Jahrgang 2025 Nummer 3

Beim Zimmermoasta in Zell gab es immer Arbeit

Die Entstehung des ersten Gewerbegebiets in Ruhpolding geht auf das Jahr 1878 zurück

Werksgelände vor 1920.
Die zehn Kinder von Zimmermoasta Anton Plenk I.
Drei Generationen Zimmermoasta, vorne von links Anton I., Anton III. und Anton II.
Prügellager mit Kirchturm St. Valentin.
Vater und Sohn Anton Plenk vor der Kapelle.

Im Jahr 1869 wurden im rechtsrheinischen Bayern die rechtlichen Grundlagen für eine neue Gemeindeordnung geschaffen, durch die auch den Landgemeinden die Selbstverwaltung als allgemeiner Grundsatz gesetzlich übertragen wurde. Im eigenen Wirkungskreis bedeutete dies – mit Ausnahme der weiterhin gültigen gesetzlichen Anordnungen – in weiten Teilen die sogenannte Allzuständigkeit. Ungeachtet dessen gab es bereits in den Jahrzehnten davor Bestrebungen, kleinere Gemeinden zu effizienteren Einheitsgemeinden zusammen zu schließen. Von dieser ersten »Gebietsreform« war auch das Miesenbacher Tal betroffen. Dort legte man am 1. Januar 1882 die bisher selbstständigen Gemeinden Ruhpolding, Vachenau und Zell unter dem Namen »Ruhpolding« zu einem einheitlichen, kommunalen Gebilde zusammen.

Für die Handwerker, die sich in dem weiten Talgrund der Traun sowie in den einzelnen Weilern angesiedelt hatten, dürfte dies in der Ausübung ihrer Tätigkeit keine nennenswerten Auswirkungen gehabt haben. Während die Betreiber von Schmieden und Sägewerken zwangsläufig an die Energiequellen der Flussläufe und damit ortsgebunden waren, gab es für Handwerker bereits vor dem Zusammenschluss die Möglichkeit, von der einen zur anderen Gemeinde zu wechseln, wie das Beispiel des 1841 geborenen Zimmermeisters Valentin Haßlberger zeigt.

Weingarten-Sohn ersteigert Grundstück in Zell

Er stammte aus einer kinderreichen Familie vom Weingarten-Anwesen an den Ausläufern des Unternbergs in der Gemeinde Vachenau (heute bekannt als Berggasthaus). Im Jahr 1878 erwarb er im Zuge einer Zwangsversteigerung ein Grundstück unweit der Kirche St. Valentin in Zell und gründete dort ein Sägewerk mit angeschlossener Kalkbrennerei, einer Zimmerei und einen landwirtschaftlichen Betrieb. Im selben Jahr heiratete er Anna Steidl aus dem Nachbarort Eisenärzt, 1890 erfolgte der Neubau eines Wohnhauses. Durch die günstige Lage an der Verbindungsstraße, die damals noch über das alte Gnaig nach Inzell führte, sowie durch seine Tüchtigkeit konnte er seinen Grundbesitz beträchtlich vergrößern. Sicherlich wird auch so mancher Bauer seinen sonntäglichen Kirchgang dazu genutzt haben, um beim Zimmermoasta das ein oder andere Holzgeschäft abzuwickeln. Allerdings durchkreuzten ein verheerender Brand und weitere Schicksalsschläge (Tochter Anna verstarb im Alter von vier Monaten) seine Pläne zu einer gesicherten Existenz, so dass er im Januar 1902 den Betrieb an seinen Neffen und zugleich Nachbarn und früheren Lehrling Anton Plenk übergab. Dessen elterlicher Hof beim »Stokreither am Reith«, wie es in der alten Lagebeschreibung heißt, befindet sich etwas unterhalb des vorher erwähnten Weingartens. Mit der Ausbildung beim Onkel Valentin reihte sich der Großvater des heutigen Besitzers lückenlos in die 350 Jahre währende Zimmermanns-Tradition der Stockreiters ein, die darüber hinaus bis heute anhält.

Begriff Zimmermoasta in Zell bürgert sich ein

Plenk galt als »anpackender Mann«, der die abgebrannten Betriebsgebäude wieder aufbaute und ein Elektrizitätswerk hinzufügte. Als Antrieb diente ein von der Traun abgezweigter Überleitungskanal, der auch die Sägewerke Gastager und Seehuber versorgte. In dieser Zeit des unternehmerischen Aufschwungs und der zunehmenden Bautätigkeit dürfte auch in der Bevölkerung der allgemein bekannte Begriff »beim Zimmermoasta in Zell« entstanden sein, denn hier kam alles aus einer Hand: die Herstellung von Schnitt- und Bauholz ebenso wie die Weiterverarbeitung auf der jeweiligen Baustelle.

Außerdem muss einmal eine Schmiede bestanden haben, denn dies geht aus der Bezeichnung eines inzwischen abgebrochenen Gebäudes hervor. Eine dicke Schicht Kohllösche, die bei Erdarbeiten in jüngerer Zeit zum Vorschein kamen, lässt die Vermutung zu, dass hier gleich vor Ort die benötigte Holzkohle gebrannt und eventuell auch Schmieden in der Umgebung damit versorgt wurden.

So gesehen kann man angesichts seiner wirtschaftlichen Bedeutung den »Zimmermoasta« als erstes und dauerhaftes Gewerbegebiet im Miesenbacher Tal bezeichnen. Beide maßgebenden Begründer sind an der Giebelfassade des ehemaligen Hobelwerks nicht nur namentlich, sondern auch mittels eines originellen Motivs festgehalten. Es zeigt auf rotbraunem Grund einen Sägefisch sowie über den Initialen ein stilisiertes Eichenblatt; zwei Attribute, die symbolisch auf die langjährige Tradition der Holzverarbeitung hinweisen sollen.

Zehn Kinder, fünf Buben und ebenso viele Mädchen, waren dem Zimmermoasta als nachfolgende Generation geschenkt. Hedwig, seine erste Frau starb tragischerweise mit 28 Jahren bei der Geburt des sechsten Kindes. Der herbeigerufene Arzt, ein leidenschaftlicher Jäger, war zu spät am Kindsbett eingetroffen. Aus der Ehe mit Karolina, seiner zweiten Frau, stammten weitere vier Kinder.

1931 übernahm dann der älteste Sohn Anton (Toni II.) als frischgebackener Zimmermeister den Betrieb, kaufte vom Bayerischen Forst ein angrenzendes Grundstück und spezialisierte sich auf den Fertigbau mittels kostengünstigem Holzrahmenbau. Seine Brüder Karl und Otto betrieben in der Folgezeit zuerst gemeinsam, dann getrennt die Bereiche Säge- und E-Werk, später mit Hobelwerk und Trocknungsanlage.

Richard Schmiederer gründet Holzhandel und heiratet ein

Eine neue Dimension erreichte das Gewerbegebiet Anfang der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts, als sich der aus dem Schwarzwald stammende Richard Schmiederer mit seinem Holzhandel auf dem benachbarten Grundstück ansiedelte und in die Zimmermoasta-Familie einheiratete (Christl, die jüngste Plenk-Tochter). Sein Plan, heimisches Holz ins Ruhrgebiet zum Wiederaufbau der zerstörten Häuser und Gruben zu liefern, erwies sich als lukratives Geschäftsmodell.

Anton III., Jahrgang 1932, der jetzige »Zimmermoasta-Toni«, war inzwischen – ebenfalls als ältester Nachkomme – in die Fußstapfen des Vaters getreten. Noch zwei Jahre vor dessen Tod 1974 entstand die Anton Plenk KG. Holzbauwerk, die ihr Auftragsgebiet kontinuierlich auf das ganze Bundesgebiet ausweitete. Wie in vielen anderen Betrieben auch musste man sich beim »Zimmermoasta« sämtlichen Konjunkturschwankungen und Veränderungen des Marktes stellen, die imLaufe der Jahrzehnte auf die jeweiligen Firmenchefs zukamen. Und mit neuen Ideen darauf reagierten, wie damals mit einer Tankstelle oder der Vermietung von Ferienwohnungen durch seine Frau Gerda, einer Vorreiterin auf diesem Gebiet. Ältere Einwohner werden sich noch daran erinnern, dass auf dem Gelände die Treibhäuser der Gärtnerei Greiner standen. Mit den Ateliers der Malerfamilie Bauer-Bredt im Steinwandt-Anwesen sowie Sepp Plenk sen. und jun. erfuhr das Viertel noch dazu einen künstlerisch-architektonischen Anstrich. Und nur einen Steinwurf entfernt, in direkter Nachbarschaft der St.-Valentin-Kirche die Zimmerei von Ludwig Reiter, in der heute eine Schreinerei untergebracht ist. Nicht zu vergessen die damals unverzichtbare Zellerer Einkaufs-Institution: der Zeller-Kramer Eisenberger, der als Nahversorger Lebensmittel, darunter sogenannte Kolonialwaren und auch Textilien und Kurzwaren anbot. Später dann gab es einen Getränkemarkt, bis zu seinem Umzug ins Dorf den Radl-Sepp sowie mehrere Klein-Unternehmen, die die Gebäude nutzten. So ist vieles mittlerweile Geschichte, auch die Skifabrik Plenk, die aus der großartigen Wintersport-Affinität der weitverzweigten Großfamilie geboren ist, letztlich aber der übermächtigen Konkurrenz nicht standhalten konnte.

Jetzt heißt es Gewerbegebiet St. Valentin

Umso erfreulicher sind die aktuelle Entwicklung und der Wandel des ganzen Viertels, die auf die Innovationen der nachfolgenden Generation Otto Plenk mit Dominik Zeller, in Verbindung mit der Familie Praxenthaler zurückgehen. Das beispielhafte Wachrütteln aus dem Dornröschenschlaf hätte schon längst einen gestalterischen Denkmal- und Entwicklungspreis verdient. Neuerdings wird durch die Ansiedlung mehrerer Firmen in verschiedenen Sparten wieder für Arbeitsplätze gesorgt. Arbeitsplätze, die unter dem Oberbegriff beim »Zimmermoasta« seit jeher vielen Mitarbeitern aus dem Ort und der Region das Auskommen ihrer Familien sicherten.

Was bleibt, ist eine Portion Wehmut, denn angesichts des betagten Alters von Anton Plenk III., der am 23. Januar sein 93. Lebensjahr vollendet, endet die 350-jährige, einzigartige Zimmermanns-Tradition der alteingesessenen Ruhpoldinger Handwerkerfamilie. Sie weiterzuführen, dazu hätte Toni IV. als Nachfolger alle beruflichen Voraussetzungen mitgebracht. Doch das Schicksal meinte es anders: Wie aus heiterem Himmel erlitt der junge Meister 1994 während der Arbeit einen schweren Herzstillstand, der die völlige Arbeitsunfähigkeit nach sich zog. Dass er diesen Schicksalsschlag überhaupt überlebte, dafür baute sein Vater zum Dank die kleine Antonius-Kapelle an der Abzweigung zur Valentins-Kirche. Da stimmt es zuversichtlich, dass es wohl eine Weitergabe innerhalb der Großfamilie Plenk-Zeller geben wird, so dass auch in Zukunft der Begriff beim »Zimmermoasta in Zell« weiter existieren wird.

 

Ludwig Schick

 

3/2025