Als »Ludwig Feßler« zu rauchen aufgehört hat
Das Flaggschiff der Chiemseeflotte wurde vor 50 Jahren auf Dieselbetrieb umgestellt





Ob groß, ob klein: Die meisten Menschen aus der Region sind schon einmal mit dem Schaufelraddampfer Ludwig Feßler auf dem Bayerischen Meer unterwegs gewesen. 97 Jahre ist er inzwischen alt und hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Das gilt auch für sein »Innenleben«, dessen Herzstück im ersten halben Jahrhundert seines Bestehens ein Dampfkessel war. Der wurde vor genau 50 Jahren durch Dieselmotoren ersetzt. »Ludwig Feßler hört das Rauchen auf« – diese Schlagzeile vor 50 Jahren weckte das Interesse des Chronisten. Natürlich wäre es dem damaligen Traunsteiner Wochenblatt keine Schlagzeile wert gewesen, wenn der Chef der Chiemsee-Schifffahrt künftighin auf Glimmstengel, Zigarre oder Tabakspfeife verzichten würde. Die Rede ist in dem Beitrag aber nicht vom leibhaftigen Firmenchef Ludwig Feßler, sondern von dem besagten Schaufelraddampfer. Die Chiemgau-Blätter begaben sich auf Spurensuche und versuchten mit Hilfe des Seniorchefs der Chiemsee- Schifffahrt, Ludwig Feßler (82), den Weg der alten Dampfmaschine nachzuzeichnen.
Das Salonschiff, das im Jahr 1926 in Dienst gestellt worden ist, wurde 1973, also vor genau 50 Jahren, umgebaut. Die riesige Dampfmaschine wurde ausgebaut und durch zwei leistungsstarke Dieselmotoren ersetzt. Es war mit der Nummer 576 die letzte Schiffsdampfmaschine, die von Joseph Anton von Maffei in München gebaut wurde. Wir forschten nach und fanden heraus, dass die alte Dampfmaschine vom Chiemsee noch heute zuverlässig ihren Dienst verrichtet – und zwar in der Schweiz auf dem Neuenburger See. Dort treibt sie den Dampfer Neuchâtel an, wie der Seniorchef der Chiemsee-Schifffahrt, Ludwig Feßler auf Anfrage berichtete.
Die Kesselanlage des 53 Meter langen Chiemseedampfers wurde zu Beginn der 1970er Jahre zunehmend erneuerungsbedürftig. Der benötigte Dampfkessel wäre eine Sonderanfertigung gewesen – viel zu teuer! Auch die Betriebskosten der Dampfmaschine, also sowohl der Brennstoff Kohle als auch das vorzuhaltende Personal, waren inzwischen so hoch, dass Ludwig Feßler nach einer Lösung suchte, die wirtschaftlich vertretbar war. Die fand man in Form zweier MAN-Dieselmotoren mit jeweils 279 kW Leistung. Sie treiben seither über eine Hydraulikanlage die beiden riesigen Schaufelräder an. Auch der Schornstein blieb, so dass das Schiff sein altes Erscheinungsbild als Schaufelraddampfer beibehielt. Und seit der Umrüstung braucht man nur noch drei statt sieben Mitarbeiter an Bord. Wendiger ist der eher behäbig wirkende Dampfer vor 50 Jahren auch geworden: Die Schaufelräder sind seit der Umrüstung nicht mehr durch eine starre Kurbelwelle verbunden, sondern jedes Rad hat einen eigenen Hydromotor und kann damit unabhängig voneinander bewegt werden. Damit hat sich die Manövrierfähigkeit des Schiffes enorm verbessert. Jetzt ist es möglich, das Schiff auf der Stelle zu drehen.
Der Raddampfer wurde in der Regensburger Werft Theodor Hitzler gebaut. Zusammengesetzt wurde er ab dem Frühjahr 1926 in Prien. Dazu kann man in der Firmenchronik lesen: »Es war ein turbulentes Treiben: unablässig wurden Bauteile angeliefert, es wurde gehämmert und genietet, geschreinert und gemalert. Alle Beteiligten fiebertenmit Spannung der Fertigstellung des 53 m langen und 11,60 m breiten Schiffes entgegen. Mit seinem eleganten Aussehen, dem geschmackvollen Salon und dem einzigartigen Ambiente entwickelte sich der Dampfer schnell zu einem beliebten Ausflugsschiff. In den bitteren Kriegsjahren stand der Raddampfer Ludwig Feßler still, da die Besatzung an der Front und die Kohlen knapp waren. Erst 1949 wurde der Raddampfer für die nun ständig wachsende Zahl von Fahrgästen wieder eingesetzt.«
In dem Zeitungsbericht von 1973 kann man weiter lesen: »Durch diese Umbaumaßnahme kann das Schiff noch Jahrzehnte in Betrieb erhalten werden und zusammen mit den zehn Schwesterschiffen der Chiemseeflotte den Ansturm der Urlauber bewältigen. Zur Zeit wird versucht, die alte Dampfmaschine in einem Museum unterzubringen, um auch sie erhalten zu können«. Die Einschätzung, dass der Dampfer noch Jahrzehnte fährt, hat sich bis heute erfüllt. Was aber ist aus dem Bestreben geworden, einen Museumsplatz für die Dampfmaschine zu finden?
Ludwig Feßler berichtet, dass er damals, vor 50 Jahren, zunächst versucht habe, das Gerät im Heimatmuseum in Prien unterzubringen. Die gigantische Anlage, fünf Meter lang, über drei Meter breit und tonnenschwer, hatte aber nirgends Platz. Auch das Deutsche Museum in München winkte aus Platzgründen dankend ab. Als Lösung bot sich das Fahrzeugmuseum Marxzell bei Karlsruhe an. Es ist ein privates Verkehrs- und Technikmuseum mit über 3600 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Dort werden heute über 140 Autos, 170 Motor- bzw. Zweiräder, über 20 Traktoren, mehr als ein Dutzend alte Feuerwehrautos und viele weitere historische Raritäten ausgestellt. Einen Ehrenplatz in dem Museum fand die alte, in Einzelstücke zerlegte Dampfmaschine vom Chiemseedampfer dort jedoch nie. Sie gammelte im Depot vor sich hin und der Rost nagte an ihr.
Die Rettung sollte aus den Niederlanden kommen. Dorthin wurden die Teile verkauft, restauriert und wieder zusammengebaut. Die Dampfmaschine sollte einen alten Dampfer antreiben, erwies sich zuletzt aber zu leistungsschwach, so dass die Pläne verworfen wurden. Im Jahr 2004 kaufte dann Trivapor um einen sechsstelligen Betrag die alte Dampfmaschine. Trivapor ist ein Verein, der 1999 dafür gegründet wurde, das Dampfschiff Neuchâtel zu kaufen und zu restaurieren. Die Neuchâtel ist ein 1912 gebauter Schaufelraddampfer, der bis 1968 auf dem Bieler See, dem Neuenburger See und demMurtensee in der Schweiz verkehrte. Er ist 46 Meter lang und kann bis zu 300 Personen befördern. Mit finanzieller Unterstützung des Schweizer Bundes, der Kantone, mehrerer Ufergemeinden und privater Spender, konnte der in eine Stiftung umgewandelte Verein Trivapor die Neuchâtel 2007 kaufen und dank der Dampfmaschine vom Chiemsee 2013 wieder in Betrieb setzen. In den Jahren davor war das Schiff am Ufer gelegen und als Restaurant genutzt worden.
Seit zehn Jahren also schlägt das alte Herz des Flaggschiffes der Chiemseeflotte heute in der Schweiz.
Klaus Oberkandler
10/2023