein Musiker und Theaterspieler. »Es hat dann gleich gefunkt«, erinnert sich Roswitha. Heute sind sie 62 Jahre verheiratet, haben zwei Kinder, vier Enkel und vier Urenkel. Mit 88 ist auch Herr Gruber noch überaus aktiv, spielt die Orgel in den Kirchen in Reit im Winkl, in Ober- und Unterwössen, Schleching, Siegsdorf, Ruhpolding, Inzell und im benachbarten Österreich in Kössen. »Ich spiele Feuerwehr, wenn man mich braucht, bin ich da«, sagt Herr Gruber, der übrigens auch ein Buch veröffentlicht hat, lange vor dem ersten seiner Frau. Der Titel: »...und auf einmal kannst du fliegen«.

Seit über 25 Jahren leben die Grubers in dem 600 Jahre alten Bauernhaus auf 800 Metern Höhe über Reit im Winkl, eine knappe Stunde Gehweg vom Ortskern entfernt und nur knappe 50 Meter von der österreichischen Grenze weg. Dutzende Objekte habe man besichtigt, bis man hier in »Bichl« fündig geworden sei. »Oberbayern musste es sein, denn mein Mann kommt aus einem kleinen Dorf exakt zwischen München und Ingolstadt«, erzählt Gruber. Um zum Bauernhof zu gelangen geht es durch den Reit im Winkler Golfplatz. Die Bälle fliegen nur etwa 100 Meter entfernt vom Bauernhaus. Aber die Gegend ist traumhaft, nach Birnbach sind es über den Golfplatz 25 Minuten, zur Hutzenalm auf knapp 1000 Metern ist es eine gute Stunde und zum Taubensee über die Stoibermoseralm in 1200 Metern Höhe drei Stunden.

Kurios: Das Buch »Das Geheimnis der Waldbäuerin«, das im Frühjahr 2025 erscheinen wird, ist das erste, das nicht komplett im Arbeitszimmer im Bauernhaus entstanden ist. Einen Großteil schrieb Roswitha Gruber in einem Wohnwagen in der Nähe von Wiesbaden. Dort haben die Grubers heute noch ein Grundstück, auf dem ein uralter Wohnwagen steht. Und während ihr Mann draußen mit Bäumezersägen beschäftigt war und für Ordnung sorgte, wurden Dutzende DIN A4-Seiten handschriftlich gefüllt. Jede Zeile wird nämlich bei ihr zunächst per Hand geschrieben, geht dann in den Laptop und dann erst zum Verlag. »Aber bei jedem Wechsel werden kräftig Änderungen vorgenommen«, erzählt Roswitha Gruber, die sich für ihren 85. nichts Besonderes vorgenommen hat. Wahrscheinlich wird sie schreiben...!

 

Karlheinz Kas

 

31/2024