Die Saliner waren keine Heiligen
Des Salzamtskassiers Joseph Friederich Khäsers »unanständige Lebensart« – Teil I





Joseph Friedrich Khäser studierte an der Salzburger Universität Rechtswissenschaft und folgte seinem Vater Paul Khäser imJahr 1699 im Amt des Salzmaieramtskassiers und Sudschreibers nach.
Schon bald nach seinem Amtsantritt wurden dem amtierenden Salzmaier Zacharias von Mezger erste Hinweise von fortgesetzten sexuellen Übergriffen an Khäsers untergebene Salinenarbeiterinnen herangetragen, deren Ausmaß so gravierend war, dass der Salzmaier nicht mehr umhin kam, von den Übeltaten seines Unterbeamten die Hofkammer in Kenntnis zu setzen. Diese ordnete daraufhin eine unverzügliche Aufklärung der Vorfälle an, sodass von Mezger sich gezwungen sah, die ersten Vernehmungen der betroffenen Frauen durchzuführen.(1)
Am 19. Februar 1706 wurde dazu die 48-jährige Abhäuptlerin der Maximilian- und Wilhelmisieden, Eva Stadler, im Amtshaus vernommen. Ihre Aussage, die schließlich zu Protokoll gebracht wurde, wäre allein schon Grund genug für eine Amtsenthebung und Bestrafung des Sudschreibers gewesen, sie sollte jedoch nur die Spitze des vielzitierten Eisberges sein, wie sich im Verlauf weiterer Untersuchungen herausstellte.
Eva Stadler gab an, dass Khäser im vorjährigen Sommer, so um die Zeit Jakobi, in ganz bezechter Weise auf die Au in die sog. Albertisieden gekommen sei und ihr bei der Arbeit zusah. Da es bereits spät und draußen schon dunkel wurde, bot sich der Perrer Mathes Auer an, »Herrn Cassier nacher haus ze leichten«. Dieser jedoch wollte noch im Sudhaus verbleiben und bat schließlich die Stadlerin, dass sie ihn mit der Laterne in die Stadt hinauf begleite.
»Und als sie miteinand aufgangen und mitten auf die Stiegen kommen, habe er sie stark bei der Hand ergriffen und entlich gar nieder geworffen, und unrechte sachen an sie begert«. Sie habe aber in ihrer Not heftig gschrien und ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ehrlich und redlich verbleiben wolle, »worauf er ihr mit der Handt das Maul verhebt, und gemeldt, wann sie schreie, so wolle er sie erschiessen.«
Als sie sich endlich von ihm losreißen und fliehen konnte, habe Khäser ihr nachgeschrien, er wolle es ihr schon »mitrucken«. Sie und ihr Vater werden es schon noch empfinden.
Vierzehn Tage später machte sich der Sudschreiber in eindeutiger Absicht erneut an die Eva Stadlerin heran. Etwa um 11 Uhr nachts machte er seinen Kontrollgang durch die Sudhäuser, wobei er nun die Stadlerin im mittleren Härthaus nicht alleine, sondern zusammen mit der Regina Lexin und noch anderer »Mentscher« antraf. Wieder war er stark betrunken. Um an sein Ziel zu gelangen, schickte Khäser die anderen Frauen nach Hause, verschloss alle Türen und bemächtigte sich erneut seines Opfers. Mit allerlei Versprechungen und Schenkungen wollte Khäser nun die Frau gefügig machen. Die Stadlerin aber konnte sich abermals aus der heftigen Umklammerung des erregten Kassiers befreien und es gelang ihr schließlich, sich im schwarzen Pfiesel zu verstecken. Nachdem er sie indem dunklen Versteck nicht mehr finden konnte, fing er an zu fluchen und zu schelten, wieder mit der Drohung, dass sie und ihr Vater, der wohl auch in der Saline arbeitete, Konsequenzen zu spüren bekommen würden, in dem er dieMacht hätte, sie von der Au fortzujagen oder gar totzuschießen. Jedenfalls werde er dafür sorgen, dass sie, die Stadlerin, gewiss nicht mehr zu heiraten kommen wird.(2)
Zu diesem starken Tobak sollte anschließend noch ein weiterer dazu kommen, den der in Straffälligkeiten seiner Schäflein gewiss nicht unerfahrene Salzmaier vorgesetzt bekam, als im Anschluss an die Aussage der Eva Stadler die 40-jährige Näherin und Klöpplerin Maria Puchstaller, Tochter des Scheibenträgers Urban Puchstaller von der Au zu Wort kam.
Sie war einst im Hause Khäser im Dienst und hatte mit Khäsers Ehefrau und der Köchin im Garten Rettich gesteckt, als sie »der Herr Cassier« unter dem Vorwand, nach seinem abgängigen Töchterl zu suchen, unter das Dach lockte. Als sie in einem finsteren Verschlag zu suchen begann, redete »der Herr« mit besänftigen den Worten auf sie ein, sie solle nur hineingehen, es werde ihr schon nichts geschehen. Da die Näherin aber schon öfter gehört hatte, dass »Herr Cassier diesen Händeln sehr nachgehe«, habe sie vorsichtshalber mit einer Hand die Türe zugehalten. Ausgerechnet in dem Moment, als der liebestrunkene Salinenbeamte zu ihr in den Verschlag eindringen wollte, kam wutentbrannt sein Ehegespons hinzu, verabreichte der Puchstallerin einige saftige Ohrfeigen, da sie augenblicklich den Verdacht hegte, sie hätte ihren Gatten verführen wollen. Als sich aber ihre Unschuld herausstellte, hätte sie noch gehört, wie die Frau »ihme Cassier, grausamblich ausgemacht und ihme ein nichtswerten Man und Ehebrecher, und Hurrer vielmals geheissen.«
Einen ähnlichen Vorfall konnte auch die 24-jährige, ledige Maria Hagenauer von der Au zu Bericht bringen. Auch sie war zeitweise im Hause Khäser als Büglerin tätig, als sie eines Nachmittags von der Frau den Auftrag erhielt, ihremMannBier auf das Gut am Äscherbrünndl(3) zu bringen. Nach altem Strickmuster lockte Khäser die ahnungslose Bedienstete in einen einsamen Raum, prostete ihr mit dem Bier zu und griff ihr anschließend in die Bluse. Als sich die junge Frau heftig wehrte und fliehen wollte, ergriff der lusttolle Salzbeamte ihren Rock, zerrte sie auf seinen Schoß und begehrte sie heftig. Wie schon bei anderen Fällen drohte auch diesmal Khäser kraft seines Amtseinflusses mit Konsequenzen, indem er zu dem eingeschüchterten, jungen Ding sagte, ob sie nicht wisse, dass er ihr entweder viel nutzen oder (im Weigerungsfall) viel schaden könne.
Die bedrängte Büglerin aber blieb, ihrer Aussage zufolge, standhaft. Ein glücklicher Zufall kam ihr dabei zu Hilfe, denn unten auf der Straße ging geradewegs der Geistliche Herr vorbei und als sie drohte laut zu schreien, ließ der Lustmolch von ihr ab. Es wäre aber auch sowas von oberpeinlich gewesen, hätte Hochwürden von diesem Vorfall Wind bekommen, stellte Khäser doch als Hochscharchierter der Corpus-Christi-Bruderschaft den gutchristlichen Vorzeigebeamten zur Schau, der bei den kirchlichen Prozessionen stets vorneweg ging.(4) Der Hagenauerin blieb schließlich nicht anderes übrig als die Gunst der Stunde zu nutzen um kopfüber aus dem Haus am Äscherbrünndl zu eilen. Sie vernahm noch während der Flucht, dass ihr der frustrierte Liebhaber nachrief, sie solle niemanden etwas davon sagen, denn die Leute sollen nichts merken.
Acht Tage später wollte Khäser wieder, dass die Hagenauerin Bier aufs Äscherbrünndl bringe. Sie aber ging ihrer Aussage zufolge nicht mehr hin.
Das abseits des Stadtkerns gelegene Gut am Äscherbrünndl war auch im nächsten Fall Dreh- und Angelpunkt eines Geschehens von besonderer Brisanz. Anscheinend hatte Joseph Friederich Khäser dieses einsam gelegene Haus mit Vorliebe für seine Sexattacken auf das ihm zu Diensten stehende, weibliche Geschlecht auserkoren.
Die Ursula Weidtpodtnerin, ebenfalls eine Klöpplerin von der Au, an die 25 Jahre alt, sagte bei ihrer Vernehmung in der Amtsstube des Salzmaiers geradezu Haarsträubendes aus.
Um Michaeli des Jahres 1704 sei Khäser auf der Flucht von Burghausen wieder nach Traunstein gekommen. Er und seine Frau hätten sie damals angesprochen und in den Dienst genommen. Die gnädige Frau sei allerdings erst mit 8 Tagen Verspätung in hiesiger Stadt eingetroffen. In der Zwischenzeit hatte sie für den einsamen Strohwitwer das Essen zubereiten und auf das abgelegene Haus am Äscherbrünndl bringen müssen. Dabei »habe er sie 3 Täg nacheinand mit gewaldt auf das Stroh niedergerissen, und mit entblössung des Vorderleibs an sie, Weidtpodtnerin, die Unzucht mit Ihme zu begehen begert, darin sie aber niemals gewilliget, sondern allzeit solang gewehrt, bis jemand in die Stuben mit anklopfen kommen, und sie (sich) von Ihme wider erledigt hat.«
Die Vernommene fügte hinzu, dass Khäser vor einiger Zeit bei ihr auftauchte und nachfragte, ob sie auch zum Salzmaier vorgeladen wurde. Als sie dies verneinte, »hieryber er ihr gesagt, wans noch geschehen sollte, durchaus nichts zu bestehen, dass er auch solches also thun wolle, weilen bei ihr doch das Werkh nit geschehen. Sonsten hätte er ihr vormals im Äscherbrünndl einen halben Gulden geschenkt, niemand nichts von diesen Sachen zu sagen.«
Von dieser Aussage könnte man sich jetzt mehrere Reime machen. Fakt war zumindest ein wiederholtes Sexualvergehen an einer Untergebenen. Inwieweit dabei die damals 23-Jährige mitspielte, sollte der Richter herausfinden.
Nun fand als fünfte im Bunde die Befragung der Sabina Kürchsleittnerin, der Ehefrau des Potingfüllers Georg Kürchsleittner ebenfalls aus der Au an. Diese sagte folgendes aus: Eines Tages, »da sie wieder in des Cassiers Stuben kommen, hat er ihr einen trunkh Bier dargereicht, als sie sich aber bedankt, sie möge nicht trünken, habe er sie, als sie gehen wollen, bei der handt zuruckh gezogen, und die S.V. Unzucht an sie begert, woryber sie sich gewöhrt, Er aber weiter vermeldt, weil sie verheyrathet, so werde es ihr nit schaden und seye es eben darumben, dass sie verheyrathet khein Sündt, woryber sie sich seiner weiters gebrauchten gewalt starkh gewöhrt, von Ihme gerissen und yber die stiegen hinab geloffen.«
Zu dem Vorhergesagten fügte die Vernommene dann noch zwei etwa 4 Jahre zurückliegende, ebenfalls sehr eindeutige Übergriffe des notorischen Freiwildjägers hinzu, die nicht minder pikant waren.
Als sie noch ledigen Standes war, so berichtete die gebürtige Auerin, war sie als Näherin einige Male bei »Herrn Cassier« auf der Stör oder anderweitig in Arbeit.Dabei habe sie auf Befehl der gnädigen Frau in der hinteren Stube das Bett aufmachen müssen. »Da seye Herr Cassier hinzu gangen, sie ergriffen, und ins Peth hineinwerfen wollen. Sie aber habe sich starkh gewöhrt, mit vermelden, wenn er sye nit gehen lasse, dergestalten laut schreyen wolle, dass es die Frau in der vordern Stuben hören müsse, über welches er entlich von ihr gelassen.«
Ein weiterer eindeutiger Anschlag auf die junge Dienerin erfolgte bald, als sie dabei war, Holz in die hintere Kammer des Hauses zu tragen. Sie war damit beschäftigt, sich um die Scheite zu bücken, da »seye er gleich hinter ihr gewest, und (sie) mit einer starkhen Gewaldt an den Casten hinan getrukt, und die Unehrbarkeit an sie begert, dass sie sich seiner Gewaldt khaum erwöhren können, also dass sie daryber ganz mied (= erschöpft) worden seye.« Um sein Ziel zu erreichen, bediente sich der geile Beamte wieder seiner altbekannten Methode des Versprechens und Drohens, indem er der Bedrängten deutlich machte, dass sowohl sie, als auch ihre Mutter, von der Gnade des Kurfürsten abhängig seien. Er wiederum könnte sie auch gut entgelten lassen.
In allen abgehörten Fällen blieb es nach den Darstellungen der vernommenenFrauen beim Versuch, da angeblich die Ausführung letztlich durch irgendwelche Zwischenfälle immer verhindert werden konnte. Dies so zu glauben, fiel womöglich auch dem Salzmaier schwer. Die betroffenen Frauen taten allerdings gut daran, bei dieser Version zu bleiben. In die Rolle der Verführerin zu geraten, wäre bei der damaligen Rechtsprechung fatal gewesen.
Nach zwei angesetzten Verhandlungstagen, zu denen der Angeklagte nicht erschien, wurde ein dritter am Pfleggericht Kling angesetzt. Unter dubiosen Vorwänden reiste der Beschuldigte aber noch vor der Verhandlung ab. Die Akte »Joseph Friedrich Khäsers unanständige Lebensart«, mit der die drastischen Vergehen des hohen Salinenbeamten sehr moderat umschrieben wurden, blieb auch ein drittes Mal geschlossen. Ein Urteil wurde nie gefällt und somit finden wir nachfolgend den notorischen Triebtäter zwar nicht mehr an der Traunsteiner Saline, sondern gut versorgt als Maut- und Salzamtsgegenschreiber in Burghausen.
Und die betroffenen Mädchen und Frauen? Sie konnten doch auch froh sein, ihre schrecklichen Erlebnisse nicht auch noch ein drittes Mal vor dem Richter ausbreiten zu müssen. So gesehen war allen geholfen.
Albert Rosenegger
Anmerkungen:
1 Staatsarchiv München (STAM), Salinenakten (SA), Fasz. 28, Nr.: 155. Titula: Des Salzmayramts Cassiers und Sudschreibers Jos. Friederich Käsers in pcto Prox.adulterii Proceß betr. Von ao. 1706 bis 1707.
2 STAM, gleicher Akt: Salzamtsprotokoll vom 19. Februar 1706 über die Aussage der Eva Stadlerin, anhängend die Vernehmungsprotokolle der Maria Puchstallerin, Maria Hagenauerin, Ursula Weidtpodnerin und Sabina Khürchsleittnerin. Zum Thema Frauenarbeit in den bayerischen Salinen, siehe: R. Weber, Von »nassen und truckenen Dirnen«, in: Aufsätze zur Landesausstellung »Salz macht Geschichte« 1995, S.142-147.
3 Das Gut am Äscherbrünndl, etwa auf Höhe des heutigen Sailerkellerberges, war ursprünglich im Besitz der Familie Großschedl. Martin Großschedl verkaufte 16? das Anwesen (wahrscheinlich an Paulus Khäser sen.
4 Pfarrarchiv St. Oswald, Protokollbuch der Corporis-Christi- Bruderschaft.
Teil II in den Chiemgau-Blättern Nr. 6 vom 10. Februar 2024 und Teil III in den Chiemgau-Blättern Nr. 7 vom 17. Februar 2024
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