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»Camper« haben ihre Behausung nahe des Wasserfalls am Königssee hinterlassen. (Foto: Dominik Joosten)

Wohnmobilwahnsinn im Talkessel: Camper nutzen öffentliche Parkplätze – Fäkalien und Müll

Berchtesgaden – Wegfahren, die Seele baumeln lassen, Ruhe genießen: Das hatten in letzter Zeit wohl viele Ausflügler mit ihren Wohnmobilen vor. Konsequenz: Beinah jeder freie Parkplatz im Talkessel wurde und wird als Stellplatz genutzt und leider nicht so hinterlassen, wie man es sich wünschen würde.


Im Berchtesgadener Talkessel war es lange still. Die Menschen blieben während der Ausgangsbeschränkung weitestgehend daheim, die Natur konnte sich erholen und die Bewohner ihre Heimat in Ruhe genießen. Es ist schon lange her, dass es in Berchtesgaden so still war. Es war wohl die Ruhe vor dem Sturm.

Vor einigen Wochen reisten dann immer mehr Tagesausflügler nach Berchtesgaden. Verständlich, jeder will raus in die Natur, das wunderbare Wetter genießen, den Alltag hinter sich lassen.

Da Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen erst am 30. Mai wieder öffnen dürfen, mussten sich die Gäste anderweitig aushelfen. Sie reisten mit Wohnmobilen, ausgebauten Vans und ihren Zelten an. Erst waren es nur einige am Königssee Parkplatz, mit der Zeit wurden es immer mehr. Mittlerweile stehen an einem Tag bis zu 50 Camper am Parkplatz Hintersee. Das gleiche Bild am Parkplatz Götschen, am Hochschwarzeck, Scharitzkehl, Hinterbrand und auch an den Parkplätzen am Königssee. Die Liste lässt sich unendlich fortführen.

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Foto: privat/Facebook

Umweltverschmutzung nimmt neue Ausmaße an

An den Parkplätzen gibt es bis auf wenige Ausnahmen weder sanitäre Anlagen noch genügend Mülltonnen für die Hinterlassenschaften der Camper. Die Folge: Überall liegen Müll, Fäkalien oder Holzkohle. Was nicht mehr in die Mülltonne passt, wird daneben abgestellt, sofern Mülltonnen vorhanden sind. Doch nicht nur die Parkplätze selbst sind zum Übernachtungs-Hotspot geworden. Auch abgelegene Orte wie der Wasserfall am Königssee oder gar der Obersee werden schon seit Längerem als Übernachtungsort aufgesucht – während der Coronazeit nun noch mehr.

Ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung, und ja, so kann man es nennen, machte sich Anfang der Woche Dominik Joosten. Er ist Ranger im Nationalpark Berchtesgaden und selbst regelmäßig am Wasserfall unterwegs. »Das Bild, das sich mir dort bot, war wirklich ein absoluter Wahnsinn.

Man konnte deutlich sehen, dass hier mehrere Menschen ein Camp aufgeschlagen hatten.« Was Joosten hier vorfand, ist kaum vorstellbar: Plastikplanen und Klebeband eines selbst gebauten Biwaks, Boxer Shorts, Zahnbürsten, leere Konservendosen sowie zwei Feuerstellen. »Es ist grundsätzlich verboten, im Nationalpark zu campieren oder Feuer zu machen. Aufgrund der Trockenheit der letzten Monate ist es natürlich noch verheerender«, erklärt Joosten.

Der Ranger sammelt den Müll ein, zurücktragen kann er ihn allein allerdings nicht. »Es ist oft so viel, dass ich alles einsammle und ein Boot den Müll dann abholen muss. Für mich als Einzelperson ist es gar nicht möglich, die Säcke zurück zu transportieren.« Dominik Joosten fotografierte die Situation und teilte seine Erfahrungen auf Facebook. Die Reaktionen überschlugen sich, viele fordern zudem ein Handeln der Gemeinden und härtere Strafen für die Vergehen.

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Campingplatz? Nein, das ist der Götschen Parkplatz. Die Wohnmobilfahrer stehen hier wie auf Parzellen, Müll wird in Säcken an den Rand gestellt. (Foto: Hans Gruber)

Der Nationalpark wird nun in Zusammenarbeit mit der DAV-Sektion Berchtesgaden vermehrt Kontrollen im gesamten Nationalpark durchführen. Das Team wird in Schichten aufgeteilt und somit auch abends oder früh morgens seine Runden drehen. Von nun an wird jeder Wild-Camper ausnahmslos angezeigt, die Strafen bewegen sich zwischen 50 und 2500 Euro.

»Ich sehe dem Bergsommer 2020 mit etwas Bauchweh und Besorgnis entgegen. Die Hütten sind ausgelastet, Hotels und Pensionen können nicht die vollen Kapazitäten ausschöpfen oder sind jetzt für die kommenden Wochen und Monate schon voll ausgebucht.« Das, was Joosten mit sehr viel Unverständnis zurücklässt, ist die Tatsache, dass diese Camper doch angeblich alle die Natur schätzen. »Ich komme doch hier her, gerade weil ich die Natur genießen will, das Unberührte schätze. Es ist mir unbegreiflich, wieso dann gerade diejenigen das zerstören, was ihnen in dem Moment so wichtig ist. Das macht mich traurig.«

Besorgte Bevölkerung

Die Situation an den Parkplätzen und in der Natur beschäftigt natürlich auch viele Einheimische. Sie machen ihrem Unmut in den sozialen Netzwerken Luft. In den Gruppen »Das ärgert uns im Berchtesgadener Land«, »Berchtesgaden gegen Plastikmüll« oder auch auf den Seiten der Touristenverbände wie Ramsau.de beschweren sich immer mehr Anwohner.

Tourismusdirektor Fritz Rasp ist regelmäßig an den Parkplätzen am Hintersee unterwegs. Am vergangenen Wochenende zählte er rund 50 Wohnmobile auf den Parkplätzen. Via Facebook zeigte auch er anhand von Bildern die Probleme auf: »Es war unfassbar, die Plätze sehen schlimm aus. Verdreckte Toilettenanlagen, volle Mülltonnen und auch daneben liegt jede Menge Abfall. Verständlich, dass sich Anwohner aber natürlich auch die Bürger beschweren. Neben dem ganzen Dreck, der vor ihrer Haustüre zurück bleibt, dürfen sie ihre Hotels und Pensionen nicht öffnen, die Urlauber kommen aber trotzdem. Und das in einem Ausmaß, wie wir es einfach nicht stemmen können«, erzählt Rasp. Die Situation sei allerdings schwer in den Griff zu bekommen.

Laut Gesetz dürfen Fahrer eine Nacht auf einem Platz verbringen, um sich von der Fahrt zu erholen. Solange Camper keine richtigen Lager mit Stühlen, Tischen und Co. aufbauen, könne man hier nicht viel mehr machen, als die Menschen zu ermahnen. Derzeit ist das Bergsteigerdorf Ramsau mit der Gemeinde aber auch mit dem Nationalpark in engem Kontakt, um Pläne auszuarbeiten.

Auch Bürger wie Facebook-Nutzer Josef Votz machen sich täglich ein Bild am Hochschwarzeck. Er wünscht sich mehr Kontrollen und extra für Camper vorgesehene Stellplätze. »Zudem zahlen Wildcamper keinen Kurbeitrag, kommen aber mit teuren Wohnmobilen angereist«, so Votz.

Auch die Schönauerin Tina Sottung ist schockiert über die Zustände: »Es ist so traurig! In den letzten Monaten konnte sich die Natur so erholen und ich habe endlich mal wieder gesehen wie wunderschön meine unmittelbare Heimat ist. Ich habe gehofft, dass sich etwas ändert und gedacht, dass die Menschen jetzt wieder respektvoller mit der Natur und ihren Mitmenschen umgehen.

Anscheinend lernen manche aber einfach nur durch Strafen und freuen sich umso mehr, wenn sie mal nicht erwischt werden.« Trotzdem gibt es aber auch Stimmen, die in die andere Richtung gehen. So fordern einige mehr Mülltonnen und mehr Stellplätze für Camper. Zudem sei zu beachten, dass der Müll nicht nur von den Campern, sondern auch von anderen Ausflüglern komme. Das können auch Einheimische sein.

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Sind die Tonnen voll, werfen die Menschen ihren Müll daneben. (Foto: Fritz Rasp)

Wenig Einschreiten seitens der Polizei

Auch der Polizeiinspektion Berchtesgaden ist die Situation bekannt. »Grundsätzlich ist Wildcampen verboten und auch die Parkplätze sind dementsprechend gekennzeichnet. Allerdings überprüfen wir die Plätze nur sporadisch und schreiten erst ein, wenn wir Anrufe erhalten, dass Verstöße gegen das Gesetz vorliegen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Camper Feuer machen, die Parkplätze verschmutzen oder auch die Abstandsregeln nicht einhalten. Dahingehend liegen bei uns nur wenige bis keine Verstöße vor«, so Polizeichef Willi Handke. Die Überwachung liege hier grundsätzlich bei den Kommunen selbst.

Handke sieht die Situation etwas pragmatischer. Dieses Problem gäbe es aktuell nicht nur bei uns, es ziehe sich bis ins Allgäu und auch weiter zu den Seen wie Tegernsee oder auch nach Garmisch-Partenkirchen. »Die Leute wollen einfach raus und die Campingplätze haben zu. Streng genommen könnte man sagen, sie hätten ja gar nicht wegfahren sollen. Verbieten kann man es ihnen aber nicht mehr. Die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf, nur weil wir sie verwarnen. Dann ziehen sie eben weiter und schlagen woanders ihr Camp auf«, sagt Handke. Die Polizei versuche die Leute zu belehren, zeige aber auch Verständnis für ihre Situation, an der man aktuell nur wenig ändern könne.

Hoffen auf Besserung

Zuletzt bleibt nur zu hoffen, dass sich die Lage von selbst etwas entspannt, sobald die Campingplätze wieder öffnen. Solange sollten die Anwohner und auch Besitzer von Privatgründen, auf denen Leute parken oder auch wild campieren, alle Verstöße direkt bei den zuständigen Ämtern melden sowie selbst versuchen, die »Übeltäter« zur Rede zu stellen und an deren gesunden Hausverstand appellieren. Wer in der Zwischenzeit selbst etwas tun möchte, kann bei jedem Spaziergang eine Mülltüte mitnehmen und ein paar Sachen einsammeln.

​Die Berchtesgadener Land Tourismus GmbH äußerte am Mittwoch auf ihrer Facebook-Seite folgende Bitte:

Die Campingplätze in und um Berchtesgaden sind für das Pfingstwochenende bereits komplett ausgebucht. Als Biosphärenregion mit Nationalpark und engagierter Landwirtschaft hoffen wir sehr, dass Urlauber mit Wohnmobil und Camper nur dann anreisen, wenn Sie vorab eine reguläre Übernachtungsmöglichkeit auf Camping- oder Stellplätzen reserviert haben.

Beachtet bitte: »Individuelle« Übernachtungen auf Parkplätzen oder versteckten Straßen sind nicht nur untersagt, sondern auch für die Natur eine hohe Belastung. Bitte reist nicht ohne Reservierung an, sondern fragt zur Sicherheit per E-Mail bei den Campingplätzen nach.

www.berchtesgaden.de/camping 

Eva Goldschald/red