Jahrgang 2002 Nummer 12

Albrecht Dürers Hase wird 500 Jahre alt

An den Osterhasen dachte der Maler noch nicht

Albrecht Dürer: Junger Feldhase, 1502.

Albrecht Dürer: Junger Feldhase, 1502.
Auf Zinntellern abgebildet, in Kupferplatten eingraviert, als Druck gerahmt – Dürers berühmter Hase ist in vielen Geschenkläden und Wohnungen zu finden. Die Datierung über dem von ihm eigenhändig eingezeichnetem Monogramm weist aus, dass er 1502, also vor 500 Jahren, gemalt worden ist. An den Osterhasen hat Dürer dabei mit Sicherheit nicht gedacht, denn den Glauben an dieses Wundertier gab es damals noch nicht. Dürer wollte jedenfalls auf keinen Fall das »süße Häschen« malen, das aus unserer Osterhasenperspektive gern darin gesehen wird.

Es ging ihm um etwas ganz anderes. Er wollte die Natur, die sichtbare Wirklichkeit, den Bau der Welt kennen lernen. So schreibt er: »Das Leben in der Natur gibt zu erkennen die Wahrheit der Dinge. Darum sieh sie fleißig an, richte dich danach und gehe nicht von der Natur ab nach deinem Gutdünken.« Er interessiert sich für das Kleine und widmet sich dem Detail, der Pflanze, dem Tier, das nun nicht mehr nur Beiwerk, symbolische Ergänzung einer biblischen oder anderen Darstellung ist. Der Hase ist also nicht Mittel zum Zweck, sondern für sich bedeutsam, um seiner selbst willen dargestellt. Durch die Meisterschaft eines großen Künstlers wird aber dieses Gattungswesen »Hase« zu einem höchstlebendigen jungen Feldhasen, zu einem »Bild«, das in der Natur enthalten ist. Wie sagte er doch: »Dann wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus reißen kann, der hat sie.«

In einem alten Lesebuch heißt es über Dürers Hasen: »Endlich war der Hase durch etliche grüne Blätter zutraulich gemacht und saß still. Und nun zeichnete und malte der Meister alle feinen Züge des weichen Fells, die klugen, sanften Augen, die feinen Barthaare, die katzenhaften Pfoten.« Natürlich wissen wir nicht, wie es beim Malen zugegangen ist, doch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Dürer wirklich einen lebenden Hasen vor sich hatte. Alles wirkt sehr lebendig und gegenwärtig, seine aufgerichteten großen Lauscher, seine Wachsamkeit, seine Bereitschaft zur Flucht. Man hat das Gefühl, dass er, wenn nötig, sofort losspringen würde. Auch das Fell, die »mit dem Pinsel gezeichneten« Härchen, wirken außerordentlich anschaulich und scheinen ertastbar. So ist der junge Feldhase ein geniales Werk, das zeigt, wie Dürer versucht hat, die Natur, die Welt zu begreifen und darzustellen. Tief religiös und noch in den alten Traditionen verhaftet, war er ein Suchender, der der Kunst durch seine Vollendung neue Wege wies.

HF



12/2002