Die Bremer Tankstelle an der Glentleiten
Sie wurde detailgetreu im Freilichtmuseum des Bezirks Oberbayern wieder aufgebaut








Mit einem Fest unter dem Motto »Treffen an der Tanke«, mit Oldtimerfahrzeugen und einem Oldtimer- Bus der Firma Gottstein aus Polling, Musik und herrlichem Wetter feierte das Freilichtmuseum Glentleiten ein neues Exponat: eine Gasolin-Tankstelle. Viele Ober- und Unterwössner streuten sich unter die vielen Hundert Besucher im Werdenfelser Land. Warum? Es ist ihre Tankstelle, abgebaut in Oberwössen-Brem und bis ins Detail so in Glentleiten wieder aufgebaut, wie sie 1965 aussah.
Wunderbar in die Landschaft eingebunden am linken Rand der Straße ist das auch nach heutigen Maßstäben futuristisch wirkende Tankstellengebäude mit seinem Flugdach ein Blickfänger. Ihr strahlendesWeiß sticht ins Auge, bildet einen wunderbaren Kontrast zum Gasolin-Rot der Zapfsäulen. Zapfsäulen, Feuerlöscher, Kompressor, Lichtschalter, die Luftdrucktabelle, selbst die plastikbespannten Stühle zeigen die Tankstelle wie damals.
Geschichte
Früher stand in Brem seit knapp 200 Jahren eine Hufschmiede, erzählen die »Haus- und Hofgeschichten von Oberwössen« der Autoren Bernhard Greimel und Stefan Entfellner. Als der Traktor die Pferdegespanne und -fuhrwerke ablöste, nahm der Bedarf an Karren und Wägen, die vonWagner und Schmied in jedem Dorf hergestellt wurden, rapide ab. Reparaturaufträge für Sensen und Pflüge, vor allem neue Hufbeschläge verschwanden aus den Auftragsbüchern. Stattdessen stieg der Bedarf an Treibstoff, an Wartung und Pflege von Automobilen und Traktoren stetig. Die »Walchschmiede« eine Hufschmiede im heutigen Ortsteil Oberwössen- Brem – seit dem 19. Jahrhundert im Besitz der Familie Meier – firmierte schon als »Spenglerei und Installation, Sanitär, Anlagen, Reparatur- Werkstätte«. Unter dem Einfluss der technischen Entwicklung orientierte sich die Inhaberin Maria Meier neu. Sie entschied sich zu Beginn der 1950er Jahre, eine Tankstelle zu errichten. Dabei spielte den Meiers die Lage des Grundstücks in die Hände: Die Deutsche Alpenstraße führte als die erste Ferienroute unseres Landes direkt durch Brem und am Betrieb der Familie vorbei. Ab Sommer 1953 tankten – zunächst noch unter freiem Himmel – Einheimische und Feriengäste an den dortigen Zapfsäulen der Gasolin AG.
Schon 1955/1956 baute die Familie Meier einen Verkaufsraum dazu. Von dem spannte sich die bis heute modern anmutende Überdachung des Flugdaches über die Tankstellenfahrbahnen beidseitig der Zapfsäulen. Für die Forscher des Freilichtmuseums Glentleiten hat das Dach seine eigene Geschichte. In den 1920er Jahren entwickelten sich »Großtankstellen« mit überdachten Zapfsäulen und einem eigenen Kassenhäuschen. Wie diese Zweckbauten aussehen sollten, darüber herrschte lange Zeit Uneinigkeit: Während einige Mineralölkonzerne zum Teil sehr moderne Tankstellen errichten ließen, verlangte die konservative Heimatschutzbewegung traditionelle Formen und Materialien. Ab den 1950er Jahren setzten sich dann endgültig moderne Architekturelemente durch: flache, ausladende Flugdächer, viel Glas und Beton sowie kräftige Farben. Gerade bei Tankstellen wurden diese neuen Farben, Formen und Materialien gerne verwendet; spiegelten sie doch den allgemeinen Fortschrittsglauben der damaligen Zeit wider. Dass sich die modernen Gebäude vor allem in den Dörfern deutlich von der Umgebung abhoben, wurde dabei bewusst in Kauf genommen. Die Gasolin AG wollte, wie auch die anderen großen Mineralölkonzerne, dass ihre Tankstellen leicht wiederzuerkennen waren. Daher entwickelte das Unternehmen eine begrenzte Anzahl an Tankstellentypen mit einheitlichem Design. Bei der von Familie Meier in Brem errichteten Tankstelle handelt es sich um den Typ G T6/II. Zu dieser Zeit war Matthias Meier der Tankwart, seine Mutter Maria die Eigentümerin des Geländes und der Tankstelle. Die Tankstelle wurde neben Kirche und dem Wirt ein Mittelpunkt des Ortsgeschehens für die Oberwössner.
Neben dem Tankbetrieb führte der gelernte Hufschmied Mathias Meier auch Reparaturen an Autos, Mopeds und Traktoren durch. Bis 1965 arbeitete er ebenfalls im Freien. Dann errichtete die Familie Meier neben der Tankstelle eine Wagenpflege- und Waschhalle. Dauerhaft plant das Freilichtmuseum dieses Gesamtensemble. Der Sohn Josef Meier stieg als gelernter Kfz-Schlosser 1971 in den elterlichen Betrieb ein. Im selben Jahr übernahm die ARAL alles, was bisher im charakteristischen Gasolin-Rot erstrahlte, wechselte zum ARAL-Blau. Der Wechsel zahlte sich zunächst aus: Es folgten die umsatzstärksten Jahre in der kleinen Bremer Tankstelle.
Als sich später die Selbstbedienungstankstellen immer mehr durchsetzten, hätte die Familie Meier umbauen müssen. Vor dem Hintergrund schwindender Umsätze verlängerten die Meiers Ende Oktober 1981 den auslaufenden Vertrag mit dem Mineralölkonzern aber nicht und stellten den Betrieb ein. Seither stand das Gebäude unverändert an der heutigen Bundesstraße 305 und wartete auf eine neue Bestimmung.
»Wir reißen die Tankstelle ab und machen der Neugestaltung des Straßenumfeldes Platz«, das beschrieben Gemeinde und Planer im Sommer 2019, als sie das Projekt der Ortsgestaltung Oberwössen-Brem vorstellten. Der Auftrag an den Abrissunternehmer war erteilt, die Baustelle Ende November vorbereitet.
Inzwischen las in Hamburg ein Freilichtmuseumsmitarbeiter in einer technischen Zeitung vom Objekt. Über Umwege kam die Information zu den Freilichtmuseen Glentleiten und Amerang. Aus Amerang nahm Dr. Claudia Richartz das Objekt in Augenschein. Und dann ging es ganz schnell. »Wir hatten den Eindruck, dass auch andere Interessenten von der Sache Wind bekamen«, so Bezirkstagspräsident Josef Mederer.
Am 2. Dezember 2019, wenige Tage vor dem Abriss, sagte sich Mederer im Unterwössner Rathaus an. Im Namen des Bezirks Oberbayern, des Trägers des Freilichtmuseums, unterzeichnete er mit dem überraschten Bürgermeister Ludwig Entfellner den mitgebrachten Transfervertrag. Die in den 50iger Jahren errichtete, später weiter ausgebaute Tankstelle war damit auserkoren, im Freilichtmuseum »den Aufbruch in die Moderne, den beginnenden Tourismus der Nachkriegszeit in Oberbayern zu verdeutlichen«, hieß es aus dem Bezirk. Es war bundesweit die dritte Tankstelle, die originalgetreu in ein Freilichtmuseum kommt.
In Eigenregie unter Leitung von Martin Wiedemann und unter Hinzuziehung von Statikern und Transportfachleuten bauten die Fachleute das Flugdach in Einzelteilen ab. Der gelernte Maurer und Diplomingenieur Wiedenbauer ist Leiter des Sachgebiets Handwerk und Bau im Freilichtmuseum Glentleiten. Sie teilten das Tankstellengebäude in zwei fragile Teile und brachten sie mit Schwertransportern auf die Glentleiten. »Nicht eine Glasscheibe ging zu Bruch«, berichtet Mederer nicht ohne Stolz auf die Mannschaft. Dort begann im späten Frühjahr 2020 der Aufbau.
Museumsleiterin Dr. Monika Kania-Schütz sieht die Tankstelle als Schlüsselobjekt der Mobilitätsgeschichte und den aufkommenden Tourismus. »Wir vom Museum planten schon länger, den Sprung in die Nachkriegszeit mit neuen Exponaten zu schaffen«, sagte Hausforscher Simon Kotter. »Doch als wir vor dem Projekt Tankstelle standen, waren wir doch skeptisch. Was werden die Besucher sagen? Immerhin sind die bisherigen Themen in Glentleiten Landwirtschaft, Almen und Hütten. Unsere Bedenken lösten sich schnell auf vor so vielen Rückmeldungen wie noch nie für ein Projekt, alle durchweg positiv. Und es wurde Zeit. Immerhin gibt es in ganz Bayern nur noch fünf Tankstellen unter Denkmalschutz«, so Kotter.
Und Erinnerung tut Not. »Wer erlebte noch einen Tankwart ursprünglichen Stils? Und die Ära der Verbrennungsmotoren läuft angesichts moderner Entwicklungen aus. Wir freuen uns, dass unsere Tankstelle so diese Zeit in Erinnerung hält«, so Kotter.
Ludwig Flug
43/2021