Bildtext einblenden

Samenstau

Die Zeit vergeht wie im Flug. Auch bei Stillstand, auch im Stau. Wobei es schon gemein ist, dass man selbst kaum voran kommt, die Zeit aber genauso schnell wie immer. Und dann ist sie furt. Für immer. Sie kommt nicht mehr zurück. Und selbst, wenn: Sie wäre nach zehn Minuten schneller wieder zurück, als man selbst fünf Meter vorangekommen ist. 

Laut Einstein ist die Zeit relativ. Ist man schnell genug, kann man in die Zukunft reisen. Außer in Bischofswiesen. Denn da schaut es mit der Zukunft generell schlecht aus. Denn es mag keiner mehr nach Bischofswiesen fahren. Nicht mal mehr als Durchgangsort taugt die Gemeinde. Freilich, die Gebirgsjäger freuen sich, wenn es in der Ortsmitte, die es in Bischofswiesen ja eigentlich gar nicht gibt, ausschaut wie in Afghanistan. Mit Schlaglöchern so groß wie Fliegerbombentrichter, militanten Autofahrern und Kamikaze-Fußgängern. Grund Zero zum Greifen nah. Doch die Struber Jager denken sich: Scheiß drauf, fahren wir lieber über Marktschellenberg zur Brigade nach Bad Reichenhall. Das geht zehnmal schneller.

Sagt neulich ein Spezl: Ach, die halbe Stunde Stau jeden Tag. Kein Problem. Klar, für ihn nicht. Denn er muss nicht über Bischofswiesen fahren. Er hat diese halbe Stau-Stunde gespart. Wobei eine halbe Stunde oft nicht reicht. Gelegentlich braucht man von Ortschild zu Ortschild anderthalb Stunden. Mein Rekord liegt bei zwei Stunden vom Eisenrichter bis zur Metzgerei Ehler. Zwei Stunden! Verschwunden! Vorbei! Dem Tod zwei Stunden näher. Doch vom Fahrtziel Berchtesgaden immer noch 5 Kilometer entfernt.

Was hätte man in diesem beiden Stunden doch alles machen können. Zum Beispiel: eine Bergtour auf den Rauhen Kopf, „Die Passion Christi“ anschauen (ohne Abspann), nach Pfaffenhofen/Ilm fahren (von Berchtesgaden über Marktschellenberg), nach Prien/Chiemsee fahren und wieder zurück (über Marktschellenberg), zwei Vorlesungen an der mobilen Fahrkultät der Hochgeschwindigkeitsschule Fahrweida in Sachsendi-Bloßnedanhalt hören (inklusive zwei Kaffeepausen) oder die 9. von Beethoven hören, danach einen Happen essen und anschließend Sex haben. Oder umgekehrt.

Hm, mal überlegen. Theoretisch kann man diese drei Sachen auch im Auto machen. Quasi Straßenverkehr. Vielleicht liegt es gar nicht immer an den Schlaglöchern, wenn manche Fahrzeuge so wackeln.

Christian Fischer