Der Bombentrichter in der Pechschnait
Erinnerungen an das Kriegsende – und die Zeit danach

Irgendwann in der Zeit des »Umbruchs«, als die Amerikaner mit ihren Fahrzeugen über unsere Straßen rollten, ist es gewesen, als damals ein amerikanischer Flieger der, wie später bekannt geworden war, in Richtung Salzburg fliegend, oder von dort gekommen war, wegen eines Schadens an seinem Flugzeug, notgedrungen zwei Bomben abwerfen musste.Ummöglichst kein Gebäude, oder gar Menschen zu gefährden, fiel schließlich eine Bombe auf die Verbindungsstraße nach Salzburg, im »Surtal« genau zwischen zwei Häuser.
Eine zweite schlug in dem unweit entfernten Moorgebiet, der »Pechschnait« ein. Eine gute Bekannte kann sich noch gut daran erinnern, denn diese hat den Abwurf sozusagen, fast hautnah miterlebt: »Ja mei«, meinte diese, »erschrock'n san mia alle schon narrisch, aber dortmois ist's hoit so g'wes'n, so nah bei der Stod«. Während das riesige Loch, das die ganze Straßenbreite ausgefüllt hatte, möglichst schnell aufgefüllt worden war, blieb der riesige Bombenkrater in der Pechschnait offen.
Als die Zeit der Ängste, die Alt und Jung auch in der Landbevölkerung betroffen hatte, endlich vorbei gewesen war, gab es vor allen für die Schulbuben so vieles zu erforschen. Auf ihren Streifzügen durch die Pechschnait, die durch ihr weitflächiges Wald- und Moorgebiet, damals nicht nur geflohenen, deutschen und französischen Soldaten Schutz geboten hatte, fand sich vieles Interessante und Aufregende. Zusammen mit seinem Freund, dem Seppi, hatte mein Mann, wie er oft erzählte, wahre »Schätze« entdeckt. Es waren dies vor allem verschiedene Pistolen und für diese, für die Buben wertvollen Funde, musste natürlich ein todsicheres Versteck gefunden werden. Weil es auch an dazugehöriger Munition nicht mangelte, musste natürlich alles genau inspiziert und auch ausprobiert werden. Nur einige von ihren Mitschülern wussten um diese geheimen Funde, denn auch diese hatten in ihrer Umgebung ähnlich »Wertvolles« entdeckt. Natürlich mussten auch deren verschiedene Waffen und die Munition auf ihre Tauglichkeit ausprobiert werden. Deshalb waren für die Buben die Nachmittage, wo sie drinnen in der »Pechschnait« immer wieder neues erkundeten, viel zu kurz.
Ein besonderes Interesse galt natürlich auch dem riesengroßen »Bombentrichter«, dessen Untergrund mit Geröll und abgebrochenen Ästen bedeckt war. Unmittelbar davon, befand sich auch das Versteck ihrer »Schätze«. Bedingt durch die moorige Lage, war dieser je nachdem wie viel es geregnet hatte, mit mehr oder weniger Wasser angefüllt. Eine große Seltenheit aber war es, wenn sich in diesem riesigen, breiten Loch, gar kein Wasser angesammelt hatte. Diese seltene Gelegenheit wollten die beiden Buben für ein ganz besonderes Vorhaben ausnutzen, sie wollten im »Bombentrichter« übernachten.
Es galt nun, dies schnell in die Tat umzusetzen, denn bestimmt würde das Wetter sehr bald umschlagen. So trugen sie als erstes die lange Holzleiter hinten im Stadel, heimlich durchs Holz dorthin und ließen diese vorsichtig hinunterrutschen. Als nächstes musste das Nachtlager hergerichtet werden, dazu waren die herumliegenden, trockenen »Dax'n« (Reisig) eine ideale Unterlage. Auch die alten »Barrasdecken«, die von irgendwelchen Soldaten in der Holzhütte liegengelassen wurden, waren genau das Richtige.
Weil die Nächte schon empfindlich kaltwerden konnten, wollten die beiden, so dass es der Vater nicht merkte, die zwei warmen »Rossdecken« zum Zudecken in ihrem Nachtlager mit hinunter nehmen. Auch sollte der Vater von deren Übernachtungsplan, nichts erfahren, Seppis Vater aber war im Krieg gefallen, die Mütter hatten nach langem Betteln schließlich eingewilligt. So sollte also die Mutter etliche Butterbrote und zwei große Flaschen Milch herrichten, denn am nächsten Tag, einem Samstag, sollte das Unternehmen endlich »starten«. Das Petrolium in der alten Lampe würde auch noch ausreichen, so war nun alles vorbereitet, so dass eigentlich nichts mehr schiefgehen konnte.
Vor dem »Finsterwerden« wurde nochmal eine genaue »Inspektion vorgenommen« und fest abgemacht, dass hier morgen Vormittag ihr Treffpunkt sei. Vor dem Zubettgehen schauten die Buben draußen nochmal nach, ob das trockene Wetter auch noch »anhalten« würde. Jedoch es hatte nicht »angehalten«, denn schon in der Nacht, hatte das Plätschern der Regenrinne vor dem Haus, meinen Erzähler aus dem Schlaf geweckt. Gleich nach der »Morgensuppe« war er damals durch den noch dämmrigen Wald, dem »Bombentrichter« zugerannt, wo schon der Seppi ungeduldig auf seinen Freund gewartet hatte. Tropfnass standen beide nun davor und schauten ungläubig zu, wie dieser sich immer mehr mit Wasser anfüllte.
Aus wars mit dem so gut geplanten Vorhaben vom Übernachten, auf das sie sich so gefreut hatten. Gut, dass sie die warmen, teuren »Rossdecken« noch nicht hinuntertransportiert hatten, fiel den Buben als erstes ein, denn die hätte der Vater bald vermisst. Kurz darauf trottete jeder missmutig und enttäuscht heimzu, doch schon am Tag darauf, am Sonntag, hatten die beiden fest vereinbart, ihr Vorhaben bei der nächsten Gelegenheit auszuführen.
Dass dieser unheilvolle, von einer Kriegsbombe verursachte, riesige »Bombenkrater«, noch einen Nutzen haben könnte, hätte keiner gedacht, doch weil Not erfinderisch macht, wie es heißt, war dies auch damals so. Gab es nämlich ein recht trockenes Jahr mit vielen Trockenperioden, reichte trotz Wasser sparen dies kaum, oder gar nicht mehr für das Vieh aus. Die Wasservorräte, die meist von einer kleinen Quelle kamen, wurden immer weniger, so dass ein kleiner »Leierbrunnen« vor dem Waschhaus nur noch notdürftig zum Wäschewaschen ausreichte.
Das kleine »Wasserloch« inmitten einer sumpfigen Wiese, wurde von jeher als »Pferdetränke« gebraucht, für die Kühe jedoch musste von irgendwoher Wasser beschafft werden. So war es naheliegend, sich das im »Bombentrichter« meist noch angesammelte Sumpfwasser heraufzuholen. Deshalb spannte der Vater die Rösser vor das hölzerne Wasserfass, mit dem er durch den holprigen Waldweg dorthin fuhr.
Mit dem »Wasserschöpfer«, an dessen überlangem Holzstiel eine blecherne Kelle befestigt war, schöpfte dieser mühsam Kelle für Kelle aus dem sumpfigen Loch und hinein in das Holzfass. Beim Heimfahren hieß es gut aufpassen, dass ja nicht zu vielWasser aus dem Fass rann.
Es war dies eine Arbeit, bei der die Zeit keine Rolle spielen durfte, dafür aber das Vieh getränkt werden konnte. Die beiden Freunde waren immer dabei und meinten zueinander, dass das Wasser dort drinnen doch wichtiger sei, als ihre Übernachtung.
Heute findet kaum einer mehr die Stelle, an der damals ein amerikanischer Flieger notgedrungen eine Bombe abgeworfen hatte. Sie ist mit den Jahren in dem moorigen Grund, wie so vieles von damals, zugewachsen.
Elisabeth Mader
46/2024