Jahrgang 2024 Nummer 32

Der eigene Bart als Todesfalle

Hans Staininger kam 1567 in Braunau auf kuriose Art ums Leben – »Mordwaffe« im Museum ausgestellt

Sein Bart brachte Hans Staininger der Legende nach um. In London entstandene Lithografie von 1814. (Repro: Mittermaier)
Der nach dem Tod Stainingers abgeschnittene Bart ist heute im Bezirksmuseum Braunau zu besichtigen. (Foto: Stadtamt Braunau)

Das Städtchen Braunau hat eine eigenartige Affinität zu Männern mit merkwürdiger Gesichtsbehaarung, und das gilt nicht nur für den ominösen Träger des Oberlippenbärtchens, der sich im Zweiten Weltkrieg als einer der schlimmsten Massenmörder der Geschichte entpuppte. Jahrhunderte vor Adolf Hitler schrieb ein anderer Braunauer mit seinem Bart auf skurrile Art und Weise Geschichte. Hans Staininger, Kaufmann und Stadthauptmann soll sich 1567 so unglücklich in seinem mehr als zwei Meter langen Bart verfangen haben, dass er stürzte und sich dabei tödlich verletzte. Braunau gehörte als Teil Innbayerns damals zum Herrschaftsbereich des Herzogtums Bayern und so ist Stainingers schicksalhafter Stolperer – so er sich denn tatsächlich zugetragen hat – ein kurioses Kapitel bayerischer und nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, ein Fall für österreichische Geschichtsbücher. Das heute 17 000 Seelen umfassende Städtchen fiel erst 1779 im Zuge des bayerischen Erbfolgekriegs an Österreich – und erst dann erhielt die Region den heute üblichen Namen Innviertel.

Hans Staininger war kein alteingesessener Braunauer, sondern kam um 1508 im niederbayerischen Pfarrkirchen zur Welt, als Sohn des dort ansässigen Händlers Wolfgang Staininger und dessen Frau Barbara. Möglicherweise hat der spätere Stadthauptmann von Braunau seine Veranlagung zu üppigem Haarwuchs von seiner Mutter geerbt, denn in der Leichenpredigt zum Begräbnis von Hans Stainingers Sohn Hans Junior, der 1634 in Augsburg starb, heißt es über Barbara Staininger: »sie hat ein Haar gehabt, ist ihr bis auf die Fersen der Sohlen hinab gegangen.«

Über Hans Stainers Werdegang in Pfarrkirchen und seinen Umzug nach Braunau ist weiter nichts bekannt. Beruflich stieg er in die Fußstapfen von Vater Wolfgang und verdiente sich sein Brot ebenfalls als Händler. Im Zusammenhang mit der Verleihung eines Wappenbriefs 1531 durch den späteren Kaiser Ferdinand an Hans und dessen Brüder Wolfgang und Jörg ist die Rede von Ochsenhandel. Süddeutsche Viehhändler kauften im 16. Jahrhundert Ochsen, die aus Ungarn stammten und auf Märkten in Österreich umgeschlagen wurden. Die in der ungarischen Tiefebene gezüchteten Tiere spielten eine maßgebliche Rolle bei der Fleischversorgung hiesiger Städte. Augsburg beispielsweise importierte in den 1580er Jahren in einem Zeitraum von zehn Jahren an die 75 000 Ochsen, die jedoch nicht alle aus Ungarn, sondern zum Teil auch aus Böhmen und Polen stammten.

Nicht nur das Fleisch der Tiere spielte eine wichtige Versorgung für die Bevölkerung: Talg wurde zur Herstellung von Unschlitt verwendet, Knochen zur Produktion von Seife, Häute gingen an Gerbereien und was dann noch übrig war, konnten Salpetersieder zur Gewinnung von Salpeter brauchen, das wiederum für die Erzeugung von Schwarzpulver nötig war. Staininger handelte darüber hinaus auch mit Getreide, wie einem historischen Gerichtsbuch der Stadt Mühldorf zu entnehmen ist. 1564 erscheint er dort als Kläger gegen einen gewissen Hanns Höld, der ihm Getreide verkauft hatte, das während des Transports auf einer Zille nass geworden und anschließend verdorben war.

Seit wann Staininger in Braunau lebte, ist nicht bekannt. Er muss jedoch schnell Fuß gefasst haben, denn er wird nicht nur zum Mitglied des Inneren Rats, sondern auch sechsmal zum Stadthauptmann gewählt – eine verantwortungsvolle Position mit einer Doppelrolle als Bürgermeister und Polizeichef.

Spätestens Anfang der 1550er Jahre war Staininger auch verheiratet mit Catharina, geborene Sidler, die 1552 Hans Junior zur Welt bringt. Der wird später nach Augsburg auswandern und sich dort innerhalb kürzester Zeit zu einem der reichsten Bürger der Stadt hocharbeiten. Hans Steininger Junior und dessen Nachfahren werden auch eine Rolle in der Bartangelegenheit spielen.

Hans Steininger Senior wäre indes ohne seinen ungewöhnlichen Haarwuchs wohl ohne weiteres Aufheben im Dunkel der Geschichte verschwunden. Die trotz mehrfachen Schneidens immer wieder auf drei Ellen Länge angewachsene Gesichtsbehaarung – eine bayerische Elle umfasste 83 Zentimeter, so dass der Bart um die 2,5 Meter nach heutigem Maß lang war – hatte dem Kaufmann schon zu Lebzeiten zu einer gewissen Berühmtheit verholfen, die sich durch seinen offenbar tragischen Tod noch entsprechend steigerte. Allerdings gibt es über sein Ende so viele unterschiedliche Varianten, dass man heute kaum mehr zwischen Phantasie und Wahrheit unterscheiden kann. Einig sind sich die verschiedenen Überlieferungen indes nur in einem, nämlich dem Ende: denn in allen Geschichten stolpert Staininger über die Stränge seinesBarts und stürzt dabei so schwer, dass er dabei ums Leben kommt.

Die folgende Auflistung ist nur eine Auswahl jener Ereignisse, die über seinen Tod am 28. September 1567 kolportiert wurden: Einer Version zufolge soll in Braunau ein Brand ausgebrochen sein und Staininger habe, vor lauter Eile, um an den Ort des Geschehens zu eilen, vergessen, die Bartstränge ordentlich um seine Beine zu wickeln. Er verhedderte sich in seinem langen Bart und fiel dadurch eine Treppe hinunter, wobei er sich das Genick brach. Einer anderen Darstellung zufolge sei es zu einem fatalen Sturz gekommen, weil Steininger, als er hörte, dass eine berühmte Persönlichkeit auf dem Weg nach Braunau war, abrupt aufgesprungen und über den wallenden Bart gestolpert sei. Einer anderen Anekdote zufolge soll die von einem Boten lautstark in der Stadt verkündete Nachricht vom Tod des Kaisers Auslöser für das Unglück gewesen sein.

Staininger, der gerade an einem Tisch im Rathaus mit dem Studium von Urkunden beschäftigt war, sei darüber so erschrocken gewesen, dass er aufsprang und sich so in seinen Bartsträngen verhedderte, dass er stürzte und sich dabei den Kopf tödlich aufschlug. Diese Version kann allerdings schon deshalb nicht stimmen, weil keiner der österreichischen Kaiser 1567 starb: Ferdinand I. segnete 1564 das Zeitliche und dessen Nachfolger Maximilian lebte bis 1576. Was auch immer an den Storys über Hans Staininger stimmt – und wie er tatsächlich gestorben ist. Eines ist zumindest gesichert, und das ist die Existenz seines Barts: Im Braunauer Bezirksmuseum in der Herzogsburg ist ein langer, blonder Zopf ausgestellt, dessen Haare einst das Kinn des Kaufmanns zierten. Das Corpus Delicti wurde Steininger angeblich nach dem Tod abgeschnitten und seiner Verwandtschaft übergeben. Mit Hans Stainingers Sohn Hans Junior kam das ominöse Erbstück nach Augsburg, wo es innerhalb über mehr als drei Jahrhunderte an die jeweils nachfolgende Generation vererbt wurde. Nachdem die Braunauer Stadtväter 1830 schon einmal versucht hatte, den Bart von den damaligen Besitzern käuflich zu erwerben – worauf diese aber nicht eingingen, machten die späteren Erben den Zopf 1911 Braunau zum Geschenk, wo es heute im Bezirksmuseum in der Herzogsburg zu bestaunen ist.

Erhalten ist überdies auch das Grabmal Hans Stainingers an der Stadtpfarrkirche: Die aus einer Marmorplatte herausgehauene Figur zeigt einen im Stil der spanischen Hoftracht bekleideten Mann – die damals übliche Tracht für Personen in öffentlichen Ämtern. Vom Kinn des steinernen Herrn Staininger wallt der üppige Bart, der sich auf Hüfthöhe in zwei lockige Strähnen teilt, die erst ein Stück unterhalb der Zehenspitzen enden. Neben der Figur auf dem Grabmal gibt es in Braunau weitere Statuen von Staininger und in ganz Europa verstreut auch mehrere Gemälde und Zeichnungen, die den Stadthauptmann ebenfalls in spanischer Tracht und wallendem Bart zeigen. Sein ungewöhnlicher Haarwuchs mochte ihm zwar einen tragischen Tod beschert haben, er machte Hans Staininger aber weit über die Grenzen Bayerns hinaus bis heute berühmt.

 

Susanne Mittermaier

 

32/2024