Jahrgang 2021 Nummer 51

Das aufmüpfige Christkind

Gott zeigte sich schon im Stall von Bethlehem als Mensch: vorwitzig, kess und ganz schön rebellisch

Alle mal herhören – gleich spring' ich hier runter. (Fotos: Hans Gärtner)
Deine Milch war auch schon mal süßer.
Hast nimmer die meisten Haare, Christopherus.
Hättst lieber a Mäderl g'habt, Josef, mit am Röckerl.
Geh Oma, halt dich ein bisserl zurück.
Nimm mich endlich hoch, hast schon genug gebetet.
Kille, kille, mein lieber Freund Anton aus Padua.
Nasebohren werd ich ja wohl noch dürfen.
Schaukelt mich, aber passt auf, dass das Leintuch nicht reißt.
Wer mag mit mir das neue Kugelspiel probieren?
Was bringst denn, Melchior – ach, wieder nix zum Spielen.

Also rotzfrech wäre zu viel gesagt über das Verhalten, das große und kleine Maler seit Jahrhunderten dem gerade zur Welt gebrachten Jesuskind zusprachen. Im Stall von Bethlehem liegt es freilich bei vielen Künstlern ziemlich brav auf Heu oder Stroh und darf den wärmenden Atem von Ochs und Esel spüren. Wie konnte das Neugeborene anders als sich in sein Schicksal, nackt und bloß zur Welt gekommen zu sein, zu ergeben? Es zählte auf seine Mutter, sich ihm liebevoll zuzuwenden, die Windeln zu wechseln, die Brust für die Muttermilch freizumachen, ein Schlaflied anzustimmen. Der Vater darf dem unverhofft anvertrauten Söhnchen vielleicht mal die Fliegen verscheuchen. Ansonsten hat er abzuwarten, bis er als Handwerker einen kräftigen Knaben vor sich hat, dem er beibringen kann, was dieser fürs Leben braucht.

Man täusche sich nicht! Schon als Säugling war Jesus – so zeigen es Künstler seit der Gotik, und so steht es in den Evangelien in den Legenden – neugierig. Das verwundert nicht angesichts prachtvoll gekleideter, würdiger Könige mit einer Eskorte sondergleichen: mit Pferden, Kamelen, Elefanten. Die Lämmer, Hunde und Kälbchen der schlichten Hirten aus der Umgebung waren dagegen unspektakulär. Einem Gekrönten aus dem Orient wollte das wache Kerlchen, das sich, wenn es nur geht, aus Mutters Umarmung oder Omas Obhut löst, schon gerne mal ins mitgebrachte Kästchen gucken: Was schleppt der Magier denn da an? Gold? Weihrauch? Myrrhe? Nur so was? Nicht auch ein Kugelspiel? Nicht auch türkischen Honig? Ein paar Münzen für die Spardose?

Das Jesuskind traute sich was. Von Anfang an zeigte es sich aufmüpfig, rechthaberisch. Den Malern zufolge wollte es nicht in den Ruf des folgsamen Hascherls kommen, vielmehr in den eines mutigen Bürschleins, das schon mal kess über die Stränge schlägt, um sich zu behaupten. Es zeigt sich aktiv. Kommunikativ. Unbedenklich. Eigensinnig. Es wagt sich vor. Anpassung ist nicht immer seine Sache. Natürlich gestanden die Künstler dem Christkind zu, die Weltkugel zu tragen. Die aber nimmt es auf Bildern locker, ohne sie alsBall zu benützen – auch wenn man ihm da und dort anmerkt, nichts dagegen gehabt zu haben, zum Spiel aufzufordern. Mutter Erde mal auf den Fußboden zu rollen – Gott, wär' das ein Riesenspaß! Fehlten nur neun Kegel und eine Kegelbahn, wie sie in Altbayern üblich war.

Bei Mutter Maria wagt Klein-Jesus allerhand: Hier versucht er sie, mit einem Blümchen, das er ihr reichen will, am Kinn zu kitzeln, dort greift er ihr, wenn's sein muss auch ungestüm, an die Brust, gewiss nicht um ihr wehzutun, sondern sie höchstens zu stupsen. Antonius von Padua gibt der Kleine zu wissen, wie gern er ihn hat; liebkost er ihn doch mit keineswegs nur vage angedeuteten Streicheleinheiten. Zurück zuMutter Maria: Die kann dem Baby auf ihrem Schoß nicht rasch genug ihre eigene Milch bieten: Fraglos packt es die entblößte Brust. Unzufrieden zeigt es sich mit Sachen, die es überflüssig findet. So mochte es der Schöpfer eines Florentiner Kirchen-Wandreliefs dargestellt haben, wenn er das auf Mutter Marias Oberschenkeln stehende Kind durch Mimik und Gestik zum Ausdruck bringen ließ: »Was soll ich denn mit so was?«

Das Neugeborene von Bethlehem führen uns die meisten Künstler nackt vor. Wogegen niemand, vor allem das Christkind selbst, nicht das Geringste einzuwenden hat. Babys genieren sich, wegen ihrer Nacktheit – selbst Fremden gegenüber – nicht. So mancher Maler erwies sich als Meister im Mischen des Inkarnats. Meistens liegt das Weihnachtskind mit einem Lendentuch auf dem Stroh in der Krippe, wenn es nicht auf ein Stück von Mutters weitem Mantel auf dem Boden platziert wird. So ist das Kind zufrieden und wartet geduldig ab. ManchemMaler schien die Sache zu langweilig – und er deutete an, dass das splitternackte Jesuskind bedenkenlos zeigte, dass es gern in der Nase bohrte.

»Hebt mich mal hoch! Schaukelt mich in den Schlaf! Aber passt auf, dass das Leintuch nicht reißt, sonst falle ich auf die Unterlage!« So etwa scheint das Christkind in die Runde rufen zu wollen, die sich ihm teils besorgt wie Nährvater Josef, teils bewundernd wie die Hirten zuwendet. Zu sehen auf einem der schönsten szenischen Darstellungen der ersten Christnacht des frühen 18. Jahrhunderts auf einem musealen Florentiner »Reliquiario con l' adoratione dei pastori«, verziert mit Goldschmuck auf »pietra dura«-Grund.

 

 

Hans Gärtner

 

Kurze Nachbemerkung: Die zum Thema gesammelten Fotografien stammen von Reisen in die Nähe und in die Ferne. Auf Nennung von Künstlernamen und genaue Standort-Angaben der hier gezeigten Werke wurde verzichtet. Die dem Jesuskind in den Mund gelegten, unter die Bilder gesetzten »Kommentare« entsprangen der Fantasie des Autors.

 

51/2021