Fegg ist 55 Jahre alt. Im Bergsteigerhäusl, das der Polizeiinspektion Berchtesgaden angegliedert ist, fühlt er sich wohl, seitdem er im vergangenen Jahr die Leitung der Alpinen Einsatzgruppe übernommen hat. Polizisten, die in den Bergen unterwegs sind, gibt es nicht viele. Im Grunde ist es eine Spezialeinheit, die immer dann ausrückt, wenn in den Bergen jemand tödlich verunglückt ist, vermisst wird, Umstände, die zum Tod führten, geklärt werden müssen.
Dieses Jahr gab es den 110. Toten am Watzmann
Fegg ist Bergführer, seit 33 Jahren im Polizeidienst. Die Berge sind sein Ding, seit früher Jugend schon, »die einen machen Yoga, ich gehe auf den Berg«. Als fels- und kletteraffiner Alpinist habe er schon vieles gesehen, sagt er. Im Bergstei-gerhäusl hängt ein großes Bild von der Watzmann-Ostwand, jenem gewaltigen Massiv, das senkrecht in den Himmel zu ragen scheint. »Dieses Jahr hatten wir dort den 110. Toten«, sagt Fegg.
Die Bilanz ist traurig. Allein die Tatsache, dass Statistik darüber geführt wird, wie viele Tote es in der Ostwand bereits gab, zeigt aber die Notwendigkeit. Die Zahlen sollen abschrecken. Fegg sagt: »Ich gehe die Ostwand gerne.« Zwei-, dreimal im Jahr, das reiche ihm. Der Durchstieg sei immer wieder ein Erlebnis, die Lichtverhältnisse, der Ausblick.
Nur: »Viele Leute überschätzen sich.« Die Grundakzeptanz der Gefährlichkeit – »die fehlt bei einigen«. Trittsicherheit ist ein häufig unterschätzter Begriff. Seit Corona, seit den Ausgangssperren und den eingeschränkten Möglichkeiten, sich frei zu bewegen, ist der Drang der Menschen in die Natur hinaus enorm. Das spürt auch der Spezialtrupp der Polizei. Das Problem: »Es herrscht manchmal eine Vollkaskomentalität«, sagt Fegg. Wer in die Berge geht, weiß, dass ein Anruf bei der Bergwacht genügt, um Hilfe zu bekommen.
Feggs Team an ausgebildeten Experten setzt sich aus 13 Personen zusammen. »Jeder Einzelne ist wichtig«, sagt er, darunter Hundeführer, Alpinbeamte und Bergführer, alles Menschen, die die Berge kennen, oft ist es ihr zweites Zuhause: Gerhard Benischke ist Ausbilder im Lehrteam der Polizeibergführer, Michael Wolf einer der Canyoning-Spezialisten, Andreas Hölzl Ausbilder bei der Lawinenwarnzentrale.
Als Alpinpolizist fliegt Fegg mit dem Polizeihubschrauber zum Ort des Geschehens, die Bergwacht ist dann schon dort. Um Teil der Alpinen Einsatzgruppe zu sein, bedarf es einer speziellen Ausbildung. »Das alpine Einsatzgebiet ist ein kleiner, aber ein wichtiger Bereich in meiner Arbeit«, sagt er. Dort, wo in der Fläche etliche Polizeibeamte nach Vermissten suchen, sind es am Berg nur vergleichsweise wenige.
18 Bergtote in Berchtesgaden, allein heuer – so richtig greifbar ist diese Zahl nicht. »Im Jahresdurchschnitt haben wir zehn«, sagt Fegg, der eng mit der Bergwacht zusammenarbeitet. »Das sind super Leute, die machen einen Irrsinnsjob«, attestiert er. Während bei Rettungseinsätzen nur die Bergwacht im Spiel ist, kommt die Polizei ins Spiel, sobald es um Vermisste geht, um tödlich Verunglückte. Dabei geht es vor allem um die Ermittlungsarbeit: War es ein Unfall, eine Straftat, eine fahrlässige Körperverletzung oder wurde die Garantenstellung missachtet – etwa dann, wenn der Vater mit dem Sohn den Watzmann überschreitet und eigentlich Verantwortung trägt.
Als vor rund zwei Wochen die achtjährige Julia bei einer Wanderung an der bayerisch-tschechischen Grenze in Furth im Wald verschwand, unterstützten Fegg und sein Team auch die Suche, die international in den Schlagzeilen stand. Auffallend sei, sagt er, dass es nicht den einen Hotspot gab, an dem sich in diesem Jahr Bergunfälle ereigneten. »Auf der gesamten Berchtesgadener Gebirgskette kam es zu Todesfällen, vom Kehlstein bis zum Hochkalter.« Vier Tote gab es allein am Watzmann.
Was macht das mit einem, der zum Unfallort gerufen wird? »Wie der Einzelne darauf reagiert, wenn er einen Abgestürzten sieht, dafür gibt es keine Schulung«, sagt Fegg. Während der Ausbildung werde man mit Bildern von Bergunfällen konfrontiert. Aber was sind schon Bilder im Vergleich zu einem Toten, der vor einem liegt?

Da steht man selbst mit Tränen in den Augen da
Fegg hat Beamte erlebt, die ihre Ausbildung abbrechen mussten, weil ihnen die Situation zu nahe ging. Die Bilder im Kopf, die kann er verdrängen. Oft hat man es mit Personen zu tun, zu denen man keine persönliche Bindung hat, Urlauber, die die Ruhe am Berg suchten, deren Angehörige aber mit einem Schicksalsschlag nach Hause reisen. Womit Fegg zu kämpfen hat, das ist die Konfrontation mit der Familie. Erst vor Kurzem ist am Hocheis eine junge Frau tödlich verunglückt, beliebt und bekannt in der Bergsteigerszene. Der Polizist kannte die Eltern. »Der emotionale Bereich wird in so einem Fall enorm beansprucht, das lässt einen nicht kalt«, sagt Fegg. Als vor ein paar Jahren ein Kind in der Almbachklamm zu Tode kam, war Fegg auch mit dabei – »da steht man selbst mit Tränen in den Augen da«.
Am Berg gibt es mehr Tote als auf der Straße
Seit 24 Jahren ist der Berchtesgadener Teil der Alpinen Einsatzgruppe, im Laufe seiner Dienstjahre hatte er mit etlichen Toten zu tun. Im Berchtesgadener Land sterben deutlich mehr Menschen auf dem Berg als auf der Straße. Im gesamten Präsidialbereich Oberbayern Süd kamen dieses Jahr 64 Menschen mit dem Auto ums Leben, 46 im steilen Fels, ein Großteil davon waren Männer. Vor Fegg liegt eine Akte, mehrere Zentimeter dick stapelt sich das Papier. Es sind die Ermittlungen eines Falls, den er bearbeitet hat. Fegg hat den Ermittlungsbericht geschrieben, eine umfassende Bebilderung erstellt – all das ist für die Staatsanwaltschaft wichtig.
»Unsere Aufgabe ist es, den Hergang und die Gründe bestmöglich zu schildern, wir müssen das gut abarbeiten«, sagt er. Der Großteil seiner Arbeit findet deshalb am Schreibtisch statt. Aber immer wieder mit dabei ist er auch bei Fort- und Ausbildungsmaßnahmen von Alpinbeamten. Manchmal hat es Fegg auch mit SEK-Kräften zu tun.Das Sondereinsatzkommando profitiert dann vom Wissen der Berchtesgadener Alpinexperten. Im Gelände macht der Einsatzgruppe kaum einer was vor.
kp