Jahrgang 2004 Nummer 46

Der Fremdenverkehr in Waging und Umgebung

Von der Entwicklung des Ortes als »unbedeutender« Markt zum Luftkurort

Den Tourismus, wie in heutiger Zeit gab es vor ca. 150 Jahren in unserem Gebiet noch nicht. Fernreisende und Amtspersonen, die noch mit der Postkutsche durch Waging und Umgebung reisten, konnten sich aber auch damals schon an unserer schönen Gegend erfreuen und vielleicht auch im Waginger See eine Erfrischung beim Baden, während einer Reisepause genießen. Im Jahre 1888 gründeten dann einige voraus schauende Bürger unter Vorsitz des Apothekers Karl Hümmer den »Verschönerungsverein Waging«. Die Mitglieder erkannten, dass Waging mit seinem See und seiner Landschaft Reiseziel für die Sommerfrische aus den Städten werden kann. Es wurden Ruhebänke mit schöner Rundsicht aufgestellt und an der Straße von Waging zum Strandbad »Seeteufel« wurde eine Kastanienallee gepflanzt. Leider hatten die Landwirte mit solch einer Landschaftsverschönerung nicht viel im Sinn und so verschwand die Allee im Laufe der Jahre. Als im Jahr 1902 die Eisenbahn ihren Betrieb aufnahm, setzte auch der Fremdenverkehr in Waging in bescheidenem Umfang ein. 100 – 200 Gäste besuchten Waging in dieser Zeit pro Jahr. Der Aufenthalt war aber kurz, meistens nur ein Tag. Als Anziehungspunkt galt das Bad am Seeteufel. Als weitere »Atraktion« konnten die Gäste im See fischen oder einfach die Landschaft genießen und sich ausruhen. Eine Übernachtung kostete 50 Pfennig je Person, einschließlich Benutzung der Küche, denn die Gäste mussten oft noch sparen und waren dadurch Selbstverpfleger. Das Traunsteiner Wochenblatt berichtet im Mai 1910, dass auf dem Waginger See ein Motorboot fährt.

Werbung für den Waginger See: »In wonnig stiller Einsamkeit liegt der Waginger See zwischen Hügeln und Wiesen. Das Wasser ist äußerst mild. Wie Öl schmiegt es sich an den aufjubelnden Körper und schmeichelt und lockt, es ist betörend schön. Als ob Nixen uns locken wollen, so verführt dieses Wasser zu immer größeren Wagnissen. Immer wieder stürzt man sich hinein in die weiche Flut und hochauf spritzen die Wogen, jubelnd den Körper umfangend. Nach dem Bade eine erquickende und erwärmende Fahrt mit dem Ruderboot. Und gar eine Fahrt mit dem Motorboot! Der See will sich diese Störung der Ruhe, dieses wilde Zerreißen seiner Fluten gar nicht gefallen lassen. In sausender Fahrt hinab gegen Petting und Untersberg und Staufen schauen verwundert drein, was die Menschlein auf dem, seit Jahrhunderten stillen See anfangen.«

So las sich ein Bericht vom 9. Juli 1910 im Traunsteiner Wochenblatt.

In den dreißiger Jahren schuf der damalige Bürgermeister Jost, als Gegenstück zum Seeteufel das Bad an der »Überfuhr« nach Gut Horn. Heute finden wir hier das Strandkurhaus. Nach den Plänen des Bürgermeisters sollte hier eine Siedlung mit Wochenendhäusern entstehen. Die Gemeinde pflanzte Bäume und baute eine Schiff- und Badehütte. Doch die Waginger Bürger und auch die Gäste gingen lieber zum gewohnten Bad am Seeteufel. Als Bürgermeister Jost Waging verließ, schlief seine »Vision« der Siedlung und des Bades am heutigen Strandkurhaus wieder ein.

Erst durch die staatliche KdF- Organisation ( Kraft durch Freude) Ende der dreißiger Jahre, kam es zu einer Steigerung der Übernachtungszahlen. 400 – 500 Gäste kamen nun jährlich nach Waging. Der Verschönerungsverein wurde nun wieder sehr aktiv. Martin Hafenmair, Cafetier am Marktplatz, war als 1. Vorsitzender einer der treibenden Kräfte in Punkto Fremdenverkehr. Leider machte der 2. Weltkrieg dem aufstrebenden Fremdenverkehrsort einen Strich durch die Rechnung und der Tourismus kam gänzlich zum Erliegen.

Nach dem Krieg fand Hafenmair als Vorstand des in »Verkehrsverein« umbenannten Verschönerungsverein einige Mitbürger, die seine Arbeit tatkräftig unterstützten. Als treibende Kraft beim Aufbau des Fremdenverkehrs fand Hafenmair in Bürgermeister Sebastian Schuhbeck große Hilfe. Für ihn war es nicht leicht, Werbung für Sommergäste zu machen, denn Waging hatte nach Aufnahme der Heimatvertriebenen 2000 Einwohner, obwohl nur Wohnraum für ca. 1000 Mitbürger vorhanden war. Schuhbecks Plan war, durch eine Belebung der Bautätigkeit Wohnraum zu schaffen. Der Plan wurde in die Tat umgesetzt und so entstand der Ortsteil, der heute Strandbadallee genannt wird. Bis heute wurden dort über 100 Häuser gebaut. Am 12. Januar 1950 wurde auf Bestrebungen Sebastian Schuhbecks beim Innenministerium, der Ortsname Waging in Waging am See geändert. Ein langjähriger Wunsch der Gemeinde geht damit in Erfüllung.

Wilhelm Scharnow, Reisebüroinhaber aus Bremen, kam 1951 durch Zufall nach Waging. Dieser erkannte als erfahrener Fachmann sofort, dass man mit der Landschaft und dem See den Tourismus »groß« aufbauen kann. Schuhbeck und Hafenmair vereinbarten mit Herrn Scharnow, dass im Sommer 1952 acht Sonderzüge mit Gästen nach Waging kommen. Nun hieß es nicht mehr »wo kommen die Gäste her«, sondern »wo bringen wir sie unter«?

Die Bevölkerung wurde nun von Schuhbeck und vom Verkehrsverein unter Vorsitz von Hafenmair gebeten, die Betten zur Verfügung zu stellen und mit bescheidenen Übernachtungspreisen vorlieb zu nehmen. Preise je Person und Tag:

Übernachtung im Zimmer ohne fließendes Wasser 1,20 DM, mit fließendem Wasser 1.50 DM Frühstück 0,70 DM, Mittagessen 1,45 DM und Abendessen 1,20 DM. Eine Übernachtung mit Vollpension kostete also durchschnittlich 4,70 DM. Die Vermieter rückten in ihren Häusern und Wohnungen eng zusammen und im Sommer 1952 konnten die erforderlichen 450 Betten zur Verfügung gestellt werden. Die Zimmer waren nur sehr einfach eingerichtet mit Doppelbett, Kommode, Schrank und zwei Nachtkästchen. Auch die Betten hatten bei weitem nicht den Komfort wie heute, denn sie hatten oft nur eine Länge von 1,80 m und eine Breite von 80 cm. Die Matratzen hatten grundsätzlich Sprungfedern, waren mit Seegras gefüllt und meistens 3-teilig. Als Waschgelegenheit gab es in vielen Zimmern nur einen Krug mit kaltem Wasser und eine Waschschüssel aus Porzellan.

Alle halfen zusammen, um den Gästen den Aufenthalt in Waging so schön wie möglich zu machen. Die Gäste wurden von den Vermietern am Bahnhof mit den Klängen der Waginger Blaskapelle herzlich empfangen.

Der Ort erstrahlte im Blumenschmuck, der Trachtenverein veranstaltete Heimatabende und die Wirte boten alles auf, um die Gäste zufrieden zu stellen. Die damaligen Busunternehmer Wembacher und Lang boten Tagesausflüge zum Königsee, zum Chiemsee mit Schloss Herrenchiemsee, nach Salzburg, zum Wolfgangsee mit »Weißem Rössl« zum Großglockner oder eine Fahrt ins Blaue an. Auch dieses Angebot wurde von den Gästen gerne angenommen. Kurz und gut, es wurde alles getan, um den Gästen einiges zu bieten. Nach der Sommersaison 1952 zählte man in Waging schon 38000 Übernachtungen. Ein Jahr zuvor waren es nur 2000.

1953 benötigte man in Waging schon 900 – 1000 Betten, um die Gäste unterbringen zu können. Der Verkehrsverein baute am Marktplatz ein Verkehrsbüro und einen Lesesaal. Auch baute er 3 Kneippanlagen zum Wassertreten und stellte über 80 Ruhebänke im Markt und in der Umgebung an markierten Spazierwegen auf. Scharnow stellte Waging in seiner »Scharnow – Reisefiebel« Waging als Hauptzielort heraus. Bürgermeister Schuhbeck erwarb durch Grundstückstausch an der »Überfuhr« 30 Tagwerk Grund, auf dem er nach zähem Widerstand der Naturschutzbehörde ein Strandkurhaus mit Badestrand und Liegewiese errichtete. Am 9. Juni 1953 wurde das Strandkurhaus feierlich eröffnet. Oberlehrer Josef Benkert hielt die Festrede, in der er die Wirkung des Strandkurhauses als Vorbild für den Fremdenverkehr im ganzen Rupertiwinkl bezeichnete.

In den über 300 Buchungsstellen der »Scharnow-Reisen« war Waging bereits in April für die Hauptreisezeit ausverkauft. So mancher Gast wurde in Waging Stammgast und so ist es auch nicht verwunderlich, dass auch heute noch Gäste für oftmaligen Aufenthalt geehrt werden. Dass die Gäste in Waging auch mit oft bescheidenen Quartieren sehr zufrieden waren, beweist die Eintragung in das Gästebuch meiner Tante:

»Wir haben so manches Städtchen gesehen
Doch keines war wie Waging so schön
Besonders den See, den lieben wir sehr
Darum kommen wir schon zum 3. Mal her
Es macht uns Freude und viel Vergnügen
Den ganzen Tag am Strand zu liegen
Doch wenn der Himmel einmal grollte
Und die Sonne gar nicht scheinen wollte
So flüchteten wir in unser Quartier Und unsere »Wirtin« wartete schon hier
Wir saßen in froher Kaffeerunde
Und verplauderten so manche Stunde
Drei Wochen sind um, der Urlaub ist aus
Wir fahren erholt und zufrieden nach Haus
Und wenn das Schicksal so will wie wir
Dann sind wir nächstes Jahr auch wieder hier«.

Die erforderlichen 1000 Betten konnten tatsächlich zur Verfügung gestellt werden und bei der Herbstversammlung des Verkehrsvereins 1953, konnte Schuhbeck bereits von 90000 Übernachtungen berichten. Seit Herbst 1953 hat Waging das amtliche Prädikat »Erholungsort«. Durch Dr. Willy Beeker in Gaden und Seb. Schuhbeck am Kurhaus, wurden Campingplätze geschaffen. Im Jahr 1954 zählte man schon 9000 Gäste mit 120000 Übernachtungen.

1957 wurde Waging in großen deutschen Tageszeitungen als das »deutsche Fremdenverkehrswunder« bezeichnet. Fuhr man 1952 noch in Zügen mit Holzbänken, konnte man Waging ab 1957 mit Liegewägen erreichen. Anfang der 60-er Jahre verzeichnete man in Waging ca. 150000 Übernachtungen und lag damit an 3. Stelle hinter Ruhpolding und Reit im Winkl.
Im Dezember 1966 erreichte Waging mit den Orten Gaden und Nirnharting das Prädikat Luftkurort, das im Zuge der Gebietsreform 1972, nach zähen Verhandlungen mit dem Innenministerium auf die eingegliederten Orte Otting, Freimann und Tettenhausen erweitert wurde.

Bis heute im Jahr 2004, hat der Fremdenverkehr für die Marktgemeinde Waging am See eine große wirtschaftliche Bedeutung. Waging hat sich den »sanften Tourismus« auf seine Fahnen geschrieben und bietet seinen Gästen neben dem See auch noch eine große Zahl an Wander- und Radwegen, die mit dem »Mozart«- und »Bajuwaren«- Radweg bis ins benachbarte Österreich (Land Salzburg, Oberösterreich ) führen.

RL

Quellen: Festschrift 600 Jahre Markt Waging (1985), hier: Die Entwicklung zum Luftkurort v. J. Gassner S.96ff. Erinnerungen und privates Archiv des Verfassers. Es geschah im 2. Jahrtausend Verlag A. Miller Traunstein. Bilder: Festschrift 600 Jahre Markt Waging S. 97 ff. ( Repro Hans Meyer). Privates Archiv des Verfassers.



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