Jahrgang 2023 Nummer 3

Bayerische Wurzeln der Windsors

Vorfahren des neuen Königs Charles III. stammen zum Großteil aus deutschen Landen – Teil II

Victoire von Sachsen-Coburg heiratete den Herzog von Kent. Hier mit ihrer Enkelin Victoria, der späteren Mutter des Deutschen Kaiser Wilhelms II.
Ein starker Mann zum Anlehnen: Albert von Sachsen-Coburg und Gotha mit seiner Frau, Queen Victoria. Foto aus dem Jahr 1854.
Prinz Philip, hier im Alter von 18 Jahren,war der bislang letzte Royal mit deutschen Wurzeln, der in die britische Königsfamilie einheiratete. (Repros: Mittermaier)

Sich mit gerademal 27 Jahren aufs Altenteil zurückzuziehen, will der ehrgeizige Coburger allerdings nicht und so beginnt er, sich als Strippenzieher für seine Familie zu betätigen. Dank seiner Vermittlung kommt 1818 die Heirat Edward Augustus, Herzog von Kent und Bruder seines Schwiegervaters mit Leopolds verwitweter Schwester Victoire zustande. Der Herzog ist zwar schon über 50, doch nach dem Tod Charlottes würden Kinder aus einer Ehe in der Thronfolge ganz oben stehen, denn Edwards älterer Bruder Wilhelm IV. hat zwar eine ganze Schar an Sprösslingen, allerdings sind die alle von seiner Mätresse und haben keinen Anspruch auf die Herrschaft.

Ähnlich wie bei Leopold und Charlotte dauert auch die Ehe Victoires nicht einmal zwei Jahre – Edward stirbt im Januar 1820 an einer Lungenentzündung, doch er hat zuvor für Nachwuchs gesorgt in Form einer Tochter, Alexandrina Victoria, die nach dem Tod Wilhelms IV. 1837 als Königin Victoria den Thron besteigen sollte. Und auch sie wird einen Coburger heiraten: ihren Cousin Albert, Sohn von Herzog Ernst, dem älteren Bruder von Mutter Victoria und Onkel Leopold. Der ist inzwischenHerrscher des neu geschaffenen Königreichs Belgien und hat nun von Brüssel aus erneut die Finger mit imSpiel, wenn es darum geht, glänzende Partien für seine Coburger Verwandtschaft zu schließen.

Die Idee, Victoria und Albert mit einander zu verheiraten, entstand zwar schon im Windelalter der beiden Fürstenkinder, doch erst 1836 kam es zu einem ersten Treffen in London. Besonders erfolgreich verlief das von allen Seiten beäugte Rendezvous der beiden Teenager allerdings nicht. Albert erweist sich als äußerst schüchterner Zeitgenosse – Auf der Anreise hat er sich einen heftigen Durchfall eingefangen, der jegliche romantische Annäherung im wahrsten Sinn desWorts im Keim erstickt. Während Albert in der Folgezeit erst einmal seine Ausbildung fortsetzt, wird das Leben Victorias 1837 gehörig durcheinander gewirbelt. König Williams IV. stirbt überraschend und damit ist seine gerade mal 18-jährige Nichte Herrscherin über ein Weltreich. Für die frischgebackene Queen ist es ein Sprung ins kalte Wasser, denn sie wurde auf Betreiben ihrer Mutter völlig abgeschirmt erzogen und überhaupt nicht auf ihre Aufgabe vorbereitet.

Mit intensiver Unterstützung von Premierminister Lord Melbourne findet sich Victoria in die ungewohnte Rolle ein, die, wie sie schnell feststellt auch eine sehr positive Seite mit sich bringt. Ihre Mutter steht nun gesellschaftlich unter ihr – und kann ihr nichts mehr befehlen. Die junge Frau, die bislang keinerlei Freundschaften pflegen konnte und auch weitgehend von Vergnügungen ferngehalten worden war, genießt ihre Freiheit in vollen Zügen – und reagiert deshalb mehr als ablehnend, als erste Stimmen laut werden, dass sie sich verheiraten müsse.

Ihre widerspenstige Haltung sollte Victoria jedoch im Oktober 1839 binnen weniger Tage völlig über den Haufen werfen: Albert war erneut nach London gereist und seine königliche Cousine ist schon bei seinem ersten Anblick hin undweg: Aus demlinkischenTeenager ist ein nach ihren Worten »bildschöner« junger Mann geworden, der sich sicher und gefällig zu benehmen weiß. Nur zwei Tage nach seiner Ankunft macht Victoria Albert einen Heiratsantrag – das Protokoll verlangt, dass die Queen als rangmäßig Höhergestellte die Initiative dazu ergreift. Der Prinz sagt sofort »Ja« und die Queen jubelt, dass sie damit der glücklichste Mensch auf Erden sei.

Ihren abrupten Sinneswandel führen Historiker heute allerdings nicht allein auf Alberts Anziehungskraft zurück, sondern vor allem das Bedürfnis Victorias nach männlicher Zuwendung, denn ihre Arbeit als Herrscherin hatte sich mit all den Fallstricken, die eine Hofgesellschaft wie auch politische Machthaber hervorzubringen pflegen, als schwieriger herausgestellt als anfangs vermutet. Ein starker Arm, so die insgeheime Hoffnung Victorias, könnte die Last ihrer Rolle entsprechend abmildern. Die Öffentlichkeit ist indes alles andere als begeistert, dass schon wieder ein Deutscher und noch dazu aus einem in ihren Augen unbedeutenden Herzogtum die Rolle des Prinzgemahls spielen soll. Doch Albert gelingt es mit Fleiß und Verstand, die Widerstände ihm gegenüber nach und nach zu brechen und gleichzeitig auch für längst überfällige Reformen zu sorgen, die mit der Verschwendungssucht und Korruption am Hof aufräumen und das Ansehen der Königsfamilie, das durch Victorias Vorgänger immer weiter gesunken war, wieder zu verbessern.

Dass die Monarchie in Großbritannien im Gegensatz zu vielen Staaten auf dem Kontinent im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts nie ins Wanken gerät, ist zum Großteil auch Prinz Albert zu verdanken. Der Coburger erkannte schon früh die Macht der Bilder und nutzte das gerade erfundene Medium der Fotografie, um sich und die Queen samt ihrer am Ende neunköpfigen Kinderschar als traute Familie zu inszenieren und damit ein Image zu transportieren, das dem Volk als Vorbild dienen konnte.

Was die Öffentlichkeit auf den Fotos, die als Postkarten bald an jeder Ecke zu kaufen waren, nicht sieht, sind die Differenzen Alberts mit seiner Frau, die ihn zu seinem Unmut von allen Regierungsgeschäften ausschließt – ein Umstand, der auch ein Jahrhundert später einem anderen Prinzen mit deutschem Blut zu schaffen machen sollte: Prinz Philipp musste sich als Ehemann von Königin Elizabeth II. auch erst mühsam daran gewöhnen, nur die zweite Geige hinter der Monarchin zu spielen. Wie Philipp sollte sich jedoch auch Albert, der sehr vielseitig interessiert ist, mit eigenen Projekten eine anerkannte Rolle schaffen – der Coburger war beispielsweise Initiator der ersten Weltausstellung 1851 in London, die zu einem riesigen Erfolg wurde. Und er wird der britischen Königsfamilie auch mit einem neuen Familiennamen den Stempel aufsetzen, die sich nun, seiner Herkunft gemäß, Saxe-Coburg-Gotha nennt. Im Zuge des ersten Weltkriegs, bei dem sich Großbritannien und Deutschland als Feinde gegenüberstehen, ändern die Royals ihren Familiennamen um in Windsor, nach der königlichen Residenz vor den Toren Londons.

Der Anteil deutschen Bluts bleibt jedoch weiter hoch: 1893 hatte der spätere König Georg V. und Enkel Queen Victorias Maria von Teck geheiratet, eine morganatischen Enkelin Herzog Alexanders von Württemberg und deren Enkelin, die spätere Queen Elizabeth II. wählte sich mit Philipp von Griechenland einen Gatten, der über seine Mutter Alice ebenfalls deutscher Abstammung war. Wie groß der Anteil teutonischen Bluts in den Adern des frischgebackenen Königs Charles III. und seiner Nachkommen noch ist, wäre eine interessante Aufgabe für Genealogen bzw. Biologen.

 

Susanne Mittermaier

 

Teil I in den Chiemgau-Blättern Nr. 2/2023 vom 14. Januar 2023

 

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