Jahrgang 2006 Nummer 17

Das Keltengehöft in Stöffling

Blockbauten geben einen Einblick in das Leben der Kelten im Chiemgau

Das von einem Flechtwerkzaun umgebene Keltengehöft Stöffling.

Das von einem Flechtwerkzaun umgebene Keltengehöft Stöffling.
Die Außenwände des Werkstattgebäudes sind aus Flechtwerk, das mit einem Lehmverschlag verputzt ist.

Die Außenwände des Werkstattgebäudes sind aus Flechtwerk, das mit einem Lehmverschlag verputzt ist.
Das Schindeldach des Wohnhauses ist mit Steinen beschwert.

Das Schindeldach des Wohnhauses ist mit Steinen beschwert.
Heute besuchen wir die Keltensiedlung in Stöffling nordöstlich von Seebruck. Von der Straße von Seebruck nach Chieming zweigt beim Gasthaus Kupferschmiede die Straße nach Truchtlaching ab. Nach gut einem Kilometer zeigt eine Tafel den Weg zum Weiler Stöffling an, neben dem die einer keltischen Siedlung nachempfundenen Gebäude zu finden sind. Eingebettet in die weitläufige Moränenhügellandschaft nördlich des Chiemsees war schon in prähistorischer Zeit über die nahe Alz eine Verbindung zum See und zu dem wahrscheinlich schon in vorrömischer Zeit angelegten Hafen gegeben. Das Römermuseum in Seebruck, der römische Friedhof an der Straße von Seebruck nach Chieming und die nördlich von Stöffling bei Truchtlaching gelegene Keltenschanze sind Stationen einer Wanderung, bei der Spuren der römisch-keltischen Vergangenheit des Chiemgaus zu entdecken sind. Auf einer Wiese an der am Weiler Stöffling vorbeiführenden Straße finden wir vier aus Holz gezimmerte Gebäude, die von einem Flechtwerkzaun umgeben sind. Schrifttafeln belehren uns über den Bau und die Bedeutung der frühgeschichtlichen Siedlung.

Der von Bernhard Greimel verfasste Text wurde als Quelle für diesen Aufsatz verwendet. Diesem Text ist zu entnehmen, dass bei Grabungsarbeiten für eine Drainage 1966/67 auf einer flachen, in ost-westliche Richtung verlaufenden Erhebung Hinweise auf eine La Tène zeitliche Siedlung gefunden wurden. Tierknochen, Keramik- und Metallgegenstände sowie keltische Münzen aus Gold und Silber sind eindrucksvolle Zeugnisse einer frühen Siedlungsgeschichte. Silberbarren deuten auf eine eigene keltische Münzprägestätte hin. Die Lage der archäologischen Funde ließ die Ausmaße einer keltischen Siedlung von etwa 400 Metern Länge und 150 Metern Breite nachvollziehen. Viele beachtliche Grabungsfunde sind im Römermuseum in Seebruck zu bewundern.

Wer das keltische Gehöft Stöffling durch das große Tor betritt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die keltische Siedlung so nicht ausgesehen hat. Da schriftliche Überlieferungen fehlen und die archäologischen Befunde auch nur recht dürftige Hinweise auf Art und Aussehen der Gebäude geben, ist eine dem historischen Original entsprechende Rekonstruktion der Keltensiedlung schlicht nicht möglich. Der Gestaltung des Keltengehöftes lag vielmehr der Plan zugrunde, dem Betrachter eine Vorstellung darüber zu vermitteln, welche Bauformen die Kelten kannten. Zusätzlich wurden Kenntnisse über die Lebensgewohnheiten der Kelten, die aus römischen und griechischen Quellen bekannt sind, bei der Konstruktion der Bauten mit berücksichtigt. So wird Archäologie, die gewöhnlich die Ergebnisse ihrer Grabungen verborgen hält, lebendig. In Stöffling soll dem Betrachter ein Einblick in die geheimnisvolle Welt der Kelten vermittelt werden.

Wer waren nun die Kelten? Die Kelten waren eine einheitliche, durch eine gemeinsame Sprache, Kultur, Kunst und Religion geprägte Volksgruppe, die zur Zeit ihrer größten Expansion im 3. Jahrhundert v. Chr. ein Gebiet besiedelten, das sich von der Türkei bis nach Spanien und von den Britischen Inseln bis nach Ostmitteleuropa erstreckte. In dem große Teile Europas umfassenden Bereich siedelten einzelne, ethnisch unterscheidbare Stämme. Einer davon waren die Alaunen, die als Siedler bei Stöffling ihre Heimat hatten. Allgemein ist bekannt, dass die Kelten Wohngebäude als langgestreckte Pfosten- oder Ständerbauten mit Lehm, Holz und Flechtwerkwänden errichteten. Stall- und Wirtschaftsgebäude waren getrennt von den Wohngebäuden angelegt. Ernährungsgrundlage war Getreideanbau, Viehzucht und Jagd. Die Handwerkskunst hatte ein hohes Niveau. Metallgewinnung und Verarbeitung waren ebenso bekannt wie die Gefäßkeramik. (Große Brockhaus)

Es wird angenommen, dass sich die Alaunen in der Zeit von 250 bis 30 v. Chr. im nördlichen Chiemgau niedergelassen hatten. Seit den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts dehnten die Römer ihr Reich bis an die Donaugrenze aus. Der Sicherung ihrer Siedlungen diente ein ausgedehntes Straßennetz. Die Straße von Salzburg nach Augsburg führte am Nordufer des Chiemsees entlang und wurde in Bedaium durch eine Festung geschützt, deren Grundmauern im Bereich des Kirchturms von Seebruck gefunden wurden. Zusätzlich deuten bei Ausgrabungen gefundene Gebäudereste auf eine umfangreiche römische Siedlung in der Umgebung von Seebruck hin. Diese hatte mit dem Seehafen an der Alz und mit der schon erwähnten Fernstraße eine überörtliche Bedeutung.

Beim Ausbau ihrer Straßenfestung in Bedaium nutzten die Römer die über die Alz gegebene Verbindung mit dem Hinterland, wo sie die Keltensiedlung in Stöffling in ihr Siedlungskonzept mit einbezogen. Von Bedeutung ist dabei, dass die Römer die Kelten nicht vertrieben, sie vielmehr unter Beibehaltung ihrer Kultur und Religion in den eigenen staatlichen Verband integriert haben. So kann davon ausgegangen werden, dass das keltische Stöffling noch zur Zeit der Römer in Bedaium besiedelt war und erst um 30 v. Chr. aus uns nicht bekannten Gründen aufgegeben wurde.

Sehen wir uns nun das keltisch-römische Freilichtmuseum etwas genauer an: Vier Gebäude sind von einem Flechtwerkzaun umgeben, die den bäuerlichen Funktionen Wohnen, Viehhaltung und Vorratslager zuzuordnen sind. Das bäuerliche Wohnhaus mit einem Schilfdach eingedeckt. Schilf bot sich schon wegen der Nähe der Alz und des Chiemsees als Rohmaterial an. Die aus Rundhölzern aufgebauten Blockbauten stehen jeweils auf einem rechteckigen Grundriss. An den Enden wurden die Balken mit Kerbschnitten verziert. Da Verzierungen in prähistorischer Zeit meist eine funktionale Bedeutung hatten, liegt auch hier eine apothrophäische, die Geister abwehrende Bedeutung nahe.

Die Kelten verfügten über erstaunliche handwerkliche Fertigkeiten. Sie waren in der Lage, das Holz mit Meißeln, Sägen, Bohrer und Zugeisen zu bearbeiten. Klammern aus Eisen, dessen Verhüttung den Kelten bekannt war, hielten die Balken zusammen. Nägel fanden sowohl aus Holz wie auch aus Eisen Verwendung. Da die Blockbauweise nicht zur Einfügung von Fenstern geeignet war, behalf man sich mit Gucklöchern in unterschiedlicher Höhe, die mit Holzschubern verschlossen werden konnten. Damit trugen die Bewohner des Hauses ihrem Sicherungsbedürfnis Rechnung. In dem allseits abgeschlossenen Raum wollte man auch die Umgebung des Hauses beobachten, um vor Angriffen von Feinden oder Tieren sicher zu sein. Auch im Wohnhaus sind derartige verschließbare »Fenster« zu finden.

In dem mit einem Schilfwalmdach bedeckten Wohnhaus finden wir im vorderen Bereich eine Kochstelle. An einem Eisengestell ist ein Kochtopf aufgehängt. Die Feuerstelle ist durch eine Mauer gesichert. Hier kann man sich mit etwas Fantasie die keltische Hausfrau vorstellen, die gerade das Feuer angerichtet hat und auf den von der Jagd zurückkehrenden Ehegatten wartet. Der von der Kochstelle getrennte, rückwärtige Raum des Wohnhauses hatte wohl die Funktion als Schlafraum. Lebendig gestaltete Bilder archäologischer Vergangenheit sind allemal einprägsamer als ein Buch. Auch das ist ein sinnvolle Zweckbestimmung des Keltengehöfts.

Das Schindeldach des Wohngebäudes sollte die vielgestaltige Art von Bauten aus keltischer Zeit anschaulich machen. So ist die Beschwerung der Dachschindeln mit Steinen, die ein Abrutschen der Schindeln bei Sturm verhindern sollten, auch heute noch bei Almhütten im Gebirge üblich.

Die Herstellung der Gebäude aus Baumstämmen erinnert daran, dass es in Bayern eine schon seit 4 – 5 000 Jahren nachweisbare Bautradition von Holzbauten gibt. Im ländlichen Bereich wurde erst durch eine Verordnung von 1799 die Verwendung von Holz für Außenwände und als Dacheindeckung aus Gründen des Brandschutzes verboten.

Da für die Bauern Ernte- und Saatgut überlebensnotwendig war und bei einem Brand vordringlich geschützt werden musste, wurde dieses in einem eigene, räumlich von den übrigen Gebäuden getrennten Bau aufbewahrt. Ein hölzerner »Troadkasten« im Bauernhausmuseum von Amerang ist ein Beispiel dafür, dass sich die Tradition der eigenständigen Aufbewahrung von Saat- und Getreidegut bis in die Neuzeit hinein erhalten hat. Auch im Keltengehöft finden wir ein zur Aufbewahrung der Erntevorräte geeignetes Gebäude.

Das mit lehmverkleideten Wänden versehen Gebäude im vorderen Bereich des Gehöftes lässt im Innenraum eine Aufteilung für Groß- und Kleinvieh erkennen. Die Verputzschicht aus Lehm gewährleistete für die Tiere einen verbesserten Witterungsschutz. Bei dem anschließenden Heulager mit einem Schindeldach war dagegen die Verwendung von Rundhölzern wegen der besseren Durchlüftung zweckmäßig. Es ist durchaus bemerkenswert, wie geschickt die Bauwerke der Kelten den klimatischen Gegebenheit angepasst waren.

Das keltische Gehöft ist nicht willkürlich im Anschluss an den Weiler Stöffling aufgebaut worden. Archäologische Funde und im Boden sich abzeichnende Bohrlöcher boten ausreichende Anhaltspunkte für die Situierung und die Rekonstruktion der Gebäude. Schüler der Berufsschule Traunstein ließen sich motivieren, unter fachkundiger Anleitung die Gebäude aufzubauen. So ist das Keltengehöft in Stöffling ein beachtliches Zeugnis der ältesten Siedlungsepoche im Chiemgau und ein Besuch des Freilichtmuseums ein eindrucksvolles Erlebnis.

Dieter Dörfler



17/2006