Bayerische Wurzeln der Windsors
Vorfahren des neuen Königs Charles III. stammen zum Großteil aus deutschen Landen – Teil I


Sie sind das Sinnbild britischer Tradition und Lebensart: die Windsors, nach dem Tod von Queen Elizabeth II. nun mit dem neuen Oberhaupt King Charles III. Das Kuriose: In den Adern der königlichen Familie fließt tatsächlich weit mehr deutsches und zum Teil auch bayerisches, als englisches Blut.
Die teutonischen Ahnen reichen bis in die Zeit des 30-jährigen Krieges zurück, als der pfälzische Kurfürst Friedrich V. mit Elizabeth Stuart, Tochter des englisch-schottischen Königs James I., auf Deutsch Jakob I., vor den Traualtar trat. Elizabeth und ihre protestantische Konfession sollten zum Schlüsselelement für die »Germanisierung des britischen Throns werden, der mit dem Haus Hannover über sechs Generationen sogar von einer aus Deutschland stammenden Adelsdynastie regiert werden sollte. Grundlage dafür war ein 1701 vom britischen Parlament verabschiedetes Gesetz, wonach künftig nur Personen protestantischen Glaubens den Thron besteigen dürfen – eine Reaktion auf die im Vereinigten Königreich immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken.
Als 1714 mit Königin Anne das letzte Mitglied der Stuart-Dynastie kinderlos starb und kein anderer protestantischer Thronanwärter im Land vorhanden war, rückte ein Fürst aus dem heutigen Deutschland als neuer Herrscher Großbritanniens nach: Kurfürst Georg I. von Braunschweig-Lüneburg und Hannover, dessen Mutter Sophie eine Tochter von Elizabeth Stuart und Friedrich V. war. Georg wurde damit zum Gründervater der neuen britischen Königsdynastie der Hannoveraner, deren Ära über sechs Generationen bis zum Tod Königin Victorias I. 1901 andauern sollte.
Queen Victoria, die 1819 zur Welt kam, hatte bei ihrer Geburt so gut wie keinen Tropfen englischen Bluts mehr in ihren Adern, denn ihre Vorgänger aus deutschen Landen hatten sich ihre Ehepartner ebenfalls alle aus heimatlichen Gefilden geholt: Georg I. war mit seiner Cousine Sophie Dorothea von Braunschweig vor den Traualtar getreten, Sohn Georg II. heiratete Caroline von Brandenburg-Ansbach und Enkel Frederick ehelichte Augusta von Sachsen-Gotha. Fredericks Sohn, der als Georg III. regierte, heiratete mit Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz ebenfalls eine deutsche Prinzessin. Das britische Volk nahm diese geballte »Germanisierung« ihrer Königsfamilie zunächst erstaunlich gelassen auf: Den meisten war ein Ausländer auf dem Thron noch lieber als ein katholischer Herrscher britischer Herkunft.
Darüber hinaus mischten sich die Hannoveraner auch wenig in die traditionell vom Parlament bestimmte Politik ein, was ihnen zusätzlich Pluspunkte verschaffte. Gleichzeitig besaßen sie aber so viel Verstand, sich dem wirtschaftlichen Fortschritt nicht zu widersetzen und schufen damit wichtige Voraussetzungen, durch die das Vereinigte Königreich bis zum 19. Jahrhundert zum weltumspannenden Imperium aufstieg.
Ihre Aufgaben als Staatsoberhäupter erledigte die Riege der Georgs auf dem Thron zwar durchaus passabel, doch in ihrem Privatleben ging es dafür drunter und drüber, sehr zur Freude der auch damals schon sehr aktiven Londoner Klatschpresse, die alle Schwachstellen und Skandale der Royals dankbar aufgriff: Georg I. beispielsweise wurde verspottet, weil er so gut wie kein Wort Englisch sprach und darüber wurde ihm das Verhalten gegenüber seiner Ehefrau äußerst übel genommen: Sophie Dorothea war nach einer außerehelichen Affäre auf Anweisung ihres Mannes 1694 inhaftiert worden – ein Zustand, an dem sich bis zu ihrem Tod 1726 nichts ändern sollte. Großbritannien hatte damit zwar auf dem Papier eine Königin – doch die saß, statt auf dem Thron gefangen in einem Schloss im heutigen Niedersachsen.
Georg selbst hatte dagegen keine Skrupel, sogar bei seiner offiziellen Ankunft in Großbritannien mit einer seiner zahlreichen Geliebten am Arm in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Dazu stritt er sich permanent mit seinem Sohn und Nachfolger Georg II., der selbst kaum einen Deut besser war als sein Herr Papa, denn auch er verkrachte sich mit seinem Sohn Frederick so massiv, dass er ihn sogar zeitweise vom Hof verbannte. Der auf Georg II. folgende Georg III. führte zwar ein gemäßigteres Privatleben ohne große Ausschweifungen und Auseinandersetzungen, dafür agierte er aber politisch glücklos, denn unter seiner Herrschaft gingen die amerikanischen Kolonien verloren, was die britische Seele gehörig schmerzte. Und dann hatte er auch noch das Pech, an der damals unbekannten Stoffwechselstörung Porphyrie zu erkranken, in deren Folge er zunehmend unter geistiger Verwirrtheit litt, die sich schließlich so verschlimmerte, dass Georg III. nicht mehr in der Lage war, sein Amt als König auszuüben.
1811 übernahm sein ältester Sohn, der spätere Georg IV., als Prinzregent kommissarisch für seinen kranken Vater. »Prinny« sollte dem skandalträchtigen Privatleben der Hannoveraner eine neue Dimension aufsetzen: Schon in jungen Jahren lebte er so verschwenderisch, dass er mit gerade mal 30 Jahren Schulden im heutigen Wert von fast 60 Millionen Pfund angehäuft hatte, zu deren Tilgung das Parlament in öffentliche Töpfe greifen musste, allerdings unter der Bedingung, dass der vergnügungssüchtige Prince of Wales sich umgehend eine Braut besorge.
Georg blieb keine andere Wahl, als der Aufforderung nachzukommen und heiratete Caroline von Braunschweig, die ein ähnlich tragisches Schicksal erfuhr, als ihre inhaftierte Vorgängerin. »Prinny« verkündete nur wenige Tage nach der Trauung, dass er seine Frau so abstoßend finde, dass er die Verbindung nicht weiter aufrechterhalten könne. Caroline wurde auf einen Landsitz verbannt mit der Ansage ihres Mannes, dass er sie nie mehr wiedersehen wolle. Obwohl »Prinny« nur dreimal mit Caroline intim war, ehe er sie verstieß, brachte die junge Frau neun Monate nach der Heirat 1796 ein Mädchen, Charlotte, zur Welt, das als einziges Kind aus der Ehe ihrer Eltern Thronfolgerin war. Die Prinzessin sollte zur Schlüsselfigur für den Aufstieg eines fränkischen Adelsgeschlechts am britischen Hof werden.
1814 lernte sie auf einer Party in einem Londoner Hotel Prinz Leopold von Sachsen-Coburg-Saalfeld kennen. Als zweitgeborener Sohn ohne Anspruch auf den Titel, hatte Leopold eine militärische Karriere gewählt, allerdings nicht in seiner Heimat, sondern in Russland. Aufgrund der Heirat von Leopolds Schwester Juliane mit einem Bruder von Zar Alexander I. pflegte der Coburger Hof eine enge Verbindung zur russischen Kaiserfamilie und Alexander hatte seinem Schwippschwager einen Offiziersposten in seiner Armee gewährt. Innerhalb weniger Jahre stieg Leopold zum Generalleutnant auf und war 1814 in diplomatischer Mission im Gefolge des Zaren nach London gereist, wo die europäischen Großmächte darüber berieten, wie man dem kriegswütigen französischen Kaiser Napoleon den Garaus machen könnte.
Charlotte findet den Herzogssohn aus Franken bei ihrer ersten Begegnung interessant genug, dass sie ihn zum Tee zu sich einlädt. Leopold muss sich allerdings anschließend wieder ins Kriegsgeschehen auf dem Kontinent stürzen – und Charlotte ist damit beschäftigt, den ihr vom Vater als Heiratskandidaten auserkorenen, holländischen Thronfolger William loszuwerden. Währenddessen läuft der jungen Prinzessin ein preußischer Prinz über den Weg, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Als »Prinny« erfährt, dass seine Tochter mit ihrem Galan – dessen genaue Identität bis heute nicht geklärt ist – in Briefverkehr steht, stellt er sie unter Hausarrest. Die Verbindung zu ihrem Preußen löst sich wenig später auf, doch Charlotte weigert sich weiter kategorisch, Wilhelm zu heiraten. In dieser Situation kommt Leopold wieder ins Spiel.
Charlotte erklärt, wenn sie schon heiraten müsse, dann einen Kandidaten, der ihr halbwegs angenehm ist und diese Voraussetzung erfüllt der schneidige Franke offenbar. Durch Unterhändler lässt sie bei ihm anfragen, ob er an einer Heirat interessiert wäre. Zu Charlottes großer Enttäuschung bekommt sie von Leopold, der immer noch im Kampf gegen Napoleon beschäftigt ist, keine Antwort. Doch die Prinzessin will nicht aufgeben. Anfang 1816 nimmt schließlich der Prinzregent, der inzwischen eingesehen hat, dass er sich mit Wilhelm als Heiratskandidaten nicht durchsetzen kann, das Heft in die Hand und beordert Leopold nach Großbritannien, um von ihm eine Stellungnahme zur Anfrage seiner Tochter zu erhalten. Bei einem Dinner in seiner extravaganten Residenz in Brighton stellt Georg fest, dass er den fränkischen Prinz sehr sympathisch und als Heiratskandidat durchaus geeignet findet – und plötzlich geht alles ganz schnell: Im März 1816 wird die Verlobung der Princess of Wales bekanntgegeben und im Mai tritt das Paar vor den Traualtar.
Die arrangierte Verbindung entwickelt sich bald in eine Liebesheirat und das Volk jubelt über seine junge Prinzessin und ihren gutaussehenden Gatten aus dem fernen Germany. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit dem jungen Ehepaar: Nach einer Fehlgeburt ist Charlotte zwar schnell wieder schwanger, doch die Entbindung entpuppt sich zum Desaster. Die königlichen Leibärzte sind zu borniert, um die Komplikationen zu erkennen, die sich während der Geburt ergeben und entsprechend darauf zu reagieren. Nach zweitägigem Martyrium bringt Charlotte am 6. November 1817 schließlich einen toten Sohn zur Welt und stirbt wenig später selbst an inneren Blutungen. Der Ehemann und mit ihm das ganze Land sind zutiefst geschockt über die Ereignisse. Leopold muss nicht nur den Verlust seiner geliebten Frau und des kleinen Buben verdauen, auch seine Zukunft ist völlig über den Haufen geworfen, denn als angeheirateter Witwer ohne Nachkommen spielt er am Königshof keine Rolle mehr.
Susanne Mittermaier
Teil II in den Chiemgau-Blättern Nr. 3/2023 vom 21. Januar 2023
2/2023