Das Baumwunder aus der Urzeit: »Ginkgo biloba«
Er ist zum Symbol für viele Menschen geworden
6. August 1945 – Atombombenexplosion in Hiroshima. Ein verheerender Feuersturm, radioaktive Strahlungen. Kein Leben mehr, keine Hoffnung! Im Frühjahr 1946 geschieht dann etwas Unglaubliches: Einige hundert Meter vom Explosionszentrum entfernt sprießt ein junger, frischer Trieb aus dem ausgebrannten Wurzelstock eines sehr alten Ginkgos. Heute ist wieder ein großer Baum daraus geworden, der am Stamm zwar noch Spuren trägt, aber dem Inferno des Jahres 1945 widerstanden hat. Inzwischen ist der Ginkgo zum Symbol für viele Menschen geworden, Symbol für den Frieden, für Hoffnung und Unbesiegbarkeit.
Er hat aber nicht nur die Atombombe überstanden, sondern schon die gewaltigen Umbrüche im Laufe der Erdgeschichte überdauert. Schließlich reichen seine verwandten Arten etwa 250 Millionen Jahre zurück. Während bei solchen Umbrüchen viele Pflanzen- und Tierarten zu Grunde gingen, überlebte der Ginkgo. In der letzten Eiszeit konnte er aber hier nicht weiter existieren und zog sich nach Südostasien, also in den Bereich des heutigen China, zurück, wo die entsprechenden klimatischen Verhältnisse zum Überleben gegeben waren.
Erst vor etwa 250 Jahren kam der Ginkgo wieder nach Europa. Der deutsche Biologe und Mediziner Engelbert Kaempfer (1651-1716) hatte ihn in Japan entdeckt und in seinem Werk »Amoenitatum Exoticarum« ausführlich beschrieben. Seine Arbeit fand große Beachtung und führte schließlich dazu, dass der Baum in der westlichen Welt wieder heimisch wurde. Erste Kulturversuche durch Aussaat soll es 1730 in Holland gegeben haben. Den besonders ebenmäßig gewachsenen Ginkgo am Eingang des Botanischen Gartens im holländischen Leiden aus dem Jahr 1754 kann man noch heute bewundern. Noch im gleichen Jahrhundert gelangte der Ginkgo auch wieder in andere europäische Länder und überquerte auch bald den Atlantik.
In Deutschland gehören die Bäume im Park von Kassel-Wilhelmshöhe, auf der Insel Mainau, in Harbke bei Helmstedt, Dresden, Jena und Weimar zu den ältesten. Inzwischen ist er nicht nur in öffentlichen Anlagen und Gärten, sondern auch an belebten, verkehrsreichen Straßen zu finden. Er weist eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Autoabgasen und anderen schädlichen Umwelteinflüssen auf und zeigt nur unerhebliche Schädigungen durch Insekten, Pilze, Bakterien und Viren. So werden in New York gern Ginkgos zur Luftreinigung gepflanzt, wenn Straßenbäume ersetzt werden müssen. Ganz besonders häufig vertreten ist der Ginkgo in Tokio, wo das Blatt auch noch als Symbol an den Gebäuden der Universität der U-Bahn, auf Taxis und den Fahrzeugen der Müllabfuhr abgebildet ist.
Um den Ginkgo ranken sich viele Mythen. So wird er in Ostasien als heiliger Baum, als Kultbaum gesehen, dem in Verbindung mit dem Tempel religiöse Bedeutung zukommt. Berühmt sind vor allem die tausend, zweitausend und mehr Jahre alten Bäume, die nicht selten über 30 Meter hoch sind und einen Umfang von mehr als 15 Metern aufweisen. Die kaum 200 Jahre alten Bäume in Europa oder Amerika nehmen sich im Hinblick auf Höhe und Umfang da natürlich viel bescheidener aus. In Deutschland hat sich der Ginkgo in Parkanlagen, Gärten und öffentlichen Plätzen einen festen Platz erobert. Sein Wuchs, seine Zweige und seine Blätter haben etwas Erhabenes an sich und machen ihn zu einem begehrten Gestaltungselement. In Berlin zum Beispiel ist er auf dem Platz um die Gedächtniskirche vor der Humboldt-Universität, am Gropius-Bau und anderen markanten Stellen anzutreffen. In München gibt es in der Gilmstraße am Westpark eine ganze Allee.
Bei der Wahl für einen repräsentativen Standort spielt auch seine Zweihäusigkeit – es gibt männliche und weibliche Ginkgos – ein wichtige Rolle. Während der männliche Baum schlank und säulenförmig ist, überwiegt beim weiblichen die ausladende Kronenform. Die äußere Form spielt aber bei der Wahl für einen Standort keine entscheidende Rolle. Der weibliche Ginkgo ist als Zierbaum hauptsächlich deshalb kaum gefragt, weil seine Samenanlagen mit ihren gelben, später silbrig-glänzenden Samenmänteln in der Größe von Mirabellen im Herbst einen unangenehmen Geruch verbreiten. Also werden zum Nachteil für die Bestandserhaltung mehr männliche Bäume gepflanzt. Ohne weibliche Ginkgos in der Nähe gibt es auf natürliche Weise keine Befruchtung.
Mit der Scheinfrucht hängt auch der Name des Baumes zusammen, den der europäische »Entdecker« Engelbert Kaempfer aus dem Chinesischen bzw. Japanischen übernommen hatte: Gin= Silber, kyo= Aprikose, also wäre »Ginkyo« richtig gewesen. Offenbar hatte Kaempfer oder ein anderer seinerzeit einen Fehler gemacht und das »y« mit einem »g« verwechselt, so dass der edle Baum dadurch den etwas holprigen Namen »Ginkgo« bekam. Wie schön klänge es, wenn wir für »Silberaprikose« das Wort »Gin-ky(!)o« gebrauchen könnten! Wegen des mehr oder weniger tiefen Einschnitts der jungen Blätter wurde dann noch der Begriff »biloba« (=zweilappig) hinzugefügt, sodass »Ginkgo biloba« der korrekte Name ist. Volkstümlich wird er im Hinblick auf seine fächerförmigen Blätter auch Fächerblattbaum, Mädchenhaarbaum oder Entenfuß genannt.
Von der Eigenart dieses Baumes aus dem Fernen Osten mit dem zweilappigen Blatt war auch Johann Wolfgang von Goethe erfasst. Er begegnete im höheren Alter der jungen, ihm sehr zugeneigten Marianne von Willemer, schickte ihr ein Ginkgo-Blatt und widmete ihr 1815 als »Zeichen ihrer Freundschaft« das Gedicht »Ginkgo biloba«, das er in die Gedichtsammlung »West-östlicher Divan« aufnahm. Die Verse symbolisieren das Thema »Eins und doch geteilt«. Sie werden zum Bild von Zweiheit der Liebenden, zum Zeichen von Einheit und Spaltung. »Dass ich Eins und doppelt bin« – so hatte es Goethe in seinem Gedicht ausgedrückt.
Auch in der bildenden Kunst, hauptsächlich im Jugendstil, war der Ginkgo ein beliebtes Thema. Ebenso beschäftigen sich in unseren Tagen viele Künstler damit, so dass eine Vielzahl von Gemälden, Kollagen und Zeichnungen entstanden sind.
Es ist sicher verständlich, dass die Menschen damals in dem uralten, mythischen Ginkgo auch Heilkräfte vermuteten. So spielten die Blätter und die Samen schon in der chinesischen Volksmedizin eine wichtige Rolle und sollen bei Husten, Asthma, Wurmbefall und Nervosität geholfen haben. Die Ginkgo-Nüsse, also die Samen, waren außerdem in der südostasiatischen Küche sehr gefragt und galten seit eh und je als Delikatesse. An Tempeln oder auf Märkten kann man sie geröstet kaufen und wie Pistazien knacken.
Eine herausragende Bedeutung als Arzneipflanze gewann der Ginkgo aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Mitte der 60er Jahre erkannte eine deutsche Forschergruppe, dass der nach einem bestimmten Verfahren gewonnene Extrakt aus Ginkgoblättern durchblutungsfördernde Eigenschaften besitzt. So werden die Ginkgo-Präparate bei Hirnleistungsstörungen, also bei Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Tinnitus, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche und zur Therapie der Alzheimer-Krankheit eingesetzt. Sie finden aber auch bei peripheren Durchblutungsstörungen, vor allem der Beine, Anwendung. Der Urvater der Bäume kommt also wieder zu neuem Leben. Er wird mehr und mehr beachtet und hat sich zum Kultobjekt hochstilisiert. Ginkgo-Blätter überall – als Anstecknadel, auf Tellern, Vasen, Briefbögen und Tapeten. Der Ginkgo ist – wie man heute so sagt – »in«.
HF
31/2002
Er hat aber nicht nur die Atombombe überstanden, sondern schon die gewaltigen Umbrüche im Laufe der Erdgeschichte überdauert. Schließlich reichen seine verwandten Arten etwa 250 Millionen Jahre zurück. Während bei solchen Umbrüchen viele Pflanzen- und Tierarten zu Grunde gingen, überlebte der Ginkgo. In der letzten Eiszeit konnte er aber hier nicht weiter existieren und zog sich nach Südostasien, also in den Bereich des heutigen China, zurück, wo die entsprechenden klimatischen Verhältnisse zum Überleben gegeben waren.
Erst vor etwa 250 Jahren kam der Ginkgo wieder nach Europa. Der deutsche Biologe und Mediziner Engelbert Kaempfer (1651-1716) hatte ihn in Japan entdeckt und in seinem Werk »Amoenitatum Exoticarum« ausführlich beschrieben. Seine Arbeit fand große Beachtung und führte schließlich dazu, dass der Baum in der westlichen Welt wieder heimisch wurde. Erste Kulturversuche durch Aussaat soll es 1730 in Holland gegeben haben. Den besonders ebenmäßig gewachsenen Ginkgo am Eingang des Botanischen Gartens im holländischen Leiden aus dem Jahr 1754 kann man noch heute bewundern. Noch im gleichen Jahrhundert gelangte der Ginkgo auch wieder in andere europäische Länder und überquerte auch bald den Atlantik.
In Deutschland gehören die Bäume im Park von Kassel-Wilhelmshöhe, auf der Insel Mainau, in Harbke bei Helmstedt, Dresden, Jena und Weimar zu den ältesten. Inzwischen ist er nicht nur in öffentlichen Anlagen und Gärten, sondern auch an belebten, verkehrsreichen Straßen zu finden. Er weist eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Autoabgasen und anderen schädlichen Umwelteinflüssen auf und zeigt nur unerhebliche Schädigungen durch Insekten, Pilze, Bakterien und Viren. So werden in New York gern Ginkgos zur Luftreinigung gepflanzt, wenn Straßenbäume ersetzt werden müssen. Ganz besonders häufig vertreten ist der Ginkgo in Tokio, wo das Blatt auch noch als Symbol an den Gebäuden der Universität der U-Bahn, auf Taxis und den Fahrzeugen der Müllabfuhr abgebildet ist.
Um den Ginkgo ranken sich viele Mythen. So wird er in Ostasien als heiliger Baum, als Kultbaum gesehen, dem in Verbindung mit dem Tempel religiöse Bedeutung zukommt. Berühmt sind vor allem die tausend, zweitausend und mehr Jahre alten Bäume, die nicht selten über 30 Meter hoch sind und einen Umfang von mehr als 15 Metern aufweisen. Die kaum 200 Jahre alten Bäume in Europa oder Amerika nehmen sich im Hinblick auf Höhe und Umfang da natürlich viel bescheidener aus. In Deutschland hat sich der Ginkgo in Parkanlagen, Gärten und öffentlichen Plätzen einen festen Platz erobert. Sein Wuchs, seine Zweige und seine Blätter haben etwas Erhabenes an sich und machen ihn zu einem begehrten Gestaltungselement. In Berlin zum Beispiel ist er auf dem Platz um die Gedächtniskirche vor der Humboldt-Universität, am Gropius-Bau und anderen markanten Stellen anzutreffen. In München gibt es in der Gilmstraße am Westpark eine ganze Allee.
Bei der Wahl für einen repräsentativen Standort spielt auch seine Zweihäusigkeit – es gibt männliche und weibliche Ginkgos – ein wichtige Rolle. Während der männliche Baum schlank und säulenförmig ist, überwiegt beim weiblichen die ausladende Kronenform. Die äußere Form spielt aber bei der Wahl für einen Standort keine entscheidende Rolle. Der weibliche Ginkgo ist als Zierbaum hauptsächlich deshalb kaum gefragt, weil seine Samenanlagen mit ihren gelben, später silbrig-glänzenden Samenmänteln in der Größe von Mirabellen im Herbst einen unangenehmen Geruch verbreiten. Also werden zum Nachteil für die Bestandserhaltung mehr männliche Bäume gepflanzt. Ohne weibliche Ginkgos in der Nähe gibt es auf natürliche Weise keine Befruchtung.
Mit der Scheinfrucht hängt auch der Name des Baumes zusammen, den der europäische »Entdecker« Engelbert Kaempfer aus dem Chinesischen bzw. Japanischen übernommen hatte: Gin= Silber, kyo= Aprikose, also wäre »Ginkyo« richtig gewesen. Offenbar hatte Kaempfer oder ein anderer seinerzeit einen Fehler gemacht und das »y« mit einem »g« verwechselt, so dass der edle Baum dadurch den etwas holprigen Namen »Ginkgo« bekam. Wie schön klänge es, wenn wir für »Silberaprikose« das Wort »Gin-ky(!)o« gebrauchen könnten! Wegen des mehr oder weniger tiefen Einschnitts der jungen Blätter wurde dann noch der Begriff »biloba« (=zweilappig) hinzugefügt, sodass »Ginkgo biloba« der korrekte Name ist. Volkstümlich wird er im Hinblick auf seine fächerförmigen Blätter auch Fächerblattbaum, Mädchenhaarbaum oder Entenfuß genannt.
Von der Eigenart dieses Baumes aus dem Fernen Osten mit dem zweilappigen Blatt war auch Johann Wolfgang von Goethe erfasst. Er begegnete im höheren Alter der jungen, ihm sehr zugeneigten Marianne von Willemer, schickte ihr ein Ginkgo-Blatt und widmete ihr 1815 als »Zeichen ihrer Freundschaft« das Gedicht »Ginkgo biloba«, das er in die Gedichtsammlung »West-östlicher Divan« aufnahm. Die Verse symbolisieren das Thema »Eins und doch geteilt«. Sie werden zum Bild von Zweiheit der Liebenden, zum Zeichen von Einheit und Spaltung. »Dass ich Eins und doppelt bin« – so hatte es Goethe in seinem Gedicht ausgedrückt.
Auch in der bildenden Kunst, hauptsächlich im Jugendstil, war der Ginkgo ein beliebtes Thema. Ebenso beschäftigen sich in unseren Tagen viele Künstler damit, so dass eine Vielzahl von Gemälden, Kollagen und Zeichnungen entstanden sind.
Es ist sicher verständlich, dass die Menschen damals in dem uralten, mythischen Ginkgo auch Heilkräfte vermuteten. So spielten die Blätter und die Samen schon in der chinesischen Volksmedizin eine wichtige Rolle und sollen bei Husten, Asthma, Wurmbefall und Nervosität geholfen haben. Die Ginkgo-Nüsse, also die Samen, waren außerdem in der südostasiatischen Küche sehr gefragt und galten seit eh und je als Delikatesse. An Tempeln oder auf Märkten kann man sie geröstet kaufen und wie Pistazien knacken.
Eine herausragende Bedeutung als Arzneipflanze gewann der Ginkgo aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Mitte der 60er Jahre erkannte eine deutsche Forschergruppe, dass der nach einem bestimmten Verfahren gewonnene Extrakt aus Ginkgoblättern durchblutungsfördernde Eigenschaften besitzt. So werden die Ginkgo-Präparate bei Hirnleistungsstörungen, also bei Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Tinnitus, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche und zur Therapie der Alzheimer-Krankheit eingesetzt. Sie finden aber auch bei peripheren Durchblutungsstörungen, vor allem der Beine, Anwendung. Der Urvater der Bäume kommt also wieder zu neuem Leben. Er wird mehr und mehr beachtet und hat sich zum Kultobjekt hochstilisiert. Ginkgo-Blätter überall – als Anstecknadel, auf Tellern, Vasen, Briefbögen und Tapeten. Der Ginkgo ist – wie man heute so sagt – »in«.
HF
31/2002