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Luise Kinseher als Frau Frese. (Foto: Lisa Schuhegger)

»Wer sagt, dass die Evolution des Menschen schon vorbei ist?«

Bischofswiesen – Luise Kinseher betritt als kühle Frau Frese mit klapperndem Gebiss, straffem Dutt und Stock die »Kulturhof«-Bühne. Der Festsaal am Kulturmittwoch ist voll besetzt. Man hört eine Möwe kreischen. Die Szene, mit der die 54-jährige Kabarettistin ihr Soloprogramm mit drei Rollen »Wände streichen, Segel setzen« eröffnet, spielt auf der Aida. Dort verbringt Frau Frese, nachdem die Pandemie ihren 88-jährigen Gatten Heinz »weggerissen hat«, ihre Tage nun alleine. Heinz ist noch per Möwenschrei präsent und die Frau berichtet, dass sie alles verkauft hat, auch die sanierungsbedürftige, zum Biotop mutierte Münchner Wohnung, die die zweite Rolle im Soloprogramm – Luise selbst – bewohnt.


Luise versucht mit der Situation klarzukommen und erzählt von einem Riss im Wohnzimmerparkett und kommt im Programmverlauf immer wieder darauf zurück. Erst habe sie gar nicht bemerkt, wie sich der Riss zu einem riesen Loch entwickelt hat, in der Nacht habe es dann einen »riesen Wumms, einen Doppel-Wumms kannst sagen«, getan und sie habe das Ausmaß bemerkt.

Wie Luise von der Wohnung mit dem Biotop-Wohnzimmer, in dem Pilze wachsen, eine seltene Libellenart lebt und im Lampenschirm Kanarienvögel nisten, erzählt, spielt im Subtext fortan der Klimawandel mit und sie schneidet verschiedene aktuelle Themen an: Energiekrise, Blackout, Corona, Bayern heute, Digitalisierung und künstliche Intelligenz, Bildung und die Dummheit des Spezies Mensch und wie der mit Problemen umgeht. Sie fragt humorvoll verpackt, wohin die aktuellen Entwicklungen hinführen. Darüber hinaus kommentiert sie im »Mama Bavaria«-Stil das politische Zeitgeschehen und interagiert mit dem Publikum. Sie lädt es ein, mitzusingen, sucht und hält Blickkontakt und spricht einzelne Zuseher direkt an.

Luise blickt in die Vergangenheit. Zwanzig Jahre wohne sie schon in ihrer Münchner Biotop–Wohnzimmer-Wohnung. Sie sinniert über die Vergangenheit und freut sich, dass mit der Schülerin Luisa eine »Unter-20-Jährige« im Publikum sitzt »Es gibt immer wieder historisch interessierte Personen.«

Im gut zweistündigen Programm mit grandios erzählten, fantasievollen Geschichten, Metaphern und Pointen, die sitzen, lernt das Publikum nach der Pause die dritte Figur des Programmes kennen: »Mary from Bavary«. Die dauerbeschwipste Diva im Morgenmantel ist zum Schreien. Wegen des Corona-Lockdowns reist sie mit ihren beiden Freundinnen anstatt nach Mallorca in den Forst und entdeckt dort das Waldbaden für sich, lernt mehr Vogelarten als nur »Schluckspecht, Schnapsdrossel und Reiher« kennen und genießt beim Baumumarmen, dass der Baum nicht von ihr wegrennt. Außerdem interpretiert sie das Märchen der Frau Holle neu. Frau Holle reift – »Holla die Waldfee« – zur autonomen Feministin, geliftet, mit schneeweißen Zähnen.

Als »Mary from Bavary« wagt die niederbayerische Kabarettistin einen Ausflug in die Welt der Oper und bezaubert mit der Arie der »Königin der Nacht« aus der Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart, »das ist der mit der Kugel«.

Auch sonst beweist die studierte Germanistin, Theaterwissenschaftlerin und Historikerin, dass sie auch singen kann. Noch in der Rolle der Frau Frese bringt sie das Publikum gleich zu Beginn in Stimmung als sie mit ihm »Seemann, deine Heimat ist das Meer« anstimmt oder als sie zum Ende des Programmes mit ihrem Techniker Simon, den sie fortan als ihren wichtigen Partner erwähnt, »Don't Let the Sun Go Down on Me« von George Michael zu Gehör bringt. Die Interpretation des Gänsehaut-Liedes wäre ein schöner Abschluss gewesen, doch das Publikum will noch mehr und fordert Zugabe. Jetzt philosophiert die Kabarettistin über die Roboter, die mittlerweile in den Haushalten saugen, wischen und mähen. Sie malt aus, wie sich die weiterentwickeln zum »wischenden Mähsauger« oder »mähenden Wischsauger« und gibt zu bedenken: »Wer sagt, dass die Evolution des Menschen schon vorbei ist?«

Lisa Schuhegger