Jahrgang 2023 Nummer 19

Bei Wasserknappheit wurde sogar mit »Odel« gelöscht

Ausstellung und Festwoche »150 Jahre Ruhpoldinger Feuerwehr« – Auszug aus der Chronik

Ältestes Foto von 1911 (Gruppenaufnahme).
Verheerender Brand im Ortsteil Seehaus.
Porträt Paul Schmuck.
Porträt Michael Mayer.

Im 19. Jahrhundert standen die Menschen der Brandgefahr noch ziemlich hilflos gegenüber. Besonders im weitläufigen Miesenbacher Tal mit seinen verstreuten Weilern und Gehöften war man in solch bedrohlichen Situationen, in denen es existenziell um Leib, Leben und Besitz ging, mehr oder weniger auf nachbarschaftlichen Beistand angewiesen. Lagen die Höfe zu weit auseinander, mussten die Bewohner schlimmstenfalls alleine damit zurechtkommen, den Brand zu löschen. Um 1870 gab es zwar schon eine Feuerspritze mit Druckzylinder, aber sie konnte das Wasser nur weiterdrücken, jedoch nicht ansaugen. Als es 1870 beim Vorderrausch-Bauern in Wasen brannte, musste das Wasser in Eimern oder Beuteln aus Leder oder Leinen, den sogenannten »Zöggern«, von der Urschlauer Ache bis zum Brandplatz transportiert werden. Zwei lange Menschenreihen waren dafür erforderlich. Das Zurückbringen der Beutel und Eimer war Aufgabe der Kinder. Zu jedem Haus gehörte ein Wasserzögger. Außerdem hatte jede Ortschaft einen großen Feuerhaken zum Einreißen der brennenden Holzteile. Den Brandalarm löste man generell mit den Kirchenglocken aus. Die kleine Glocke bedeutete: kleiner Brand, die große Glocke: großer Brand. Brandmelder zu Pferd verständigten die freiwilligen Helfer. Der Betrieb der damaligen Wasserpumpe erforderte sehr viel Muskelkraft, weshalb die erschöpften Mannschaften immer wieder abgelöst werden mussten.

Speckbacher und Hinterreiter legten 1873 den Grundstein

Am 26. November 1873 gründeten der Wagnermeister Mathias Speckbacher und der Lehrer Johann Hinterreiter mit 42 tatkräftigen Männern aus den damals noch getrennten Gemeinden Ruhpolding, Vachenau und Zell (sie wurden 1882 zusammengeschlossen) die Freiwillige Feuerwehr Ruhpolding, die sich von Anfang an der Unterstützung der beteiligten Gemeinden, des Bezirksamts und des Forstamts erfreuen konnte. Bereits 1875 erfolgte die Aufnahme in den Landesverband der Bayerischen Feuerwehren. Unter der Leitung bewährter Männer als Vorstände (darunter zweimal der Ortspfarrer, dreimal der Leiter des Forstamts) sowie der Kommandanten ging die Entwicklung der Feuerwehr zügig voran. In der Chronik ist als erster Einsatz die Bekämpfung des Brands am 18. August 1887 beim Danielbauern Haßlberger vermerkt. 1888 war Oberförster Kunkel Vorstand, Schuhmachermeister Zwickel Hauptmann und als Adjutant fungierte der Schuhmachermeister Josef Kriegenhofer. In diesem Jahr plante man den Bau eines Feuerwehrhauses, der aber erst 1895 neben dem Krankenhaus (Ecke Haupt- und Vinzenzistraße) verwirklicht wurde. Auch in Zell entstand nach dem Gemeindezusammenschluss ein Spritzenhaus neben der Kirche St. Valentin. Bei der Jahreshauptübung 1895 konnten bereits 40 Mann freiwillige Feuerwehr und 90 Mann Pflichtfeuerwehr eingesetzt werden. Wegen Geldmangels fand das 25-jährige Gründungsjubiläum zwar erst 1901 mit dreijähriger Verspätung statt, dafür stand das Fest ganz im Zeichen einer feierlichen Fahnenweihe. Die prächtige Fahne hatte die Bevölkerung gestiftet. Patenverein war die Feuerwehr aus Inzell. 1905 wurde erstmals bei einem Ladenbrand Wasser aus Hydranten verwendet. Bis zum 50-jährigen Bestehen, das 1923 gefeiert wurde, musste die Ruhpoldinger Wehr zu 36 größeren Bränden ausrücken. Die Festrede hielt Staatsminister Exzellenz Dr. von Brettreich, der 1924 zum Ehrenmitglied ernannt wurde. 1926 beschloss man eine totale Umstellung der Wehr. Die Pflichtfeuerwehr umfasste mittlerweile in zwei Kompanien insgesamt 400 Mann, sodass eine gründliche Ausbildung und Ausrüstung nicht mehr möglich war. Für den aktiven Dienst kamen 60 Mann infrage, die übrigen konnten sich durch einen Beitrag von zwei Reichsmark (RM) von den Übungen befreien lassen. Unter Bürgermeister Bartholomäus Schmucker wurde dann die aktive Wehr mit Uniformen ausgestattet.

Verheerende Brand-Katastrophe in Seehaus

Im Juli 1929 fielen nach einem fürchterlichen Sturm alle Gebäude in Seehaus, außer der Kapelle, einem Großbrand zum Opfer. Diese Katastrophe veranlasste den Gemeinderat, eine moderne Motorspritze mit einer Leistungskraft von 900 Litern pro Minute anzuschaffen. Der Großteil des Anschaffungspreises von 6.000 RM kam durch Spenden wieder herein. Beim Geislergraben wurde dieses »Wunderwerk der Technik«, so das Traunsteiner Wochenblatt, sogleich zur Löschung der Pfarrkirche erprobt, wobei das Löschwasser ohne Beigabe eines Hydrantendrucks leicht die Höhe des Dachfirsts erreichte. Im November 1931 rückte die Feuerwehr erstmals zu einem auswärtigen Einsatz nach Siegsdorf aus; mit zwei Autos, der Motorspritze und zwölf Mann. Dabei kam auch das zum Motorspritzenauto umgebaute Sanitätsfahrzeug zum Einsatz. 1936 wurden die Pflichtübungen auf zwölf pro Jahr festgesetzt. Die Wehr umfasste damals 68 Mann in achtzehn Dienstgraden. Im Rahmen der im Dritten Reich üblichen Reorganisation wurden auch neue Dienstgradbezeichnungen eingeführt: Feuerwehrmann, Oberfeuerwehrmann, Lösch-, Brand-, Oberbrand- und Hauptbrandmeister. 1939 bekam die Motorspritze für den Winter einen Schlittenuntersatz. Nach der Kapitulation 1945 beschlagnahmten die Amerikaner zunächst die Feuerwehruniformen und den Mannschaftswagen. Als Ersatz stellte die Gemeinde einen LKW zur Verfügung, der entsprechende Umbauten zur Einsatztauglichkeit erhielt.

Kommandanten Paul Schmuck und Michael Mayer

1949 wurde die freiwillige Feuerwehr in den »Feuerwehrverein« umgewandelt und 1951 Schneidermeister Paul Schmuck zum neuen Kommandanten gewählt. Dieses verantwortliche Amt übernahm 1960 Michael Mayer, der bis zum Jahr 1985 den Einsatz der Feuerwehr leitete. Für seine Verdienste wurde er mit einer Urkunde der Bayerischen Staatsregierung und mit der Bürgermedaille der Gemeinde Ruhpolding ausgezeichnet. Das beispielhafte Engagement beider Männer steht stellvertretend für alle Ehrenamtlichen, die sich im Verlauf der eineinhalb Jahrhunderte in den Dienst der Feuerwehr gestellt haben. 1962 zählten die Florians-Jünger wieder 35 Mann, da sich alle erwachsenen Pfadfinder der Wehr angeschlossen hatten. 1966 kam es zur Weihe der neuen Fahnen sowie zum Abriss des alten Feuerwehrhauses am Krankenhaus. Alle Fahrzeuge und Geräte wurden imgemeindlichen Bauhof an der Waldbahnstraße untergebracht. Einen bemerkenswerten Schub brachte die 1971 durch Heribert Hofherr gegründete Jugendfeuerwehr, aus der acht Löschgruppen und 64 Mann hervorgingen.

Fast ganz Ruhpolding war auf den Beinen, als 1974 die Wehr zu ihrem 100-jährigen Gründungsfest mit Einweihung des neuen Löschgruppenfahrzeugs LF 8 einlud. Den feierlichen Gottesdienst hielt Pfarrer Monsignore Roman Friesinger zusammen mit Thomas Beltle, dem Primizianten des Jahres, der selbst aktives Mitglied der Ruhpoldinger Feuerwehr war. In der Folgezeit, bedingt durch Faktoren wie den stetig wachsenden Straßenverkehr, durch Tourismus, Sportveranstaltungen, Freizeitverhalten, Umweltauswirkungen und dergleichen erweiterte sich auch das Einsatzspektrum sowie die technische Ausstattung beträchtlich (Rettungsschere, Funkalarmierung, Atemschutz, Drehleiter usw.). Aufgrund der starken Zunahme der Einsätze und der daraus resultierenden praktischen und theoretischen Ausbildung wurde der Ruf nach einem neuen Feuerwehrhaus immer dringlicher. 1985 konnte die komplizierte Standortfrage gelöst und mit der Planung begonnen werden. Zuerst entstand die neue Fahrzeughalle an der Waldbahnstraße, der Bau sowie die Einweihung des neuen Feuerwehrhauses folgten 1989. In der Gesamtanlage sind seither auch die Bergwacht-Bereitschaft sowie die Rettungswache des Roten Kreuz untergebracht.

Von den jährlich etwa 100 Einsätzen mit steigender Tendenz sei exemplarisch die Teilnahme am überregionalen Hilfeleistungskontingent zur Hochwasser-Katastrophe (Oder-Hochwasser) im Bundesland Sachsen-Anhalt herausgegriffen. Dies dürfte der bisher am weitesten entfernte Einsatz außerhalb Ruhpoldings gewesen sein.

Kuriose Einsätze gab es auch

Auch Kurioses, das unweigerlich zum Schmunzeln anregt, hielt die Chronik im Lauf der Jahrzehnte fest. Hier einige Beispiele: Nachdem 1887 die »Feuerwehr-Armatur« eines Mitglieds, bestehend aus Helm, Joppe, Gurte usw. während eines Einsatzes vollständig verbrannte, beantragte man mehrmals Schadensersatz aus dem Gemeindesäckel. Dass Feuerwehrler zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Hut sein sollten, davon erzählt die Ehrenzeichenvergabe 1914 im Vereinslokal »Gillitzer« (heute Hotel Wittelsbach). Während Bürgermeister Hechenbichler den Dank der Gemeinde zum Ausdruck brachte, ertönte der Ruf: »Feuer im Haus«. Die Ursache war schnell geortet: Auf dem Dachboden des Vereinslokals hatte sich das gelagerte Heu entzündet. So schnell wurde wohl niemals mehr ein Brand gelöscht. Schließlich befanden sich die Floriansjünger ja direkt an Ort und Stelle. Als 1948 während des Hochwassers die Keller des Altersheims in der Laubau ausgepumpt wurden, leisteten die Einsatzkräfte zusätzlich Schwerstarbeit, indem sie zweihundert Zentner Kartoffeln vor den Wassermassen retteten. In den kargen Nachkriegsjahren wahrlich eine »nahrhafte« Tat. Ob es am defekten Telefon oder an Schwerhörigkeit lag, bleibt wahrscheinlich im Falle des Großbrands im Ortsteil Schwaig von 1949 immer ein Rätsel. Jedenfalls wurden die Feuerwehrler verspätet alarmiert, weil der diensthabende Polizist zu Fuß zum Wecken gehen musste. Und 1952 machten den Einsatzkräften nicht nur enorme Schneemassen, sondern auch große Wasserknappheit zu schaffen. So musste beim Brand eines Zuhauses im Ortsteil Geiern wie so oft bei Bränden im Umfeld von landwirtschaftlichen Anwesen der »Odel« (Jauche) als Hauptlöschmittel herhalten.

Trotz aller Vorkommnisse und Widrigkeiten haben die Floriansjünger (und mittlerweile auch ihre Kolleginnen) bis zum heutigen Tag immer kühlen Kopf bewahrt und ihre Hilfsbereitschaft den Mitmenschen gegenüber in vielfältiger Weise zuteilwerden lassen. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Geleitet vom bezeichnenden Wahlspruch, den sie sich auf ihre schmucke Fahne geheftet haben: »Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr.«

 

Ludwig Schick

 

19/2023