Jahrgang 2022 Nummer 31

Ein genialer Maler und Kosmopolit der darstellenden Kunst

Das Ruhpoldinger Heimatmuseum präsentiert Werke von Johann Georg von Dillis – Teil I

Georg von Dillis, Maler und Königlicher Galerie-Direktor, 1831.
Elterliches Jagerhaus mit Obstgarten, Radierung.
König Ludwig I. als Zweijähriger, Ausschnitt Medaillon.
Aquarell »Mädchen in der Pfarrey Pfarrkirchen«.

Für Museumsleiter, Ausstellungs-Kuratoren, Galeristen und dergleichen ist es sicher keine leichte Aufgabe, Jahr für Jahr neue, attraktive Exponate und Schaustücke an Land zu ziehen, um stetig die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auf sich zu lenken. Das fordert schon der Wettbewerb untereinander und gleichzeitig hat man ja ein Auge auf die Besucherzahlen, die es zu steigern gilt. Von solchen Bemühungen können große Häuser in den Metropolen genauso ein Lied singen wie ihre weitaus kleineren Pendants in den ländlichen Regionen. Nicht so in der Gemeinde Ruhpolding.

Das Bartholomäus-Schmucker-Heimatmuseum im Herzoglichen Jagdschloss der Wittelsbacher ist derzeit in der glücklichen Lage, gleich zwei interessante »Hingucker« präsentieren zu können. Zum einen ist hier seit gut drei Jahren der in die historische Jagd-Geschichte eingegangene »Ruhpoldinger Bär« zu besichtigen, der 1835 im Gebiet der Schwarzachen-Alm als letztes in Bayern umherstreifendes Exemplar erlegt wurde. Zum anderen widmet sich gleich im Anschluss an den eigens geschaffenen »Bären-Raum« eine kleine, aber feine Ausstellung dem Schaffen eines genialen Zeichners und Landschaftsmalers, der zu den bedeutendsten Vertretern seinesGenres im19. Jahrhundert zählt: Johann Georg von Dillis.

Annäherung an den Künstler

Wie bitte: Dillis – wer? Diese spontane Frage wird sich vermutlich ein Großteil unserer Leserschaft stellen, die sich ganz unbedarft mit dem etwas ungewöhnlichen Namen konfrontiert sehen. Schließlich geht es hier nicht um einschlägige Malerfürsten wie Franz Defregger, Wilhelm Leibl oder Franz von Lenbach – allesamt bekannte Vertreter der sogenannten Münchner Schule, zu der eben Johann Georg von Dillis genauso zählt wie Heinrich Bürkel. Übrigens: Der pathetischen Neigung Heinrich Bürkels (1802 bis 1869) verdanken wir das Gemälde »Rückkehr von der Bärenjagd«, das als lebensgroße Reproduktion die Szene des einstigen Jagderfolgs im Bärenraum veranschaulicht. Aber das nur am Rande.

Für das Multitalent von Dillis spricht die Tatsache, dass die künstlerische Eigenschaft des Malens und Zeichnens nur eine von vielen Facetten dieses außergewöhnlichen Mannes umreißt, der aus einfachen Verhältnissen stammt und der es doch zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten für die Entwicklung Münchens als Kunst- und Museumsstadt brachte.

Weniger als Künstler selbst, dafür in Personalunion in seinen Funktionen als Kunsthistoriker, Sammler, Berater und Sachverständiger in Diensten des bayerischen Königshauses. Allein schon aus diesem Grund ist es wert, seine überaus interessante Vita etwas näher zu durchleuchten. Was wiederum an diesem Punkt eine zweite Frage auftauchen lässt: Was, bitteschön, hat Johann Georg von Dillis mit Ruhpolding zu tun? Und warum werden ausgerechnet im örtlichen Heimatmuseum ausgewählte Nachdrucke von ihm ausgestellt? Nun, das beruht sowohl auf einem tierischen wie auch menschlichen Hintergrund.

Ein jüngerer Bruder des Malers nämlich, Joseph Dillis (geboren 1776), war zu jener Zeit im Ruhpoldinger Revier als königlich-bayerischer Forstmeister eingesetzt, und so lässt es sich leicht erklären, dass es den Kunstsinnigen mehrmals in das Miesenbacher Tal zog, um, fasziniert von der waldreichen Gebirgslandschaft, ausgiebig seiner Mal-Leidenschaft zu frönen. Fügung oder Zufall: Ausgerechnet in Josef Dillis' lange Dienstzeit (ganze 36 Jahre) fiel 1835 die erfolgreiche Jagd auf den Ruhpoldinger Braunbären. Wenngleich sich Bär und Maler damals nicht direkt in die Quere kamen – im Rahmen der Ausstellung haben sie nun, nach fast zwei Jahrhunderten und jeder auf seine Weise, ein Platzerl nebeneinander gefunden und sind so für kleine und große Besucher präsent.

Dass diese ungewöhnliche Kombination zustande kam, dafür hat sich das geschichts- und kunstbegeisterte Ehepaar Doris Wünsche- Schmucker und Jörg Wünsche in der jüngsten Vergangenheit starkgemacht. So ist es der Hartnäckigkeit der Enkelin des Heimatmuseums-Gründers Bartholomäus Schmucker zu verdanken, dass nach längerem Tauziehen mit der Zoologischen Staatssammlung sowie dem Museum »Mensch und Natur« Meister Petz wieder in voller Größe und in lebensechter Haltung zu bestaunen ist.

Und auch Jörg Wünsche war nicht untätig. Durch seine eigene Passion in Sachen Malerei mittlerweile kein Unbekannter mehr, blieb ihm im Rahmen seiner Recherchen die gemeinsame Abstammung der Dillis-Brüder nicht verborgen und so ergab eins das andere. Im Zuge seiner Nachforschungen kam er mit Martina Christoph aus Inzell, der Dillis-Nichte in sechster Generation in Kontakt, die sich seit langem mit der interessanten Geschichte der Dillis-Familien-Dynastie befasst.

Einen umfassenden Einblick liefert auch die umfangreiche Biographie »Johann Georg von Dillis – Familie – Leben – Schaffen«, die der Kreisverein für Heimatschutz und Denkmalpflege Landkreis Erding e. V. im Jahr 2015 herausgegeben hat. Sie diente dem Verfasser als hauptsächliche Grundlage für diesen Beitrag.

Herkunft und frühe Zeit

Johann Georg Dillis erblickte am Stefanitag, den 26. Dezember 1759 in der Einöde Gmain bei Schwindkirchen, Gemeinde Dorfen (heute Landkreis Erding) das Licht der Welt. Als ältester Sohn der Eheleute Wolfgang und Elisabeth, denen der Herrgott elf Kinder schenkte, verbrachte er die ersten sechs Jahre seiner Kindheit in einem von ländlicher Idylle umgebenen Elternhaus, einem großen »Jager«-Haushalt mit Ehalten, Gesinde und Haustieren. Wohl lag es in der Natur der Sache, dass ihn der Vater als Jäger und Förster im churfürstlichen Dienst schon früh auf dem Gang durchs Revier mitnahm und dabei, mehr oder weniger unbewusst, den Grundstein für die ausgeprägte Beobachtungsgabe seines Sohnes legte, die sich später in meisterlicher Manier entfalten sollte.

Doch der behüteten Kindheit war keine lange Dauer beschieden. Kurfürst Maximilian III. Joseph (regierte 1745 bis 1777), ein leidenschaftlicher Jäger wie vor und nach ihm zahlreiche Wittelsbacher Herrscher, weilte öfter im »Haager Revier« des Wolfgang Dillis. Wie es heißt, war ihm der Kurfürst offenbar zugetan »…wegen seiner erprobten Treue und des geraden Charakters.« Während eines seiner Jagdbesuche lernte er den sechsjährigen Georg kennen und ermöglichte ihm, wie auch manch anderen Kindern seiner Bediensteten, eine Ausbildung in München auf Kosten der Kabinettskasse. Ab 1767 kam Georg an die Schule der Jesuiten, wo er eine solide humanistischhellenistische Ausbildung genoss und nebenbei den Unterricht an der »Zeichnungs Schule respektive Maler- und Bildhauer academie« besuchte.

Als 1777 Kurfürst Max III. Joseph überraschend starb, zerplatzte allerdings für ihn der Traum von der bereits zugesagten Maler-Ausbildung in Rom, zumal dessen Nachfolger Karl Theodor aus der pfalzgräflichen Linie eine andere Schiene fuhr und den zugesicherten »Gnadengehalt aus der Kabinettskassa « mit einer einmaligen Abfindung besiegelte. Finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet, studierte Dillis daraufhin an der Landesuniversität in Ingolstadt Philosophie und Theologie, absolvierte am »Collegium Albertinum« seine praktische Ausbildung und wurde am 21. Dezember 1782 zum Priester geweiht.Während des Studiumswar er, wie viele seiner Mitstudenten,mit den vom Klerus misstrauisch beäugten Ideen der Aufklärung in Kontakt gekommen.

Auch ihm hatten es die Ideale des 1778 erneuerten »Illuminatenordens« mit dem hehren Ziel angetan, ohne Gewalt eine freie und gleiche Gesellschaft zu schaffen, so dass er in die Loge eintrat und es bis zur zweiten Hierarchie-Stufe »Minerval-Jünger« (von Minerva – römische Göttin der Weisheit) brachte. Ob seine Mitgliedschaft oder andere Gründe letztlich ausschlaggebend waren dafür, dass er als Neupriester vom Freisinger Bischof abgewiesen wurde und keine bezahlte Stelle im Kirchendienst erhielt, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Jedenfalls bedeutete die Enthebung seiner seelsorgerischen Tätigkeit, die er offenbar nie ausübte, für ihn eine existenzielle Zäsur in seinem Leben.

Hochadel und Kunst-Reisen

Angesichts dieser klerikalen Entscheidung zog es ihn wieder nach München zurück,wo er erneut in den Illuminaten-Orden eintrat, durch diesen auch finanzielle Unterstützung fand und, entbunden von der Seelsorgepflicht, intensive Studien in der Landschaftsmalerei betreiben konnte. Bald wurde der bürgerliche Adel auf den hochtalentierten und gebildeten Zeichner aufmerksam und so unterrichtete er als Hauslehrer die Sprösslinge von hochgestellten Familien, wie der von Arentins, von Stengels und von Kobells. Durch deren Verbindung (gab es damals schon Vitamin B?) eröffnete sich ihm der Zugang zum kurfürstlichen Hof, wo er ab 1786 Zeichenlehrer für die Pagen wurde.

Schon seit der Renaissance hatte Zeichnen im Rahmen der Prinzenerziehung und in gehobenen Kreisen einen hohen erzieherischen Wert. Sein zeichnerisches Können, sein geistiges Fundament sowie seine Sprachkenntnisse beeindruckten selbst Sir Benjamin Thomson (1753 bis 1814), den späteren Graf Rumford, der ihn als Zeichenlehrer für seine Tochter Sally engagierte und ihm neben Exkursionen »in die interessantesten Gegenden des baierischen Gebirges« Studien-Reisen nach Dresden, Prag und Wien ermöglichte. Thomson's Aufgabe zu jener Zeit bestand darin, als erfindungsreicher Militärexperte und Sozialreformer (Errichtung von Armenhäusern, Suppenküchen, Rumford-Suppe) die Reorganisation der desolaten bayerischen Armee voranzutreiben. Man darf annehmen, dass für diese Aufgabe der Adjudant und Kammerherr in Münchner Diensten beileibe nicht über ein so kommod ausgestattetes »Sondervermögen« verfügen konnte wie das aktuell beschlossene für unsere Bundeswehr. Wie dem auch sei: Dank seiner Kontakte zu höher gestellten Kreisen ergaben sich in der Folgezeit für Dillis weitere Reisen mit ausgedehnten Aufenthalten nach Salzburg, in die Schweiz, Frankreich und nach Italien, die dem lernbegierigen Autodidakten umfassende Einblicke in Maltechniken und -mittel sowie wissenschaftliche Erkenntnisse gewährten.

Entscheidende Impulse für seine künstlerische Arbeit ergaben sich 1805/1806 während eines Rom- Aufenthalts, als er bei Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835) Washington Allston (1779 bis 1843) kennenlernte und von der Malweise des englischen Romantikers William Turner (1775 bis 1851) erfuhr. In diese Epoche (1805/06) fiel auch das schicksalhafte Zusammentreffen in Paris zwischen dem 19-jährigen Kronprinzen Ludwig und dem mittlerweile zum Inspektor der Kurfürstlichen Bildergalerie am Hofgarten ernannten Förstersohn aus Schwindkirchen, der den Thronfolger schon im zarten Alter von zwei Jahren porträtiert hatte.

 

Ludwig Schick

 

Teil II in den Chiemgau-Blättern Nr. 32 vom 13. 8. 2022

 

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