Jahrgang 2002 Nummer 17

Das Maibaumaufstellen in St. Leonhard

Nicht immer lief dabei alles reibungslos ab

»St. Leonhard/Wonneberg. Wenn Grünwald sich rühmen konnte, den höchsten Maibaum Bayerns mit 42 Metern zu besitzen, so wurde dieser Rekord von der Gemeinde Wonneberg übertroffen. Am letzten Sonntag, 8. Mai, stellten die Burschen vor dem Gasthaus Eder in St. Leonhard am Wonneberg einen 46 Meter hohen Maibaum auf. Mit großer Spannung wurde dieses Ereignis erwartet: denn einen Baum in solchen Ausmaßen aufzustellen, bedeutete schon ein riskantes Unternehmen, haben doch die Burschen keinerlei maschinelle Hilfe, wie Seilwinde oder ähnliches in Anspruch genommen. Zahlreiche Zuschauer von hier und umliegenden Gemeinden verfolgten mit gespanntem Interesse, wie die kräftige männliche Jugend unter der fachmännischen Leitung von Herrn Josef Maier, Obermoosen, sich an das Werk machte. Gar manche Wette wurde abgeschlossen, dieses Ungetüm nur mit Hilfe von Stützen aufzustellen, wäre unmöglich. Doch nach zwei Stunden anstrengender Arbeit stand der schöngewachsene, weißblau gestrichene und mit allerhand Zierrat geschmückte Maibaum und die Fähnchen und Bänder flatterten lustig in den sonnigen blauen Himmel hinein. Ein mächtiger Tusch der Leonharder Musikkapelle zeigte das glückliche Gelingen an. Anschließend an den schönen alten Brauch des Maibaumaufstellens begab sich die Jugend zum fröhliche Maitanz.«

Treffsicherer als in diesem Zeitungsbericht vom 11. Mai 1955 kann man den Ablauf des Maibaumaufstellens, der in all den Jahren gleich geblieben ist, wohl kaum beschreiben. Es bleibt noch hinzuzufügen, dass der Baum, der in St. Leonhard traditionsgemäß aus zwei Teilen zusammengesetzt wird, entweder von einem Bauern aus der Gemeinde gestiftet oder von den Burschen »gestohlen« wird. Zum richtigen Zeitpunkt wird der Baum im Winter fachmännisch gefällt und zum Trocknen im Freien gelagert. Eine Woche vor der Aufstellung wird der Baum dann in einem Bauernhof eingelagert und liebevoll hergerichtet. Ursprünglich wurde der Baum ausschließlich mit bäuerlichen Handwerksgeräten, Fichtenkranz, Fähnchen und Gipfelboschen geschmückt. Im Jahr 1968 hat man den Schmuck um die Zunfttafeln erweitert, die seit 1972 mit Halterungen aus Schmiedeeisen versehen sind. Das Aufstellen am 1. Mai mit den »Schwaibeln«, das sind die dabei verwendeten Zangen unterschiedlicher Länge aus Holzstangen, ist seit jeher ein Anlass zu einer Feier mit Bier, Blasmusik und Tanz. Dass man auf jegliche technische Hilfsmittel verzichtet ist in St. Leonhard selbstverständlich. Diese Tradition geht in St. Leonhard nachweislich bis auf das Jahr 1912 zurück. Es ist aber anzunehmen, dass bereits ab dem Jahr 1875, in diesem Jahr wurde das Gasthaus Eder in St. Leonhard erbaut, dieser Brauch gepflegt wird und lediglich von den beiden Weltkriegen unterbrochen wurde.

Nicht immer aber lief alles reibungslos ab!

Hierzu einige überlieferte Anektoden aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg.

1960: In einer missglückten Nacht- und Nebelaktion am Doppelgraben war die Größe und das Gewicht des ausgesuchten Baumes unterschätzt worden. Dieser musste schließlich an den Besitzer zurückgegeben werden. Ein daraufhin vom Wirt in St. Leonhard gestifteter Baum wurde beim Kraftbauern in Köpfelsberg hergerichtet. Dort kam es eines Nachts zu einer Auseinandersetzung mit den Pettinger Burschen, bei der der Baum aber verteidigt werden konnte. Das bereits vor dem Gasthaus in St. Leonhard ausgehobene Loch für den Maibaum wurde jedoch von den glücklosen Maibaumstehlern fein säuberlich aufgefüllt.

1964: Die große Besonderheit dieses Baumes war, dass er in falscher Richtung, nämlich links herum gestrichen wurde.

1968: Nach einem Jugendkranzl beim Wirt machten sich circa 30 junge Leonharder Burschen, trotz der Warnung mehrerer erfahrener »Maibaumstehler« auf den Weg nach Lauter, um beim Schmiedbauern von Ried den Maibaum der Nachbargemeinde zu stehlen. Die geglückte Aktion wurde um vier Uhr früh mit der Einlagerung des entwendeten Baumes an der Seite des eigenen Prachtstückes beim Bauern in Unterwendling beendet. Nach einer großen Suchaktion tags darauf, entdeckten die Lauterer die unbewachten Bäume und holten sich vorerst den eigenen Baum zurück. Am Abend folgte der Vergeltungsschlag, als die Lauterer mit 50 Mann anrückten und mit Gewalt, gegen allen Brauch, eindrangen, um auch den Leonharder Baum zu rauben. Die zehn Wächter wurden schnell überwältigt. Nur der herbeieilenden Verstärkung war es zu verdanken, dass der Hauptbaum gerettet werden konnte, wogegen das obere Teil des Maibaumes, der so genannte Schifter nach Lauter entführt wurde. Die wackeren Burschen aus Wonneberg schlugen deswegen sofort einen neuen Baum, um nicht auf die Rückgabe des hinterhältig geraubten Teiles angewiesen zu sein. Durch den großen Wirbel, den dieser Maibaumraub auslöste, wollten die Lauterer den Schifter zurückgeben. Bei der Übergabe wurde dieser jedoch von den Leonharder Burschen selbst in drei Teile zerschnitten. Aus Protest über diese Schmach nahmen die Lauterer die Teile wieder mit, schifteten diese zusammen und stellten den Baum beim Gasthaus Surtal auf. Ihr eigener Maibaum bekam seinen Platz vor dem Wirt in Lauter. Mit beiden hatten sie aber wenig Glück; der Baum in Surtal wurde von Unbekannten angesägt und musste schließlich gefällt werden, der Baum in Lauter wurde bei einem Blitzeinschlag völlig zerschmettert.

1980: Der bislang höchste Maibaum sollte sogar eine Eintragung ins Guiness Buch der Rekorde bringen. »Den höchsten Maibaum haben zu Anfang des Wonnemonats 1980 60 stämmige Burschen mit 20 Holzstangen in ihrer Heimatgemeinde Wonneberg im Landkreis Traunstein (Westdeutschland, Bayern) aufgerichtet. Er ist 49 Meter lang und überragt damit seinen Vorgänger um 19 Meter. Allerdings - das lange Prachtstück ist aus zwei Teilen zusammengesetzt.« (Guiness-Buch der Rekorde, Deutsche Ausgabe, Ullstein 1981, Seite 418).

1988: Der im Wald zum Trocknen gelagerte Baum wurde von Unbekannten angesägt und konnte nicht mehr verwendet werden.

1992: Am 26. Januar 1994 um acht Uhr morgens wurde der 46 Meter hohe Maibaum aus dem Jahre 1992 von einer Windböe erfasst und in 25 Meter Höhe abgebrochen. Gottlob wurde niemand in Mitleidenschaft gezogen.

J/AE



17/2002