Jahrgang 2002 Nummer 14

Der »alte Stöckl« Josef Holzmair

Das Vachendorfer Original stand den Malern Leibl und Sperl vor über 100 Jahren Modell

Für das Gemälde Wilhelm Leibl und Johann Sperl »Der Bauernjäger« (1894, Öl auf Leinwand, 78,2 cm mal 56,4 cm, Bez, rechts unten:

Für das Gemälde Wilhelm Leibl und Johann Sperl »Der Bauernjäger« (1894, Öl auf Leinwand, 78,2 cm mal 56,4 cm, Bez, rechts unten: W. Leibl, darunter: J. Sperl ´94) stand nachweislich der gebürtige Vachendorfer Josef Holzmair, genannt »der alte Stöckl«, Modell
»Worauf schießen Bauernjäger? Auf Niederwild der Nichtstaatswaldflächen: auf Hasen und Hühner, Auer- und Birkhähne, Wildtauben, Fasanen, Schnepfen. Ein Hund ist des Bauernjägers treuer Gefährte und Helfer. Aus der Büchs` feuert die Kugel ab, aus der Flinte das Schrot«.

Ihren »Bauernjäger« stellten die Malerfreunde Wilhelm Leibl (1844 bis 1900) und Johann Sperl (1848 bis 1914) in dem Dörfchen Kutterling, das heute zu Bad Aibling gehört, ins grün überwucherte Moor, das nach Süden zu die Alpen säumen. Und sie konterfeiten ihn so ab, dass er den Betrachter anschaut. Lederstiefel trägt der mit Doppelflinte und Tabakspfeife ausgerüstete alte, hochgewachsene, schlanke Mann in strenger Tracht des Oberlandes: Wetterfleck, Joppe, Filzhut. Dem Niederwild mag’s hier behagen: viel Gras, Wildblumen, Kräuter rund um Birke, Erle und Fichte. Die Torfhütte aus ausgelaugtem Bretterholz trotzt aller wittrigen Unbill und gewährt dem Vieh kurzzeitig Heimstatt und Schutz.

Nicht nur die Maler sind namentlich bekannt, auch ihr knorriges, bärtiges Motiv im Bildzentrum, das, gleich der Birkengruppe, kerzengerade vom Boden in den Himmel ragt. Es ist der »alte Stöckl«, ein damals, als das Bild entstand, »82-jähriger Gütler namens Josef Holzmair aus Vachendorf bei Traunstein«. So heißt es bei Bruno Bushart. Er ist Autor der Begleitschrift zur aktuellen Ausstellung »Wilhelm Leibl und Johann Sperl – Der Bauernjäger« (bis 21. April 2002) im Museum Georg Schäfer zu Schweinfurt am Main. 29 Exponate sind zu sehen. Alle gibt die schmale Begleitschrift (64 Seiten) wieder, darüber hinaus sind weitere zwölf Abbildungen enthalten, mit denen Professor Bushart, von dem das Konzept der Ausstellung stammt, kunsthistorische, aber letztlich auch heimatgeschichtliche Hintergründe ausleuchtet.

So weist der Kunsthistoriker darauf hin, dass der »alte Stöckl« aus Vachendorf Wilhelm Leibl »wohl am längsten als Modell gedient hat und 1898, zwei Jahre vor diesem, gestorben ist«. Angeblich wird dies vom Münchner Ordinariatsarchiv nicht bestätigt. Bei dem Leibl-Biographen und -Intimus Dr. med. Julius Mayr (1855 bis 1935) erfährt man über den gebürtigen Vachendorfer allerhand. Er war Junggeselle. Er konnte gut Holz machen. Er mochte gern Haus- und Atelierarbeit verrichten. Er war von zähem Wesen und stabiler Gesundheit. Noch im hohen Alter von achzig Jahren unternahm er eine Pilgerreise ins Heilige Land. Dazu gibt es eine Anekdote, die den »alten Stöckl« als Original kennzeichnet: Auf der Palästinafahrt soll er sich ausschließlich von dem von daheim mitgenommenen Geselchten ernährt und die Mitreisenden ausgelacht haben, die von dem einheimischen »Glump«, das sie verzehrten, krank geworden waren. Die »Elektrische« schien dem »Modell von seltener Brauchbarkeit«, wie Julius Mayr urteilt, als »Teufelsfuhrwerk«, das er nicht einmal dann benützt hätte, wenn man ihm das Fahrgeld dafür gegeben hätte.

Der Bezirksarzt Julius Mayr, der es von Berufs wegen hatte wissen müssen, bestätigt in seiner Biographie dem beliebten, oft eingesetzten Maler-Modell Wilhelm Leibls »prägnante Züge« und eine »gut bäuerliche Intelligenz«. Sein eigenes kleines Anwesen soll er, Julius Mayr zufolge, so peinlich sauber wie er insbesondere das Atelier des befreundeten Meisters Leibl »immer aufs reinlichste« säuberte, gehalten haben.

Gegen allerhand Krankheit und Gebresten soll der »alte Stöckl« seine »Sympathiemittel« gehabt haben. An Geisterspuk und Hexenumtrieb glaubte er fest. Von den Medici hielt er nicht allzu viel. Allein die Nennung des Namens des damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck soll seinen hellen Zorn hervorgerufen haben. Er, der keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte, soll behauptet haben: »50 000 solche wie ich, dann gibt’s keinen Großen mehr!« (Wenige Jahrzehnte später hätte es einem bereits Leid tun können, dass der »alte Stöckl« keine 49 999 Gleichgesinnte hatte, um dem aufkommen– »Großen« von vorneherein den Garaus zu machen.)

Den Holzmair Sepp finden wir, wie Bruno Bushart in seiner Studie zu Wilhelm Leibl und Johann Sperl behauptet, noch auf weiteren Leibl-Bildern, und zwar sowohl aus Leibls Aiblinger als auch aus dessen Kutterlinger Zeit. 1891 verewigte der Künstler seinen treuen Helfer Sepp Holzmair als »Zeitungsleser«, allerdings nicht des Oberbayerischen Volks- oder des Traunsteiner Wochenblattes (das damals schon existierte), sondern der »Münchener Neuesten Nachrichten«, wie selbst auf der stark verkleinerten Katalog-Abbildung des Gemäldes erkennbar ist. Dieses befindet sich heute im Museum Folkwang, Essen. Es gewährt uns Heutigen nebenher auch einen Blick in Leibls Aiblinger Atelier.

Das Gemälde mit dem »Bauernjäger« von 1894, das der Schweinfurter Ausstellung den Titel gibt, hat seinen Vorgänger in dem ein Jahr früher entstandenen Werk (Öl auf Leinwand, Walraff-Richartz-Museum, Köln) »Bau-
ernjägers Einkehr«. Der gut geschnittene Kopf des Vachendorfers Josef Holzmair richtet seinen Blick auf die »Tumin«, ein weibliches Modell Wilhelm Leibls, das hier versonnen den Kaffee mit einer Handmühle mahlt – vielleicht für den ihr sympathischen, soeben von der Pirsch heimgekehrten Jäger. Bäuerliche und jägerische Tracht, ländliches Interieur und Gerät gelingen Leibl geradezu dokumentarisch exakt. Doch versteht er es bei allem Realismus und Naturalismus, über seine Alltags-Szenarien den Hauch des Vergänglichen, Träumerisch-Abwesenden zu legen. Die Stille, die seine Bilder atmen, weisen ihn als Romantiker aus.

Die Stuttgarter Staatsgalerie bewahrt ein Ölbildnis Leibls von 1890, das den »Kopf eines alten Bauern« zeigt: ein offenes älteres wettertrotzendes Antlitz mit Schnauz- und Kinnbart, scharfen Konturen, harten Wangenknochen, leichtem Lächeln auf den geschlossenen Lippen. – Die Augen nicht weniger wach, jedoch noch skeptischer und seitlich abgewandt weist das »Porträt eines alten Mannes mit Hut« von 1893 auf, das sich im Besitz des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden befindet. Es handelt sich um eine Federzeichnung auf Papier. Beide Werke Wilhelm Leibls weisen den »alten Stöckl« aus Vachendorf bei Traunstein schon in der Bildbeschriftung eindeutig als Modell aus.

Schon 1924 fragte Georg Jakob Wolf in seinem Buch »Leibl und sein Kreis«, das Bruno Bushart zitiert: »Wer möchte ... glauben, dass hier (gemeint ist das titelgebende Gemälde »Der Bauernjäger«; d. Verf.) zwei Künstler am Werk waren!« Tatsächlich trägt das Bild vom Ausmaß 78,2 mal 56,4 cm in der rechten unteren Ecke eine Doppelsignatur: »W. Leibl«, »J. Sperl. `94«. Den versteckten Vorwurf der Unzulänglichkeit dieser Angabe begründet Bushart damit, dass sich »in beiden Namen ... als anonymer dritter und jüngster Autor« die Fotografie geselle.

Neun Bilder, so ist dem Büchlein Busharts zu entnehmen, haben Wilhelm Leibl und Johann Sperl gemeinsam gemalt. Darunter sind »Leibl und Sperl auf der Jagd« (1888), »Leibl und Sperl auf der Hühnerjagd« (um 1890) und »Der Birkhahnjäger« (1893). Diese Gemälde hängen auch in der Schweinfurter Ausstellung.

Leibl verwendete hierfür, wie er dies zuvor schon öfters gemacht haben soll (und es Malerkollegen praktizierten, beispielsweise Franz von Stuck), die Fotografie als Hilfsmittel. Er selbst steht auf einem Foto von 1893, das dem Heimathaus Aibling entliehen ist, mit der Flinte in der linken Hand vor einem Lattenzaun. Er verwendet eben dieses Motiv in dem Geimeinschaftsbild mit Johann Sperl (1893) »Der Birkhahnjäger«, das sich heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befindet. Auch vom »alten Stöckl« hat Leibl ein Foto verwendet, und zwar für sein Gemälde »Der Bauernjäger«, das durch die Ausstellung im Museum Georg Schäfer zu ungeahnten Ehren gekommen ist. Bruno Bushart hält dieses Foto – es gehört ebenfalls dem Heimathaus Aibling – für nichtssagend im Vergleich mit dem »faszinierenden Bauernschädel des Gemäldes« und kommentiert: »Für die Details aber, Hut und Pfeife, brauchte ein Könner wie Leibl keine Vorlage.«

Das möchte man auch meinen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie stark der Eindruck gewesen sein muss, den Wilhelm Leibl aus den jBewegungen und der Sprache – der gesamten Ausstrahlung – seines guten Bekannten und Bediensteten für sein bildnerisches Schaffen gewonnen hatte. Er beobachtete den alten, geachteten Mann mit Sicherheit scharf. Er hatte Umgang mit ihm, unterhielt sich mit ihm. Er erkannte in ihm eine porträtreife und eigenwillige Persönlichkeit. Vielleicht war der »alte Stöckl« Wilhelm Leibls bestvertrautes Modell überhaupt. Weder der Karebacher (d. i. Karl Bacher) – eingegangen in das »Bildnis des Jägers Karebacher« (Öl auf Holz, 1891, Privatbesitz) noch seine Haushälterin Marie Ebersberger, zu finden als »Junge Bäuerin in oberbayerischer Tracht in der Küche« (Kohle und Zimmermannsbleistift auf Papier, 1895, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt) haben wohl den Rang eines Josef Holzmair alias der »alte Stöckl« aus Vachendorf erreicht.

Wie so vieles, was wir über diesen Kauz wissen, verdankt sich auch die Überlieferung folgender Anekdote dem Berichterstatter Dr. Julius Mayr: »Die Arbeit ging nicht vorwärts, es half kein Schimpfen und kein Ausrasten, und mit dem Worte `Pfuscherei`sprang Leibl vom Stuhle auf und setzte hinzu: `Stöckl, jetzt schreist du zum Fenster hinaus, so laut du kannst, damit die Leute im Bade es hören: `Der Herr Leibl ist der größte Pfuscher der Welt`. Es war ein heißer Sommertag und das nahe Schwimmbad voll besetzt. Stöckl lachte erst, macht dann Einwendungen, aber immer klingt ihm nur das eine scharfe Wort entgegen: `Jetzt schreist du hinaus.`Da endlich neigt Stöckl den Kopf zum Fenster hinaus und sagt halblaut den Satz vor sich hin. `Lauter`, tönt’s wieder. Stöckl spricht lauter. Òb du schreien willst.`Da endlich schreit der Geplagte so laut er kann: `Der Herr Leibl usw.`Als er sich aber nach der vermeintlichen getreuen und guten Lösung seiner Aufgabe umwendet, sieht er in das strenge Antlitz des Künstlers, und wie vom Schrecken gelähmt muss er die Worte anhören: `Wie kannst du mich vor aller Welt so blamieren, schäm dich, deinem Brotherrn so etwas anzutun.`Nun brechen Tränen aus des Guten Augen, und klagend kommt er zu Sperl gelaufen, der ihn trösten muss. Leibl aber lacht unbändig.«

Um Näheres und mehr, als hier mitgeteilt werden konnte, über Josef Holzmair aus Vachendorf zu erfahren, nützt es womöglich, die 1935 erschienene Schrift des Freundes beider Maler, Leibls und Sperls , Julius Mayrs einzusehen. Bruno Bushart teilt lediglich mit, dass sie existiert, versäumte es aber, sie in der Liste seiner für seine verdienstvolle Arbeit verwendeten Literatur zu nennen.

HG



14/2002