Die Abbilder der Altöttinger Madonna
… privat, in bayerischen Kirchen und in der Stadt Freising




»Etwas Geistliches« sollten Wallfahrer »nach Hause mitbringen«, empfahl ein Merkblatt für Pilger, 1816 gedruckt von Johann Michael Seidl, Buchbinder aus »Altenötting«. »Kaufe einige Mariäbildlein, Büchlein, Ablasspfennige, geweihte Kerzen für das Sterbestündlein etc.« So Seidls Empfehlung. »Mariäbildlein« füllten bald einen Schuhkarton: solche, die von der Wallfahrt mitgebracht wurden, aber auch so schöne alte wie ein Augsburger Gebetszettel mit der Nachbildung des Gnadenaltars der Heiligen Kapelle. Bildunterschrift: »Wahre Altars-Abbildung zu Alten-Oetting«. So sieht der Marienaltar in der Pfarrkirche von Raitenhaslach aus. Wie die echte Figur, aber ohne Ornat.
Seither stand eine Kopie der Altöttinger Madonna für die AndachtsEcke des Wohnzimmers auf dem Wunschzettel. Im Münchner Antiquitätenhandel fand sich ein gut 200 Jahre altes, 30 Zentimeter großes Exemplar mit den Resten einer farbigen Fassung. Ein Restaurator fertigte das fehlende Zepter an.
Für die Auffrischung der alten Fassung vergingen ein paar Jahre. Besuchern, die genau Bescheid wussten, fehlte schon mal das bekannte Gnadenröckl aus Silberlamé mit Goldeinfassung und Prunk-Ornamenten. Das Abbild der heiligen Altöttingerin ist die Schwarze Madonna, wie sie um 1360 vom Kloster Raitenhaslach nach Altötting gelangt war. Einem vorwitzigen Bewunderer rutschte einmal die Bemerkung heraus: »Damit können Sie sich nun die Wallfahrt nach Altötting sparen«. Darüber konnte nur gelacht werden.
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Keine Kopie kann das echte Gnadenbild ersetzen, sondern nur vertreten, ob gemalt, gedruckt, fotografiert oder als Skulptur, auch wenn diese die Ausmaße des Vorbilds besäße. Dieses holt man sich mit einer Nachbildung in seine Lebens-Nähe, in seinen Alltag. Es erinnert an das zumeist entfernt stehende Original, das wiederum auch nur ein »Abbild« der erdachten Gestalt – in diesem Fall der Muttergottes mit dem Jesuskind – ist. Hausmadonnen sind für den Gläubigen zum Schutz für Leib und Leben willkommen.
Imitierte Altöttinger Marienstatuen gibt's da und dort, ob in Privatwohnungen, in Kapellen, Kirchen und Klöstern. Der DevotionalienHandel bietet Abbilder auf »Mariäbildlein«, in »Büchlein«, zusammen mit »Ablasspfennigen« und als Relief auf »geweihten Kerzen für das Sterbstündlein«. Auch auf Fotos vom Gnadenort, als Figürchen aus Wachs unter einem Glassturz, als Schnitzwerk zum Aufstellen oder Aufhängen. Die Pfarrkirche St. Georg in Raitenhaslach besitzt eine schöne Nachbildung des Altöttinger Gnadenaltars mit einer Statue im Tabernakel-Gehäuse, von dessen oberer Mitte die drei Bänder mit den lateinischen Aufschriften für »Tochter des Vaters, Mutter des Sohnes, Braut des Heiligen Geistes« himmelwärts gerichtet sind wie auf dem alten Augsburger Gebetszettel. Das Münster auf der Fraueninsel im Chiemsee zeigt eine besonders reich geschmückte Replik der heiligen Altöttingerin auf dem Antoniusaltar.
»Unser Lieben Frau Gotteshaus und Schlosskapelle Neuen-Oetting im Wald bei Fürstenstein«, Bistum Passau, wo 1629 die veritable Altöttinger Gnadenkapelle vor dem Schloss errichtet worden war, ist ein Nachbau des karolingischen Oktogons, das auf die Aachener Pfalzkapelle zurückgeht. Zwei »Mariäbildlein« aus dem Schuhkarton sind Fotos von »einer der ältesten und auch edelsten Nachbildungen des Altöttinger Vorbildes«.
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Für das Jahr 2024 fertigte der zeichnerisch versierte Freisinger Architekt und ehemalige Stadtheimatpfleger mit Erfahrungen als Dom-Ministrant und Dom-Führer Norbert Zanker einen Blatt-Kalender als Freundes-Gabe, den er ganz unter das Thema »Die Altöttinger Madonna in Freising« stellte. Eine Kopie der gnadenreichen hohen Frau, die Fürstbischof Veit Adam von Gepeckh der Freisinger »Altöttinger Kapelle« mit dem Vinzentinum schenkte, stand Zanker zufolge im 30-jährigen Krieg am Wallfahrtsort Altötting. Der Bau reflektiere die Altöttinger Gnadenkapelle: »achteckiger Chor mit kräftiger Wandgliederung, einschiffiges Langhaus mit zwei Jochen«. Auf dem April-Blatt blickt man vom Eingang auf das Oktogon, das ins Langhaus eingeschnitten wurde und sieht die beiden Seitenaltäre von 1697. Über dem versilberten Choraltar auf dem 1. JuniBlatt steht die Madonna, umgeben von Rosenkranzgeheimnissen, von Engeln präsentiert. Ab Oktober 2024 führt Norbert Zanker mit duftigen Skizzen zuerst zur Altöttinger Muttergottes in der Stadt mit Franz Kheimbhofers Mariensäule von 1674 und weiter auf den St. Georgs-Friedhof, wo sich ein Bronzerelief des Gnadenbildes am ehemaligen Grab der Schwestern des Vinzentinums befindet. Dann fängt der Zeichner zwei Altöttinger Hausmadonnen ein: die am »Wissmayerhaus« in der Luckengasse 4 und die am ehemaligen Hummelbräu, Untere Hauptstraße 24.
Das Kästchen der Freisinger Familie Zanker mit einer Gnadenbild-Kopie der von Anne Kathrin Schulte restaurierten Schwarzen Madonna von Altötting gelangte einmal als »Aushilfe« auf den Altar der Freisinger »Altötting-Kapelle«. Mit diesem Bau war Norbert Zanker in seinen Jahreskalender eingestiegen. Er legte damit ein gutes Beispiel für das Abbild der Altöttinger Madonna vor: im öffentlichen Raum und im privaten Bereich einer christlichen Familie.
Hans Gärtner
13/2024