Der Ruhpoldinger Männerchor ist Geschichte
Fast ein halbes Jahrhundert prägte die Singgemeinschaft das kulturelle Leben






»Wenn's am schönsten ist, soll man aufhören« – wie oft wohl haben die Sänger des Ruhpoldinger Männerchors diesen gut gemeinten Spruch beherzigen müssen, wenn es nach einem musikalischen Hoagarten, beim Klopferer gehen oder einem der vielen anderen Anlässe noch so zünftig herging und bis spät in die Nacht hinein gesungen, musiziert und dischkriert wurde. Der Gedanke ansHoamgehn, ans Aufhörenwar zu diesem Zeitpunkt in weite Ferne gerückt, denn »so jung wia heid kemma nimma zamm«, hat es da geheißen.
Doch jetzt mussten die Männer um ihren Chorleiter Erich Stadler schmerzlich erfahren, dass man entgegen dem einleitend zitierten Spruch auch mal ans Aufhören denken muss, wenn es nicht grad am schönsten ist.
Dabei hätte es nur noch drei Jahre gebraucht, dann hätte der weit über die Gemeindegrenzen hinaus bekannte und beliebte Ruhpoldinger Männerchor sein 50-jähriges Jubiläum feiern können. Doch es half alles nichts. Schweren Herzens mussten in diesem Sommer Vorstand Erhard Hiebl und Chorleiter Erich Stadler das endgültige Aus ihrer so großartigen Singgemeinschaft bekannt geben, die in vorbildlicher Weise das alpenländische Liedgut pflegte und nicht zuletzt dadurch das kulturelle Leben in den vergangenen Jahrzehnten ungemein bereicherte.
Die allgemeine Entwicklung, mit der sich traditionelle Männerchöre nicht erst seit der Corona bedingten Gesangslosigkeit konfrontiert sehen und die im schlimmsten Fall zum aktuellen Chorsterben beiträgt, machte auch vor den Ruhpoldingern nicht Halt. Überalterung, Nachwuchsmangel, krankheitsbedingtes oder berufliches Ausscheiden sowie mehrere Todesfälle führten dazu, dass nicht mehr alle Stimmlagen, wie zuletzt der Erste Tenor, besetzt werden konnten. Hinzu kam, dass sich Dirigent Erich Stadler aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande sah, den Chor, den er seit dessen Gründung leitete, mit den bisher gewohnt hohen Ansprüchen weiterzuführen. So bricht leider ein weiteres Stück musikalischer Vielfalt in unserer Region weg und man kann nur hoffen, dass sich nachfolgende Generationen dereinst an dieses bemerkenswerte Kapitel erinnern und eventuell für eine Fortsetzung sorgen. Den zuletzt verbliebenen Sängern bleibt wenigstens die Erinnerung an wunderbare Auftritte und Erlebnisse.
Volksschullehrer Erich Stadler als Dirigent
Die eigentliche Gründung des Männerchors erfolgte am Karfreitag 1975, nachdem bereits ein Jahr zuvor die Idee durch Hans Pichler, Sepp Wolfgruber und Georg Kastner während der Rauschberger- Generalversammlung aufgeworfen wurde. Da die Suche nach einem Dirigenten von Salzburger Format an finanziellen Mitteln scheiterte (!) und auch Ignaz Buchner, der Leiter der Miesenbacher Trachtenkapelle nicht zur Verfügung stand, erklärte sich der damalige Lehrer und spätere Rektor der örtlichen Volksschule Erich Stadler aus Traunstein bereit, die Probenarbeit fürs Erste zu übernehmen. Dass daraus eine bleibende Verbindung bis zum Schluss wurde, zeigt sich nicht nur in der musikalischen Kontinuität, sondern auch im gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sein straffes, aber herzliches Regiment brachte Stadler scherzhaft und respektvoll zugleich die Bezeichnung »da Deitara« ein, weil er seine Mannen seit der Anfangszeit fest im Griff hatte. Allein über 1600 Übungsabende sind seither fein säuberlich im Probenbuch festgehalten.
Aller Anfang ist schwer
Ein Blick in die Chronik verrät, dass auch der Männerchor nicht vor Anfangsschwierigkeiten verschont geblieben ist. Waren bei der ersten Probe gleich 14 Männer mit Eifer dabei, flaute das Interesse jedoch schnell ab, sodass bald nur noch ein kleines Häuflein von sechs Stimmen in den von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Probenraum ins Jagdschloss gekommen waren. Mit Liedern wie »Horch was kommt von draußen rein« oder »Heißa Katreinerle« konnten sich halt die g'standnen Mannder am wenigsten anfreunden. Erst als das Repertoire von rein deutschen Volksliedern auf alpenländisches Liedgut und Jodler umgestellt wurde, wurden auch die Sänger wieder mehr.
Den ersten erfolgreichen Auftritt, begleitet von der Rauschberger Hackbrettmusi absolvierte man noch im selben Jahr bei der Weihnachtsfeier des VdK und bald darauf war die Deutsche Bauernmesse von Annette Thoma einstudiert, die erstmals während einer Bergführer- Tagung in Ruhpolding mit Anderl Heckmair, dem Erstbesteiger der Eiger Nordwand, erklang. Sie gehörte seitdem zum festen Notenbestand des Chors ebenso wie die Kärntner und die Alpbachtaler Messe, die Deutschen Messen von Haydn und Schubert sowie die »Messe breve« von Charles Gounod. Dadurch blieben die Einsätze nicht nur auf den weltlichen Bereich wie Frühlings- und Herbstsingen, Kurkonzerten, Heimatabenden, Faschingsveranstaltungen und dergleichen beschränkt. In der Folgezeit erfreute der Männerchor seine dankbaren Zuhörer immer häufiger bei Hochzeiten, Advent- und Mariensingen, Maiandachten, örtlichen Jubiläen sowie Bergmessen und Patrozinien auf den verschiedenen Almen und Berggipfeln. Umso bedauerlicher ist es jetzt für die Mitglieder, dass man die alljährlich wiederkehrenden Fixpunkte wie die Alm-Messe mit Kräuterweihe an Maria Himmelfahrt in Röthelmoos, oftmals mit Weihbischof Bernhard Haßlberger, das Evangelische Gemeindefest in der Johanneskirche oder das Hochamt am Stefani-Tag an Weihnachten in der Pfarrkirche nicht mehr mitgestalten kann. Wo man doch gefühlt ein musikalisches Abonnement darauf gebucht hatte…!
Reges Chorleben und viele Anekdoten
Das rege Chorleben umfasste zudem jährliche Ausflüge, Wallfahrten, Nikolausfeiern, mehrere Tonträger-Aufnahmen und vieles mehr. Zahlreiche Geschichten und Anekdoten ranken sich um die Aktivitäten, die nicht immer so reibungslos abliefen, wie man es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Vor allem, wenn auf die eh schon klamme Chorkasse Ausgaben zukamen, die man nicht einkalkuliert hatte, wie beispielsweise nach der boarischen Singstund mit Wastl Fanderl, als Pfarrer Josef Mühlbacher die Heizkosten in Höhe von 70 Mark in Rechnung stellte. Ein anderes Mal habe man sich zur Würstlbrotzeit mangels Brot mit süßen Keksen behelfen müssen, während vom Brauch des »Klopferergehn« die russischen Biathleten in ihrem Trainingsquartier beim Menkenbauern so begeistert waren, dass die Sänger überschwänglich mit Anstecknadeln und genügend Wodka bedacht wurden. Dass dabei neun Klopferer mit Sack und Pack, Hirtenstäben und Instrumente in einem Kadett-Kombi Platz gefunden haben und von Haus zu Haus chauffiert wurden, steht auf einem anderen Blatt der fein säuberlich geführten Chronik, die zwei Bücher umfasst. Alles protokolliert, aber schon längst verjährt. Selbst als 1998 der umtriebige Vorstand Sepp Krammer viel zu früh verstarb, ließen sich die Sänger trotz des herben Verlusts nicht aus dem Takt bringen. Seit dem führten sein Sitznachbar Erhard Hiebl als Vorstand und Georg Nagl als Stellvertreter die Geschicke der Singgemeinschaft. Beide hielten ihrem Dirigenten Erich Stadler bis zum Schluss den Rücken frei für die eingeschlagene musikalische Ausrichtung, die vom unverfälschten alpenländischem Liedgut geprägt und durchzogen war. Aus dieser Grundlage schöpfte der Ruhpoldinger Männerchor seine markante Klangfülle, die nun der Vergangenheit angehört und die das kulturelle Umfeld zukünftig vermissen wird. Da kann man nur der bayerischen Volksweisheit beipflichten: »Aus is' und gor is', und schod is, dass wohr is!«
Ludwig Schick
29/2022