Jahrgang 2002 Nummer 6

Auge in Auge mit der Brillenschlange

Der Reptilienzoo im Haus der Natur wurde neu gestaltet

Beim Angriff richtet sich die Brillenschlange auf.

Beim Angriff richtet sich die Brillenschlange auf.
Günter Prem, der Leiter des Reptilienzoos, mit einer Pythonschlange.

Günter Prem, der Leiter des Reptilienzoos, mit einer Pythonschlange.
Vor dem Landschaftsbecken der Mississippi-Alligatoren.

Vor dem Landschaftsbecken der Mississippi-Alligatoren.
Seit einigen Wochen präsentiert sich der Reptilienzoo im Haus der Natur in Salzburg in völlig neuer Gestaltung. Die Terrarien mit den Schlangen, Echsen, Schildkröten und Alligatoren wurden wesentlich vergrößert und tiefer gelegt, so dass die Tiere auch von Kindern gut beobachtet werden können.

Durch die Vergrößerung war es außerdem möglich, die verschiedenen Lebensräume der Reptilien wie Urwald, Steppe oder Wüste in meisterlicher Weise darzustellen. Bei der Erneuerung des großen Beckens für die Mississippi-Alligatoren haben sich die Landschaftsarchitekten etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Über der Sumpflandschaft verdüstert sich von Zeit zu Zeit der Himmel, es beginnt zu blitzen und zu donnern – und plötzlich prasselt ein heftiger Gewitterregen auf die träge im Wasser liegenden Krokodile nieder.

Wer in den Morgenstunden das Haus der Natur besucht, kann das laute Brüllen der Mississippi-Alligatoren nicht überhören. Es ist so kräftig, dass der Steinboden vor dem Becken bebt. Die Brüllaute sind Teil der Rituale, mit denen die Tiere ihre Reviere abgrenzen und Konkurrenten gegenüber Drohlaute ausstoßen.

Völlig neu gestaltet wurde das Terrarium für die Skorpions-Krustenechsen. Diese giftige Echsenart, deren Giftdrüsen sich im Unterkiefer befinden, leben im Osten der USA und in Mexiko in trockenen Wüstengebieten. Sie gehen in der Nacht auf Nahrungssuche aus und verspeisen kleine Nagetiere, aber auch Vögel und Vogeleier. Das Gift fließt beim Zubeißen über die Längsfurchen der Unterkieferzähne in die Bisswunde. Krustenechsen müssen deshalb im Gegensatz zu den Schlangen das Beutetier solange festhalten, bis genügend Gift in die Wunde eingeströmt ist.

Manchen Besucher mag schon ein unheimliches Gefühl beschleichen, wenn er – nur durch eine Glasscheibe getrennt – in einer Entfernung von einem halben Meter einem giftigen Reptil Auge in Auge gegenüber steht. Zur Beruhigung verweist Direktor Eberhard Stüber darauf, dass alle Terrarien im Reptilienzoo bestens gesichert und mit einem bruchfesten Spezialglas versehen sind. Die Konstruktion besteht durchwegs aus Metall, ein Ausbrechen der Tiere ist unmöglich. Außerdem steht vor der täglichen Öffnung des Museums eine gründliche Inspektion auf dem Programm, um sicherzustellen, dass alle Terrarien vorschriftsmäßig abgesperrt sind.

Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass ein Tierpfleger doch einmal von einem giftigen Reptil gebissen wird, verfügt das Haus der Natur über alle notwendigen Seren, um das Gift im Körper zu neutralisieren.

Eine Attraktion für junge und ältere Besucher sind immer wieder die Terrarien mit den exotischen Riesenschlangen. Es handelt sich durchwegs um gezüchtete Tiere. Dabei kann das Haus der Natur einen Rekord verzeichnen, und zwar mit der in Indien und Sri Lanka beheimateten Tigerpython, die mit 6,80 Metern und 92 Kilogramm Gewicht die größte Tigerpython in einem europäischen Zoo ist.

Auch eine Reihe von giftigen Riesenschlangen sind im Salzburger Reptilienzoo zu finden. Zu ihnen gehören:

– die Grüne und die Schwarze Mamba: Außerordentlich aggressive, reaktionsschnelle Schlangen aus Afrika;
– die Gabunviper, deren dreieckiger Kopf die doppelte Halsbreite erreicht, ihre Giftzähne können bis zu vier Zentimeter lang werden. Sie legt keine Eier, sondern bringt lebende Junge zur Welt;

– die Schauer-Klapperschlange, ebenfalls lebendgebärend. Wie alle Klapperschlangen hat sie vor den Augen ein Infrarot-Sinnesorgan in einer kleinen Grube und kann damit die Wärmestrahlung wahrnehmen, so dass sie in der Lage ist, ihre warmblütigen Beutetiere auch bei völliger Dunkelheit zu erkennen und gezielt zuzubeißen;

– die Puffotter, eine plumpe, dicke afrikanische Vipernart. Ihr blutzersetzendes Gift ist für den Menschen absolut tödlich, wenn nicht augenblicklich ein Gegengift verfügbar ist;

– sechs große Kobras (Brillenschlangen). Bei Gefahr oder kurz vor dem Angriff richten sie den Vorderkörper auf und spreizen ihren Nacken, so dass die Brillenzeichnung sichtbar wird. Kobras sind in Indien das beliebteste Objekt der »Schlangenbeschwörer«. Bei diesem Trickakt lässt der Flötenspieler eine im Körbchen gehaltene Kobra sich aufrichten und zu den Tönen der Flöte »tanzen«. Der Einfluss der beschwörenden Musik ist Bluff, da die Tiere taub sind. Ihre Tanzbewegungen entstehen dadurch, dass die Schlange die Bewegungen des Beschwörers automatisch mitmacht, um den Gegner genau zu fixieren. Fast immer werden dabei Schlangen benutzt, denen die Giftzähne ausgebrochen wurden;

– mehrere Kupferköpfe, berüchtigt wegen ihrer Giftwirkung, bei der sich Haut und Fleisch blau verfärben;

– eine mexikanische Mokassinotter, eine hervorragende Schwimmerin, die bei Gefahr mit offenem Maul und vorgeklappten Giftzähnen droht. Sie kann in Gefangenschaft über zwanzig Jahre alt werden;

– eine Greifschwanz-Lanzenotter, die mit ihrem Greifschwanz auf das Bewohnen von Bäumen spezialisiert ist. Ihr Biss verursacht innere Blutungen (Schwarzfärbung der Haut). Sie birngt pro Wurf bis zu siebzig Junge zur Welt, die sofort ihren Giftapparat gebrauchen können.

Gelegentlich zu hörende Bedenken, die Terrarienhaltung sei für große Reptilien unnatürlich, weil sie zu wenig Bewegungsspielraum hätten, hält Direktor Stüber für unberechtigt. »Die meisten Reptilien sind außerordentlich träge Tiere, die sich nur dann bewegen, wenn ein Nahrungstier in Sicht kommt«, erklärt er. Schlangen lägen oft wochenlang zusammengeringelt an einem Fleck oder auf einem Ast – sie würden sich auch in einem noch so großen Terrarium in irgendeinen geschützten Winkel verkriechen. »Reptilien können sich einen so phlegmatischen Lebenswandel leisten, da sie viel weniger Nahrung brauchen als ein Warmblüter«, betont Direktor Stüber »Eine Schlange frisst im Jahr eine Futtermenge, die etwa ihrem eigenen Körpergewicht entspricht.«

JB



6/2002