Jahrgang 2023 Nummer 35

Bittere Armut trieb ihn aus seiner Heimat

Peter Proschs Leben als Hofnarr bringt ihm gutes Geld, aber auch körperliche und seelische Verletzungen – Teil II

Peter Prosch im Alter von 37 Jahren, gemalt von Friedrich Gotthard Naumann. (Repros: Mittermaier)
Der wandernde Hofnarr stammte aus Ried im Zillertal (historische Fotografie), wo er auch ein Wirtshaus besaß.

Anfangs war es die Armut, die ihn aus seinem Tal heraustrieb, um als Wanderhändler seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Bald jedoch entdeckt Peter Prosch sein Talent als Spaßmacher für hohe Herrschaften. Vom bayerischen Kurfürsten Max III. über Fürsten und Bischöfe bis hin zur österreichischen Kaiserin Maria Theresia reicht die Liste der illustren Blaublüter, für die der Zillertaler in die Rolle des Hofnarren schlüpft. Prosch bekommt dabei Zutritt in eine Welt, die heute nurmehr schwer verständlich ist: Die Mitglieder adeliger Höfe stecken in einem starren Korsett aus materiellem Überfluss und gleichzeitig oft lähmendem Nichtstun, denn eigene Arbeit ist verpönt und der Tagesablauf richtet sich allein nach dem vorgegebenen Protokoll, aus dem niemand auszubrechen wagt.

In dieser täglich gleichen Langeweile ist jede Abwechslung gefragt und sei es auch nur in Form eines kalauernden Clowns wie Peter Prosch, dessen Standardprogramm heute nicht viel mehr als ein mitleidiges Lächeln produzieren würde. Die höfischen Herrschaften bogen sich offenbar vor Lachen, wenn ihr »Peterl«, wie Prosch zeitlebens genannt wird, selbst Könige und Kaiser frech kindlich-frech mit »du« adressiert, vor ihnen Purzelbäume schlägt und sich Teller voller Konfekt in den Mund stopft.

Anders als tatsächliche Künstler wie Schauspieler, Musiker oder Sänger brauchte es für Proschs Albereien kein wirkliches Talent und er musste auch keine Zeit investieren, um seine Fertigkeiten zu trainieren, doch seine Rolle hatte trotzdem eine nicht zu unterschätzende Kehrseite: Hofnarren konnten zwar ihre Späße treiben, sie waren gleichzeitig aber auch eine Art Prügelknabe, der den hohen Herrschaften dazu diente, Dampf abzulassen. Und der war, wie in jeder menschlichen Gemeinschaft, die von strengen Regeln wie sie höfische Protokolle diktierten, entsprechend vorhanden.

Selbst die Sau rauszulassen, war für Höflinge eine gefährliche Sache, denn wer zu sehr über die Stränge schlug oder gar rangmäßig höher stehende Personen nicht mit dem erwarteten Respekt behandelte, hatte schnell das Nachsehen. Einen sozial niedrig stehenden Zeitgenossen wie Peter Prosch konnte man dagegen nach Belieben ungestraft psychisch wie auch körperlich malträtieren, wie der gebürtige Tiroler unter anderem bei einem Aufenthalt am Hof des Augsburger Bischofs, Joseph von Hessen-Darmstadt, erfahren hat.

Wie Prosch in seiner 1789 in München erschienenen Autobiographie: »Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tyrolers von Ried im Zillertal« schreibt, gab der Bischof – das Jahr nennt er wie in den meisten seiner Anekdoten nicht – eine Gesellschaft, in deren Verlauf die Gäste auf die Idee kamen, eine Priesterweihe nachzuspielen, mit Prosch als Protagonist:

»Ich bekam einen Schurz um die Mitte, einen langen Bart von Flachs, eine Bischofshaube und setzte mich auf den Stuhl. In mein Maul steckten sie mir einen silbernen Teller, mein langer Bart hing unten hinaus und ich musste noch in jeder Hand eine brennende Kerze halten … Sie gingen um mich herum, sangen und opferten mir ein jeder auf meinem im Maul gehaltenen Teller etwas, bis jäh einer mit seinem Lichte mir in den Bart kam, welches ich wegen dem Teller nicht sehen konnte. Flugs fuhr die Flamme in meine Bischofshaube, weil Bart und Haube aneinander hingen. Ich warf eilends Leuchter, Geld und Teller weg und hatte mich zu wehren, dass ich das Feuer von mir bringen konnte. Der Greiffenklau aber, welcher mit dem Wasser im Schwangkessel die Flamme löschen sollte, kam so ins Lachen, dass er den Kessel samt Waser fallen ließ. Mir aber hat die Brunst meine Haare, Ohrwäschl und den ganzen Kopf verbrannt, dass große Fetzen Haut herunterhingen. Einer lag dort, der andere da, vor lauter Lachen und ich war in der Mitte.«

Selbst dass sich Prosch vor Schmerzen krümmte, brachte die Gesellschaft nicht zur Ernüchterung, ganz im Gegenteil: die Herren heckten schon die nächste Untat gegen den Geschundenen aus: »An einem Abend nach der Tafel bedankte ich mich und gab jedem gute Nacht, ging über die Stiege hinunter meinem Zimmer zu. Allein wie erschrak ich! Als ich die Tür aufmachte, sah ich ein Kruzifix, zwei brennende Lichter neben meinem Bett und einen Toten mit meiner Schlafhaube darin liegen. Ich fiel schon unter der Tür zurück, als wennmich ein Donner niedergeschlagen hätte und kroch über die Stiege hinauf. Die Herrschaften standen oben und sahen mir zu. Sie lachten erstaunlich, führten mich mit Gewalt wieder hinunter und zeigten mir, dass es nur ein eingepuderter Perückenstock war.«

Der Augsburger Bischof war offenbar nicht der einzige geistliche Würdenträger mit fragwürdigem Humor. Sein Würzburger Amtskollege ließ Prosch nicht minder malträtieren. Unter einem Vorwand schickte er den Tiroler auf die dortige Festung, wo man ihn in einen Raum einschloss und dort gelagerte Raketen zündete. Die im wahrsten Sinn des Wortes feine Hofgesellschaft machte sich dann einen Heidenspaß, indem sie Prosch von außen beobachtete, wie er einem gehetzten Tier gleich von einer Ecke in die andere irrte, um den gefährlichen Geschossen zu entgehen. Ebenfalls in Würzburg wird er einige Jahre nach diesem Vorfall Opfer eines schon fast generalstabsmäßig geplanten Psychoterrors: Vom untersten Lakaien bis hinauf zum Fürstbischof spricht plötzlich niemand mehr mit ihm, er ist für alle Luft, was sich über Tage zieht und Prosch gehörig martert, bis nach einigen Tagen der Fürstbischof so tut, als sei überhaupt nichts gewesen und ihn mit den Worten begrüßt: »Peterl, wo bist denn die ganze Zeit gewesen?«

Proschs Schilderungen legen nahe, dass er derartige Erlebnisse alles andere als einfach wegsteckte, weshalb man sich dann natürlich fragt, warum er sich immer wieder solchen Situationen aussetzt und nicht stattdessen seinen Job als »Wandernarr« einfach hinschmeißt. Finanziell konnte er sich als Händler und mit der Wirtschaft in seiner Heimat, die er sich vom Geld Maria Theresias bei seinem ersten Besuch am Wiener Hof gekauft hatte, zumindest über Wasser halten.

Wahrscheinlich lockten Prosch aber genau jene zwei Faktoren, die auch heutige Stars und Sternchen dazu verleitet, das Rampenlicht zu suchen, selbst wenn sich das für ihr eigenes Wohl langfristig als ungesund herausgestellt: Neben dem vergleichsweise schnell verdienten Geld hatte ihm seine Nähe zu den Granden der damaligen Zeit auch selbst eine gewisse Berühmtheit eingebracht, vor allem in seiner österreichischen Heimat.

Prosch gehörte zu den wenigen seiner einfachen Mitbürger, die aus dem kleinen Radius ihres Alltags hinaus in die weite Welt kamen und dabei auch noch Kontakte in allerhöchste Kreise hatten. Der Tiroler genoss es bestimmt, wenn er seine Geschichten vom Münchner oder WienerHof erzählen konnte und sein Publikum ihm staunend zuhörte, dass er selbst mit Kurfürsten und Kaisern gewissermaßen auf »Duund- Du« stand. Das brachte Prosch nicht nur selbst Ruhm, sondern sicher auch den einen oder anderen Rubel, denn seine Handschuhe verkauften sich sicher besser, wenn er dabei die eine oder andere Anekdote fallen ließ. Dass er in seiner Autobiographie adelige Geldgeber gar als »Freunde«, bezeichnet, ist dabei Ausdruck einer Selbstüberschätzung, die Prosch wahrscheinlich brauchte, um seine tatsächliche Rolle zu rechtfertigen.

Obwohl er imLauf der Zeit eine Bekanntheit erlangt hatte, die über sein eigentliches Umfeld hinausging, blieb er immer ein abhängiger Bittsteller, denn er wurde ja nicht aktiv engagiert, sondern pilgerte von Hof zuHof, in der Hoffnung, dort Zugang zu erhalten, nicht um eine aus eigenem Vermögen erworbene Kunst darzubieten, sondern um nach der Pfeife der Großkopferten zu tanzen.

Dass ihm sein Leben, das unstete Hin- und Herwandern, getrennt von der Familie, in unsicheren Umständen mal hier mal da und die sicher auch so empfundenen Demütigungen mehr zusetzten, als er sich selbst eingestehen mochte, beweist eine Phase, in der er seiner eigenen Aussage nach länger unter »Melancholie« litt, heute würde man von wohl schweren Depressionen sprechen, wobei er auch Wahnvorstellungen entwickelte und schließlich einen psychischen Zusammenbruch erlitt, der in einem misslungenen Selbstmordversuch kulminierte. Für den landet Peter Prosch dann gar noch im Gefängnis, denn Suizid galt damals als Verbrechen.

Es gelingt ihm jedoch, aus der Haft zu fliehen und dank des Einflusses adeliger Gönner eine Bestrafung abzuwenden. Seine Tätigkeit als Wanderunterhalter setzt Prosch indes weiter fort und so naiv-dumm er sich sein Leben lang auch für sein Publikum geben mochte, eines hatte der gebürtige Bauernbub schon von Anfang an klug verinnerlicht, nämlich sich bei seinen Äußerungen konsequent aus der Politik und den persönlichen Machenschaften der hohen Herrschaften herauszuhalten. Jede noch so kleine Kritik, selbst vergleichsweise harmloser Klatsch konnte Zeitgenossen absolutistischer Monarchien schnell zum Verhängnis werden und adelige Höfe waren diesbezüglich ein Haifischbecken, in denen alles verschlungen wurde, was zur falschen Zeit am falschen Ort den Mund aufmachte.

Einmal geriet Peter Prosch allerdings unfreiwillig mitten ins Zentrum staatstragender Angelegenheiten, allerdings nur als Augenzeuge: bei seinem Aufenthalt in Innsbruck im Sommer 1765 erlebte er den Tod Kaiser Franz Stephans aus nächster Nähe. Kaiserin Maria Theresia hatte sich damals mit dem Wiener Hof in der Tiroler Landeshauptstadt versammelt, um dort die Hochzeit von Erzherzog Leopold mit der spanischen Prinzessin Maria Ludovica zu feiern. Prosch wollte Maria Theresia bei dieser Gelegenheit ein Dutzend weißer Handschuhe schenken als Dank für ihre finanzielle Unterstützung in früheren Jahren. Als er mit seiner Ware in der Innsbrucker Hofburg zur kaiserlichen Tafel vorgelassen wird, zieht ihn Maria Theresias Mann Franz Stephan ins Gespräch, lacht über seine Scherze und verspricht ihm, wenn er in drei Tagen wiederkomme, werde er ihm Geld geben.

Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Wenige Stunden nach der Begegnung mit Prosch erleidet der 56-jährige Kaiser auf dem Rückweg von einer Opernveranstaltung in der Hofburg einen Schlaganfall und stirbt.

Prosch ist zu diesem Zeitpunkt bei einem Nachtmahl in der Burg als Diener in Aktion: »In Eil stand man von der Tafel auf, alles weinte und bedauerte den guten Kaiser und Maria Theresia, alle gingen traurigst in ihre Zimmer.«

Einige Tage später kommt es noch einmal zu einer persönlichen Begegnung Proschs mit der nun verwitweten Kaiserin, die zu ihm sagt: »Gelt Peterl, was wir Menschen sind, und was Gott tun kann!«

Seine Wandertätigkeit als Händler und Hofnarr setzt Prosch noch bis in die 1780er Jahre fort, wobei ihn seine Reisen einmal sogar bis nach Paris führen, im Gefolge des Markgrafen Christian Fridrich von Ansbach, der ihm auch Zugang zum Versailler Hof verschafft, wo er auch ein paar Sätze mit Marie Antoinette wechseln kann. Die französische Königin, die nur wenige Jahre später einen tragischen Tod unter der Guillotine erleiden wird, hat von der Bekanntschaft Proschs mit ihrer Mutter Maria Theresia erfahren und spricht ihn darauf an, worauf ihr der Zillertaler versichert, er habe nie »ein besseres Weibsbild« kennengelernt als die Kaiserin.

Bei seiner Rückkehr ins Zillertal ist das Hallo über Prosch und seine Erlebnisse entsprechend groß: »Alle meine Bekannten und Nachbarn hatten schon aus den Zeitungen und auch sonst vernommen, dass ich in Paris gewesen bin. Siewussten nicht, was oder wo Paris wäre; vielleicht glaubten einige, es liege gar in einem andern Teile der Welt, ich war also sogar in meiner Heimat und meiner ordentlichen Tirolerkleidung ein Wundertier wie in Paris.«

1787 beendet Prosch seine Wanderschaft und verbringt die restlichen Jahre seines Lebens bis zum Tod 1804 in seiner Zillertaler Heimat.

 

Susanne Mittermaier

 

Teil I in den Chiemgau-Blättern Nr. 34 vom 26. 8. 2023

 

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