Die Wallfahrt zum tänzelnden Jesuskind
Ein Spätwinter-Vormittag auf der Fraueninsel
»Macht dreifuchzig«, sagt der Billetteur des Passagierschiffs, das in Gstadt anlegt und keine zehn Minuten hinüber zur Fraueninsel braucht. »Euro aber«, ergänzt der Fahrscheinverkäufer hinter seiner Glasscheibe lächelnd. Natürlich Euro. Und hin und zurück. Wer will schon auf der Insel übernachten? Besser gefragt: Wer kann das schon? Ende Januar ist keine Touristenzeit. Quartiere gibt es da auf Frauenwörth praktisch keine. Sind die doch schon in der Hochsaison rar.
Die Mitreisenden auf dem kleinen Passagierschiff: durchwegs Rentnerinnen, Rentner. Eine einzige junge Frau, die ihren kurzhaarigen Schnauzer wie ein Baby trägt, als sie den Oststeg verlässt. Und der Wackerl darf gleich den Weg vom Klosterwirt aus linkerhand entlang springen. Die Mädchen und Buben der in die Benediktinerinnenabtei integrierten Franziska-Hager-Schule für individuelle Lernförderung toben sich vor der letzten Schulstunde an diesem sonnenflirrenden Dienstagvormittag in der Uferböschung des nah an das festgefügte, weißgekalkte, sich lang hinziehende Gebäude heranreichenden schilfbestandenen Chiemsees aus. Sie grölen nicht. Sie lärmen nicht. Sie benehmen sich anständig. Als ob sie’s gelernt hätten, auf die Inselbesucher Rücksicht zu nehmen.
Die kommen nach Frauenwörth, um ein paar ruhige Stunden zu genießen, rundumwandernd, neugierig in die kleinen, noch mit altem Laub verklebten Vorgärtchen zu schauen, in denen gelegentlich schon ein paar Stühle rund um einen Holztisch aufgestellt sind. Die Inselbewohner – mögen es fünfhundert sein, sehr viel mehr bestimmt nicht – zieht’s früh ins Freie, auch wenn das Jahr noch jung und der kalendarische Frühling noch ein Stückerl weit weg ist. Wer nicht draußen sitzen mag, weil er nicht als Tagedieb gelten will, der macht sich am Häuschen oder im Garten zu schaffen, schneidet Büsche zurecht, häuft Laub auf, schafft Scheitelholz ein. Beim Fischer Minisini mit dem klangvollen italienischen Namen wird regelrecht renoviert. Ein hübsch verglaster Anbau tut sich da in dem lauschigen Garten (wie man ihn vom letzten Sommer bei geräucherter Renke und Weißbier in guter Erinnerung hat) auf, und der mannshohe steinerne Papst Urban mit der dicken Traube auf dem Buch schaut grantig zu.
Nur wenige Insulaner halten einen nachbarlichen Ratsch. Wie der Stachelfischer Sebastian Lex. Sein Urgroßvater, erzählt er gut gelaunt, hat neben der Fischerei die Stachlerei betrieben, also hölzerne Fortbewegungsmittel für den zugefrorenen See gefertigt. Seit der Säkularisation 1803 hätten die 42 Häusln rund um das Kloster ihre Hofnamen erhalten, die heute noch erhalten sind und mit »... fischer« enden. Was das für Fischer seien, wird der Lex gefragt. Und er zählt ein paar auf, die dem ungeübten Ohr nicht verständlich sind. Chiemseerenken? Gibt’s jetzt um diese Jahreszeit nicht. »Die mög’n ma selber, schuan S«, sagt er mit einer liebevollen Entschuldigung im Ton.
Zwei gut genährte Katzen, getigert die eine, schwarz-weiß gefleckt die andere, streifen dem Besitzerpaar von »Fritzi’s Biergarten« um die Beine. Etwas vom Ufer entfernt erhebt sich ein steingefügtes kantiges Podest aus dem Wasser, dessen Mitte ein gestütztes dünnes Bäumchen bildet. Es ist der Ersatz, vom bayerischen Umweltminister Schnappauf höchstselbst seiner Bestimmung übergeben. »Vor zwei Jahren war das«, erfährt man vom »Fritzi«. Da hatte, man erinnert sich vage, die alte Trauerweide auf dem Eiland der Sturm umgeknickt. Der »Fritzi« kriegt feuchte Augen, wenn er an seine Kinderzeit denkt: »Fünf Jahr’ war ich damals grad, als mein Vater die Trauerweide gepflanzt hat, so dünn und so kurz wie ein Daumerling ist sie mir vorgekommen. Und gestanden ist sie fünfundsechzig Jahr’. Wie die meisten Weiden auf der Insel, die werden nicht viel älter. Die da vorne dicht am Ufer ist innen hohl. Beim nächsten Sturm haut sie’s um. Bei den Bäumen ist’s nicht viel anders als bei den Menschen ...«
Einkehren kann man nur vorne beim Klosterwirt, wo eine schöne neue hölzerne Treppe zur »Himmels-Pforte« hinaufführt. Die sonnenhungrigen und bierdurstigen Gäste aber bevorzugen es, an den Tischen im Freien zu sitzen und in das Himmelslicht zu blinzeln, das erstmals in diesem kalt und nass begonnenen Jahr 2002 wohlig warm strahlt. Da wagt es eine junge Blondine, sich kurzärmelig, den hübschen Kopf kühn in den Nacken geworfen, zu präsentieren und sich eine kühle Halbe zu gönnen. Wer weiß, wie’s morgen ausschaut ...! Die »Linde«, der Gasthof, der dem Münster am nächsten ist, steht im Mittagslicht stolz und hehr, die Pforten geschlossen. Auch der Inselwirt, den man nach ein paar Schritten durch die romanische Torhalle erreicht, hat dicht gemacht. Bis zum 25. April. »Dafür hatte er den ganzen Dezember bis Dreikönig auf«, kann man von einer Hiesigen, die enttäuschte Spaziergänger zu trösten versucht, im Vorbeigehen vernehmen. »Im Klosterladen? Naa, da gibt’s nix zum Essen. Höchstens was zum Trinken«, belehrt die Einheimische ihre Gesprächspartner und lacht dabei verschmitzt. Schon klar, was sie meint: den »Chiemseer Klosterlikör«, den »Magenbitter«, »Halbbitter«, »Wildfruchtlikör«, den »Chiemseer Klostergeist« – Spirituosen also, die als Reiseandenken – mit oder ohne Porzellankrügerl – auf jeden Fall daheim was hermachen. Einen Lebkuchen, einen Marzipan dazu – und man erntet Lob bei den Seinigen zu Hause. Soll nicht heißen, dass die Benediktinerinnen nicht in erster Linie fürs geistliche Wohl – mit zahlreichen Schriften und Büchern, Devotionalien und Wandschmuckstücken – sorgen.
Um 13 Uhr ist das Münster – nach iener Gebetspause für die Nonnen – wieder zugänglich. Keine Eile, in das fröstelnde Dunkel der altehrwürdigen, vor exakt 1120 Jahren vom Salzburger Bischof Virgil geweihten Inselkathedrale mit dem unverwechselbar gemütlichen Campanile (achteckige freistehende Kirchturm mit der runden Mütze, von der kürzlich beendeten Renovierung noch ganz schmuck und tadellos dastehend, ist das Wahrzeichen von Frauenchiemsee) hineinzukommen! Der Friedhof lädt zu einem besinnlichen Rundgang ein. Ganz im Eck: der »Wanderer Mensch«-Bildhauer Heinrich Kirchner. Seine Lebensdaten, die er seiner schönen Grabplatte eingrub. lassen erstaunen: 1902 geboren, 1984 gestorben. Also wird heuer der 100. Geburtstag dieses für den Chiemgau so bedeutenden, aus Erlangen stammenden und in Pavolding lange Jahre ansässigen Künstlers gefeiert. Seine Witwe, eine gebürtige Klampfleuthner, stammt aus der 1609 gegründeten berühmten und für ihre feine, nicht nur gut brauchbare, sondern auch lustig gearbeitete War’ weitum gerühmten Inseltöpferei. So mancher Frauenwörther Haushalt birgt wohl schöne Gegenstände aus dem traditionsreichen Handwerksbetrieb, dem Annemarie und Georg Klampfleuthner ihr heutiges Gepräge gaben: Uhren, Weidlinge, Krüge, Vasen, Windlichter, Figuren, Übertöpfe, Spiegelrahmen. Durch das gewölbte Schaufenster des – leider geschlossenen – Ladens direkt bei der kleinen Werkstatt sieht man Fische und Vögel, die die Haushaltswaren beleben. Kaum ein Inselanwesen, das nicht ein Klampfleuthner-Namensschild direkt neben der Eingangstür eingemörtelt hat: Hiebl und Lanzinger, Schmid oder Krautwurst. Und wie sie sonst noch heißen mögen, die die berühmten Toten auf ihrem kleinen Friedhof einst zu den Ihrigen zählten: Maler und Musiker, Professoren und Mediziner, Komponisten, Sänger und Schriftsteller. Auf dem einen oder anderen Grabhügel steht noch ein kerzen- und lamettageziertes Christbäumchen, das die Vorfrühlingssonne wunderlich umspielt.
Das größte Wunder von Frauenwörth, das diese gerade noch weihnachtliche Zeit preisgibt, ist hinter hohem Eisengitter am hinteren Ende des linken Münster-Seitenschiffes kunstvoll aufgebaut und durch einen elektrischen Lichtschalter eigenhändig zu beleuchten: die Frauenwörther Krippe. Fünf Tage noch – und sie wird von Schwester Katharina wieder, Figur für Figur, abgebaut. Eine liturgische Krippe ist sie, das Werk der Restauratorin Traudl Schulz-Dornburg, die die seit 1627 unter der Aegide der Äbtissin Magdalena Haidenbucher existente Krippe fachgerecht restaurierte. Nicht umsonst zählt sie zu den größten und schönsten bayerischen Krippen. Und jetzt, gerade kurz vor ihrem Abbau, ist sie am reichsten: alle Verkündigungsengel sind da, halten ihre Kreuzstäbe stolz wie Edelinge, gekleidet wie Prinzen und den drei Weisen aus dem Morgenlande mit ihrem Gefolge eine richtige Konkurrenz, selbst der Königin von Saba und dem König Salomon sind sie in ihren Prunkgewändern ebenbürtig.
Im Zentrum des Geschehens, das vor Hirtenvolk und Getier auf den Feldern und Wiesen rund um Bethlehems Stall nur so wurlt und wuselt: das hochheilige Kind: Ziel der spätwinterlich-vorfrühlingshaften Wallfahrt. Es tänzelt auf einer Wolke, ein Knäblein voller Wonne und Anmut, die Ärmchen dem Betrachter entgegenstreckend, seinen Eltern, den es förmlich der strohunterfütterten Krippe entlaufen ist, keine Beachtung mehr schenkend. Segnend und lächelnd geht es auf die Menschen zu, der Messias in Gestalt eines Bübchens, mit einem Mäntelchen aus weißer, goldgelitzter Seide lässig bekleidet, bereit, sich den Gelehrten im Tempel zu stellen.
Noch auf dem Schiff, das eine halbe Stunde später die Insel in Richtung Gstadt verlässt, tänzelt das Frauenwörther Jesuskind, jetzt in den weißen Wolken, die den gestochen blauen Himmel überziehen. »Die Fahrscheine, bitte!« Der Schaffner sagt’s leise, aber mit hart fordernder Stimme. »Lieber jetzt schon als erst beim Rausgehen«, erklärt er den verwunderten Mitreisenden zur Linken. »Da könnt’s passier’n, dass einem einer auskommt, der gar kein’n Fahrschein hat.« Wie es denn wäre, wenn das aufkäme, will der Mitreisende wissen. »Dös kostat dann halt – dreifuchzig. Aber Euro. Mir woll’n ja net ausg’schamt sein und Straf’ zahl’n lassen...«
HG
6/2002
Die Mitreisenden auf dem kleinen Passagierschiff: durchwegs Rentnerinnen, Rentner. Eine einzige junge Frau, die ihren kurzhaarigen Schnauzer wie ein Baby trägt, als sie den Oststeg verlässt. Und der Wackerl darf gleich den Weg vom Klosterwirt aus linkerhand entlang springen. Die Mädchen und Buben der in die Benediktinerinnenabtei integrierten Franziska-Hager-Schule für individuelle Lernförderung toben sich vor der letzten Schulstunde an diesem sonnenflirrenden Dienstagvormittag in der Uferböschung des nah an das festgefügte, weißgekalkte, sich lang hinziehende Gebäude heranreichenden schilfbestandenen Chiemsees aus. Sie grölen nicht. Sie lärmen nicht. Sie benehmen sich anständig. Als ob sie’s gelernt hätten, auf die Inselbesucher Rücksicht zu nehmen.
Die kommen nach Frauenwörth, um ein paar ruhige Stunden zu genießen, rundumwandernd, neugierig in die kleinen, noch mit altem Laub verklebten Vorgärtchen zu schauen, in denen gelegentlich schon ein paar Stühle rund um einen Holztisch aufgestellt sind. Die Inselbewohner – mögen es fünfhundert sein, sehr viel mehr bestimmt nicht – zieht’s früh ins Freie, auch wenn das Jahr noch jung und der kalendarische Frühling noch ein Stückerl weit weg ist. Wer nicht draußen sitzen mag, weil er nicht als Tagedieb gelten will, der macht sich am Häuschen oder im Garten zu schaffen, schneidet Büsche zurecht, häuft Laub auf, schafft Scheitelholz ein. Beim Fischer Minisini mit dem klangvollen italienischen Namen wird regelrecht renoviert. Ein hübsch verglaster Anbau tut sich da in dem lauschigen Garten (wie man ihn vom letzten Sommer bei geräucherter Renke und Weißbier in guter Erinnerung hat) auf, und der mannshohe steinerne Papst Urban mit der dicken Traube auf dem Buch schaut grantig zu.
Nur wenige Insulaner halten einen nachbarlichen Ratsch. Wie der Stachelfischer Sebastian Lex. Sein Urgroßvater, erzählt er gut gelaunt, hat neben der Fischerei die Stachlerei betrieben, also hölzerne Fortbewegungsmittel für den zugefrorenen See gefertigt. Seit der Säkularisation 1803 hätten die 42 Häusln rund um das Kloster ihre Hofnamen erhalten, die heute noch erhalten sind und mit »... fischer« enden. Was das für Fischer seien, wird der Lex gefragt. Und er zählt ein paar auf, die dem ungeübten Ohr nicht verständlich sind. Chiemseerenken? Gibt’s jetzt um diese Jahreszeit nicht. »Die mög’n ma selber, schuan S«, sagt er mit einer liebevollen Entschuldigung im Ton.
Zwei gut genährte Katzen, getigert die eine, schwarz-weiß gefleckt die andere, streifen dem Besitzerpaar von »Fritzi’s Biergarten« um die Beine. Etwas vom Ufer entfernt erhebt sich ein steingefügtes kantiges Podest aus dem Wasser, dessen Mitte ein gestütztes dünnes Bäumchen bildet. Es ist der Ersatz, vom bayerischen Umweltminister Schnappauf höchstselbst seiner Bestimmung übergeben. »Vor zwei Jahren war das«, erfährt man vom »Fritzi«. Da hatte, man erinnert sich vage, die alte Trauerweide auf dem Eiland der Sturm umgeknickt. Der »Fritzi« kriegt feuchte Augen, wenn er an seine Kinderzeit denkt: »Fünf Jahr’ war ich damals grad, als mein Vater die Trauerweide gepflanzt hat, so dünn und so kurz wie ein Daumerling ist sie mir vorgekommen. Und gestanden ist sie fünfundsechzig Jahr’. Wie die meisten Weiden auf der Insel, die werden nicht viel älter. Die da vorne dicht am Ufer ist innen hohl. Beim nächsten Sturm haut sie’s um. Bei den Bäumen ist’s nicht viel anders als bei den Menschen ...«
Einkehren kann man nur vorne beim Klosterwirt, wo eine schöne neue hölzerne Treppe zur »Himmels-Pforte« hinaufführt. Die sonnenhungrigen und bierdurstigen Gäste aber bevorzugen es, an den Tischen im Freien zu sitzen und in das Himmelslicht zu blinzeln, das erstmals in diesem kalt und nass begonnenen Jahr 2002 wohlig warm strahlt. Da wagt es eine junge Blondine, sich kurzärmelig, den hübschen Kopf kühn in den Nacken geworfen, zu präsentieren und sich eine kühle Halbe zu gönnen. Wer weiß, wie’s morgen ausschaut ...! Die »Linde«, der Gasthof, der dem Münster am nächsten ist, steht im Mittagslicht stolz und hehr, die Pforten geschlossen. Auch der Inselwirt, den man nach ein paar Schritten durch die romanische Torhalle erreicht, hat dicht gemacht. Bis zum 25. April. »Dafür hatte er den ganzen Dezember bis Dreikönig auf«, kann man von einer Hiesigen, die enttäuschte Spaziergänger zu trösten versucht, im Vorbeigehen vernehmen. »Im Klosterladen? Naa, da gibt’s nix zum Essen. Höchstens was zum Trinken«, belehrt die Einheimische ihre Gesprächspartner und lacht dabei verschmitzt. Schon klar, was sie meint: den »Chiemseer Klosterlikör«, den »Magenbitter«, »Halbbitter«, »Wildfruchtlikör«, den »Chiemseer Klostergeist« – Spirituosen also, die als Reiseandenken – mit oder ohne Porzellankrügerl – auf jeden Fall daheim was hermachen. Einen Lebkuchen, einen Marzipan dazu – und man erntet Lob bei den Seinigen zu Hause. Soll nicht heißen, dass die Benediktinerinnen nicht in erster Linie fürs geistliche Wohl – mit zahlreichen Schriften und Büchern, Devotionalien und Wandschmuckstücken – sorgen.
Um 13 Uhr ist das Münster – nach iener Gebetspause für die Nonnen – wieder zugänglich. Keine Eile, in das fröstelnde Dunkel der altehrwürdigen, vor exakt 1120 Jahren vom Salzburger Bischof Virgil geweihten Inselkathedrale mit dem unverwechselbar gemütlichen Campanile (achteckige freistehende Kirchturm mit der runden Mütze, von der kürzlich beendeten Renovierung noch ganz schmuck und tadellos dastehend, ist das Wahrzeichen von Frauenchiemsee) hineinzukommen! Der Friedhof lädt zu einem besinnlichen Rundgang ein. Ganz im Eck: der »Wanderer Mensch«-Bildhauer Heinrich Kirchner. Seine Lebensdaten, die er seiner schönen Grabplatte eingrub. lassen erstaunen: 1902 geboren, 1984 gestorben. Also wird heuer der 100. Geburtstag dieses für den Chiemgau so bedeutenden, aus Erlangen stammenden und in Pavolding lange Jahre ansässigen Künstlers gefeiert. Seine Witwe, eine gebürtige Klampfleuthner, stammt aus der 1609 gegründeten berühmten und für ihre feine, nicht nur gut brauchbare, sondern auch lustig gearbeitete War’ weitum gerühmten Inseltöpferei. So mancher Frauenwörther Haushalt birgt wohl schöne Gegenstände aus dem traditionsreichen Handwerksbetrieb, dem Annemarie und Georg Klampfleuthner ihr heutiges Gepräge gaben: Uhren, Weidlinge, Krüge, Vasen, Windlichter, Figuren, Übertöpfe, Spiegelrahmen. Durch das gewölbte Schaufenster des – leider geschlossenen – Ladens direkt bei der kleinen Werkstatt sieht man Fische und Vögel, die die Haushaltswaren beleben. Kaum ein Inselanwesen, das nicht ein Klampfleuthner-Namensschild direkt neben der Eingangstür eingemörtelt hat: Hiebl und Lanzinger, Schmid oder Krautwurst. Und wie sie sonst noch heißen mögen, die die berühmten Toten auf ihrem kleinen Friedhof einst zu den Ihrigen zählten: Maler und Musiker, Professoren und Mediziner, Komponisten, Sänger und Schriftsteller. Auf dem einen oder anderen Grabhügel steht noch ein kerzen- und lamettageziertes Christbäumchen, das die Vorfrühlingssonne wunderlich umspielt.
Das größte Wunder von Frauenwörth, das diese gerade noch weihnachtliche Zeit preisgibt, ist hinter hohem Eisengitter am hinteren Ende des linken Münster-Seitenschiffes kunstvoll aufgebaut und durch einen elektrischen Lichtschalter eigenhändig zu beleuchten: die Frauenwörther Krippe. Fünf Tage noch – und sie wird von Schwester Katharina wieder, Figur für Figur, abgebaut. Eine liturgische Krippe ist sie, das Werk der Restauratorin Traudl Schulz-Dornburg, die die seit 1627 unter der Aegide der Äbtissin Magdalena Haidenbucher existente Krippe fachgerecht restaurierte. Nicht umsonst zählt sie zu den größten und schönsten bayerischen Krippen. Und jetzt, gerade kurz vor ihrem Abbau, ist sie am reichsten: alle Verkündigungsengel sind da, halten ihre Kreuzstäbe stolz wie Edelinge, gekleidet wie Prinzen und den drei Weisen aus dem Morgenlande mit ihrem Gefolge eine richtige Konkurrenz, selbst der Königin von Saba und dem König Salomon sind sie in ihren Prunkgewändern ebenbürtig.
Im Zentrum des Geschehens, das vor Hirtenvolk und Getier auf den Feldern und Wiesen rund um Bethlehems Stall nur so wurlt und wuselt: das hochheilige Kind: Ziel der spätwinterlich-vorfrühlingshaften Wallfahrt. Es tänzelt auf einer Wolke, ein Knäblein voller Wonne und Anmut, die Ärmchen dem Betrachter entgegenstreckend, seinen Eltern, den es förmlich der strohunterfütterten Krippe entlaufen ist, keine Beachtung mehr schenkend. Segnend und lächelnd geht es auf die Menschen zu, der Messias in Gestalt eines Bübchens, mit einem Mäntelchen aus weißer, goldgelitzter Seide lässig bekleidet, bereit, sich den Gelehrten im Tempel zu stellen.
Noch auf dem Schiff, das eine halbe Stunde später die Insel in Richtung Gstadt verlässt, tänzelt das Frauenwörther Jesuskind, jetzt in den weißen Wolken, die den gestochen blauen Himmel überziehen. »Die Fahrscheine, bitte!« Der Schaffner sagt’s leise, aber mit hart fordernder Stimme. »Lieber jetzt schon als erst beim Rausgehen«, erklärt er den verwunderten Mitreisenden zur Linken. »Da könnt’s passier’n, dass einem einer auskommt, der gar kein’n Fahrschein hat.« Wie es denn wäre, wenn das aufkäme, will der Mitreisende wissen. »Dös kostat dann halt – dreifuchzig. Aber Euro. Mir woll’n ja net ausg’schamt sein und Straf’ zahl’n lassen...«
HG
6/2002