Traunstein: Oberarzt der Intensivstation am Klinikum ärgert sich über Verharmlosung von Covid-19 als Schnupfen
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Sie geben alles für ihre Corona-Patienten auf der Intensivstation: Unser Bild zeigt (von links) eine Pflegekraft in voller Schutzkleidung (Schutzmantel, Handschuhe, Kopfhaube, FFP2-Maske und Gesichtsvisier), Holger Liermann und weitere Kollegen auf dem Gang der Intensivstation.

»Über die Verharmlosung als Schnupfen ärgere ich mich persönlich«

Traunstein – Immer wieder wird in Demonstrationen die Gefährlichkeit von Covid-19 in Frage gestellt. Aber wie gefährlich ist es? Was erleben Ärzte und Pflegekräfte am Klinikum Traunstein? Ein Gespräch mit Holger Liermann, Oberarzt der Operativen Intensivstation am Klinikum Traunstein.


Auf den Intensivstationen am Klinikum Traunstein wurden heuer knapp 70 Covid-19-Patienten behandelt – die meisten hatten sehr schwere Erkrankungsverläufe. Am Klinikum Traunstein stünden 37 Intensivbetten zur Verfügung. »Davon waren Anfang November bis zu einem Drittel mit Covid-19-Patienten belegt«. Diese Betten stünden aber auch zu normalen Zeiten nicht leer. Unter diesen Umständen könnten viele geplante oder weniger dringliche Operationen und Untersuchungen nicht stattfinden.

Personalbedarf für Covid-19-Patienten ist höher

Eine Erweiterung der Bettenkapazitäten sei nicht einfach: Auch das Krankenhauspersonal sei von der Pandemie betroffen mit Quarantäne- und Krankheitsausfällen. Dazu komme der allgemeine Mangel an Pflege-, und vor allem an Intensivpflegekräften.

»Schon vor der Pandemie konnten immer wieder Intensivbetten zeitweise wegen Personalausfalls nicht belegt werden«, so Liermann. Und der Personalbedarf für Covid-19-Patienten sei deutlich höher.

»Die Intensivpflegekräfte können die Patientenzimmer oft stundenlang nicht verlassen, denn das korrekte An- und Ablegen der Schutzausrüstung kostet Zeit«, erklärt Liermann. Die Patienten könnten von einer Sekunde auf die andere in gefährliche Notlagen geraten. Sie brauchten permanent Pflegekräfte in voller Schutzausrüstung bei sich. Deshalb gebe es weitere Mitarbeiter aus anderen Berufsgruppen auf dem Gang, die Material und Medikamente bringen.

Das permanente Arbeiten in Schutzausrüstung, unter anderem mit FFP2- oder gar FFP3-Maske, Schutzbrille oder Visier, ein Paar Handschuhe unter und ein Paar über die Kittelärmel gezogen, sei sehr anstrengend. »Man kann den Einsatz und das Engagement der Mitar-beiter und auch der Unterstützungsteams nur bewundern«, sagt Liermann. Viele hätten zuvor noch nie auf einer Intensivstation gearbeitet, geschweige denn auf einer Covid-19-Intensivstation, auf der Patienten trotz modernster Intensivmedizin sterben.

Die Lungen der Patienten könnten nicht genug Sauerstoff ins Blut transportieren. »Wir können den Patienten große Mengen Sauerstoff über eine spezielle Nasen'brille' verabreichen«, so Liermann. Oft sei eine nichtinvasive Beatmung mit einer dichten Nase-Mund-Maske oder Gesichtsmaske für viele Stunden am Tag nötig.

In den schwersten Fällen müsse die Beatmung über einen Schlauch durch den Rachen erfolgen unter Narkose – »wir wissen mittlerweile, dass die Beatmung bei Covid-19 häufig länger als zwei Wochen dauert, in einigen Fällen auch über einen Monat.« Gerade älteren Patienten drohten schwere Folgeschäden: »Kognitive Defizite nach langer Narkose, Schluckstörungen, Muskelabbau und Abnahme der körperlichen Belastbarkeit sehen wir bei unseren Patienten vom Frühjahr«.

Keineswegs nur für 'die Alten' gefährlich

Dabei wolle er dem Eindruck entgegentreten, dass Covid-19 nur für »die Alten« gefährlich ist. »Obwohl der Altersdurchschnitt der Covid-19-Patienten auf unserer Intensivstation über 70 Jahren liegt, haben wir auch Patienten mit schwersten Multiorganversagen verloren, die nur knapp über 60 Jahre alt waren«, sagt er.

So erinnere er sich an einen Patienten, der zum Renteneintritt ohne Vorerkrankungen im Frühjahr auf Kreuzfahrt ging, drei Tage vor den Reisewarnungen. Er konnte letztlich nicht gerettet werden. Und: »Der jüngste Patient, der bei uns wegen einer Covid-19-Pneumonie beatmet werden musste, war 24 Jahre alt.«

Statistisch gesehen liege das Sterblichkeitsrisiko bei unter 50-Jährigen bei unter 0,1 Prozent und bei Patienten über 80 Jahre bei über 10 Prozent. »Dies gilt aber nur bei Betrachtung aller Infizierten. Die Covid-19-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen, haben eine sehr viel höhere Sterblichkeit«, stellt Liermann klar.

Patienten, die Narkose bekommen, weil sie den Beatmungsschlauch im Mund sonst nicht tolerieren können, erinnern sich oft nicht an die Zeit auf der Intensivstation. »Allerdings wird in der Literatur für die Zeit nach der Krankenhausbehandlung eine erhöhte Rate an Albträumen und posttraumatischer Belastungsstörung nach Langzeitbeatmung und Langzeitnarkose berichtet, und zwar um so häufiger je tiefer und länger die Narkose andauerte«, so Liermann.

So bald wie möglich versuche man, die Narkosemittel zu verringern. Dafür sei aber bei längerer Beatmung ein Luftröhrenschnitt notwendig, »da ein Beatmungsschlauch von außen in der Luftröhre einliegend sehr viel besser verträglich ist, als wenn er durch Mund und Rachen geführt wurde«.

Man ermuntere die Patienten auch soweit möglich zu Bewegung und häufigen Lagewechseln, da die Lunge in Rückenlage schlechter belüftet sei, als im Sitzen, Stehen oder in Bauchlage. »Unsere Patienten wissen, dass sie sterben können und arbeiten oft sehr motiviert mit«, hat Liermann beobachtet. Ein Besuch von Angehörigen sei in der Regel nicht möglich. Aber man könne mittlerweile Videotelefonie via Tablet anbieten. Viele Patienten kommunizierten auch über eigene Handys. Da die Behandlung meist länger dauere, sei jede Form von Zuspruch wichtig und willkommen.

Lebensqualität statt Lebensverlängerung

»Wenn Patienten trotz Einsatz modernster Intensivmedizin nicht gerettet werden können oder den Einsatz invasiver, lebensverlängernder Maßnahmen zum Beispiel in einer Patientenverfügung ablehnen, bieten wir eine sterbebegleitende Palliativtherapie an«, erklärt Liermann. Dann vereinbare man eine Therapiezieländerung, bei der das Hauptziel nicht mehr die Lebensverlängerung, sondern eine Verbesserung der Lebensqualität sei.

»Unter anderem durch Gabe von Opiat-Schmerzmitteln wird so erreicht, dass keine Luftnot empfunden wird, selbst wenn im Blut zu wenig Sauerstoff aufgenommen werden kann.« Auf die Frage, wie es ihm persönlich mit dem Erlebten geht, sagt Liermann: »Wer auf einer Intensivstation arbeitet, ist häufig mit dem Tod konfrontiert.« Normalerweise kämen Patienten schwerst krank oder -verletzt nach Unfall oder Herzinfarkt, würden gerettet und man lerne sie erst am Ende der Behandlung kennen. »Oder man lernt sie nicht kennen, weil sie sterben.«

Bei Covid-19-Patienten sei es oft andersrum. »Patienten, die mir von ihrem Leben erzählt haben, werden zu Schwerstkranken, deren Prognose unsicher ist und die teilweise sterben. Dann nehme ich diese Patienten in Gedanken auch nach Dienstschluss mit, weil ich sie als Menschen kennengelernt habe«, sagt er zu der Frage, ob man derartige Schicksale an der Kliniktür abstreifen kann.

Den Verfall zu beobachten, ist belastend

»Ich empfinde es als besonders belastend, den Verfall der Patienten trotz des großen Engagements unserer Mitarbeiter, trotz des Einsatzes leitliniengerechter Therapie und der modernsten intensivmedizinischen Technik mitzuerleben«, so Liermann.

Befragt nach seiner persönlichen Meinung über Demonstrationen gegen Anti-Corona-Maßnahmen sagt er: »Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Behauptung ein Wunschdenken ist, die Erkrankung sei inzwischen sehr gut behandelbar, wir wüssten schon sehr viel mehr und hätten viele neue Therapieansätze.«

Letztere reduzierten sich auf Cortisonbehandlung, Hemmung der Blutgerinnung und den Einsatz von Remdesivir, wobei das wohl überschätzt wurde. Es gab in der zweiten Welle trotz aller Therapien noch »eine beunruhigende Zahl von Patienten, die nicht gerettet werden konnten«, so Liermann. »Wir warten noch auf ein wirksames Medikament gegen das Coronavirus.«

Einige von der Politik getroffenen Maßnahmen seien für viele Menschen wirtschaftlich einschneidend, zeigt Liermann Verständnis für einen Teil der Proteste dagegen. Andere, wie das Tragen einer Alltagsmaske, seien allerhöchstens unbequem. »Über einzelne Maßnahmen lässt sich streiten. Ich halte sie aber generell für notwendig. Ich bin froh, dass momentan eine Mehrheit der Bevölkerung hinter den Corona-Maßnahmen steht.«

Der Lockdown habe die Zahl der Neuinfektionen in Traunstein reduziert – »und in der Folge auch die Auslastung auf unserer Intensivstation.« Glücklicherweise müsse man noch nicht triagieren, »wer ein Beatmungsbett bekommt und wer nicht.«

Trotzdem sei es natürlich auch eine Form der Triage, dass man Operationen aufschiebt, weil die Kapazitäten von Covid-19-Pneumonie-Patienten belegt seien. »Auch diese Patienten haben Leidensdruck und sind auf eine ausreichende Zahl an freien Betten im Krankenhaus angewiesen.«

Schon ein bisschen rücksichtslos

Wenn ein junger Gesunder meint, »ich möchte auf meine Freiheit nicht verzichten, sollen sich doch die anderen schützen«, sei das einerseits nachvollziehbar, andererseits auch ein wenig rücksichtslos. »Über Verschwörungstheorien, das Infragestellen der Wirksamkeit des Maskentragens und der Abstandsregeln, oder Covid-19 als Schnupfen zu verharmlosen, ärgere ich mich tatsächlich persönlich«, sagt Liermann.

Befragt nach einem Wunsch an die Politik, sagt er, das Problem des Pflegekraftmangels sei erkannt. Aber auch wenn der letzte Tarifabschluss eine bessere Bezahlung und Wertschätzung darstelle, sei die Krise nicht überwunden: »Intensivmedizin findet 24 Stunden an sieben Tagen der Woche statt«, so Liermann.

Die Personalstärke könne nachts und an Wochenenden nur minimal reduziert werden. »Die niedrigen Zuschläge für Nachtdienst und Wochenendarbeit für die wertvolle Arbeit an Menschen empfinde ich nach wie vor im Vergleich zu den Zuschlägen, die in technischen Berufen geleistet werden, als Zumutung. Hier würde ich mir eine deutliche Verbesserung wünschen«.

Diskussion um Pflegebonus hat geschadet

Man müsse den Pflegeberuf attraktiv machen. »Auch die knickrige Diskussion der Bundespolitik, welche Pflegekraft den im Frühjahr zugesagten Pflegebonus nun erhalten soll und welche nicht, hat geschadet.« coho