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Kaspar Städele in seiner Ruhestandswohnung vor historischen Familienfotos. (Foto: Veronika Mergenthal)

Leidenschaftlicher Seelsorger wird heute 90

Bayerisch Gmain – »90 Jahr' san scho vui. I schau jetzt öfter in d'Zeitung nei wegen de Verstorbenen«, gibt Kaspar Städele zu, während er in seiner kleinen Wohnung Kaffee, Himbeerkuchen und Zwetschgenbavesen serviert. Dass er so alt geworden ist, führt er auf den strammen täglichen Fußmarsch von acht Kilometern pro Tag als Volksschulkind zurück. Der Ruhestandspfarrer feiert heute mit einer Festmesse um 18.30 Uhr in St. Nikolaus in der Flüe in Bayerisch Gmain seinen 90. Geburtstag.


Seine Augen blitzen hellwach, wenn er aus seinem bewegten Leben als Priester und Mensch erzählt. Szenen aus seiner Jugend tauchen in dem alten Fotoalbum am Tisch auf – alte Bauernhöfe, Schneeglöckerl-Verkäufe mit den Nachbarskindern, Städele als Abiturient mit einer Art Doktorhut und Städele als Trompeter. Und viele Fotos von Primizen und den Priester-Kollegen.

Zwei Pole prägten den Jubilar: bäuerliche Bodenständigkeit und tiefe Verwurzelung im Glauben, von der Mutter und ihren Ahnen vorgelebt. Zugleich aber Weltgewandtheit und Offenheit: Bei heiklen Zukunftsfragen der Kirche bezieht er kämpferisch im Sinne der Menschlichkeit Position.

Als fünftes der sieben Kinder von Urban und Maria Städele kam der Pfarrer am 11. Februar 1932 in einem kleinen bäuerlichen Anwesen in Schönrain bei Königsdorf zur Welt. Er stammt mütterlicherseits aus der tiefgläubigen Ahnenreihe Waldherr mit zwei Pfarrern namens Kaspar Waldherr. Der eine ließ im Dreißigjährigen Krieg eine Barockkirche in Westerham bei Rosenheim bauen, der andere war ein Idol seiner Jugend, und Kaspar Städele durfte 1955 mit ihm nach Rom reisen, wo ihn der Besuch des Petrusgrabs tief bewegte.

Seine Mutter nahm Kaspar Städele schon als Kleinkind auf dem Radl-Gepäckträger regelmäßig zur Messe mit, pflegte das Familiengebet und gab am Abend allen, auch dem Vater, Weihwasser.

»Ich habe schon in der ersten Klasse gewusst: Ich möchte Pfarrer werden«, erzählt Städele. 1938, als er eingeschult wurde, wurde sein Lehrer sofort zum Krieg eingezogen. So wurde er in Königsdorf an der Mädchenschule bei den »Armen Schulschwestern« unterrichtet, denen er sich bis heute verbunden fühlt. Daher reiste er zur Seligsprechung der Ordensgründerin Theresia Gerhardinger 1985 ganz alleine ein weiteres Mal nach Rom.

Auf Skepsis des Königsdorfer Pfarrers und völliges Unverständnis seines Vaters stieß indes der Berufswunsch des Buben. Sein Vater war Schachtmeister bei einer Baufirma. »Ich habe ihn zu wenig gekannt«, bedauert der Priester. 1943, einen Monat nachdem Kaspar ins Erzbischöfliche Priesterseminar aufgenommen worden war, wurde sein Vater als Bergarbeiter in Zagreb, wo er am Bau eines Flugplatzes in Hitlers Auftrag mitwirkte, von Partisanen erschossen.

Reich an Erfahrungen und Begegnungen waren die vielen beruflichen Stationen Kaspar Städeles nach der Priesterweihe 1958 in Freising, ganz von der Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, geprägt. Ein wichtiger Mentor war an seiner ersten Kaplanstelle (1959 bis 1961) in Fridolfing Pfarrer Wilhelm Schels. »Besonders lebendig gestaltete sich bald die Zusammenarbeit mit dem jungen und sowohl kirchenmusikalisch als auch liturgisch sehr aufgeschlossenen Musiklehrer Christian Günther, Sohn des Organisten und Chorleiters«, erinnert sich Städele.

Der inzwischen verstorbene Günther war später 23 Jahre lang in der Leitung der Reihe »Musiksommer zwischen Inn und Salzach« aktiv. Seit der Studienzeit, geprägt von Musikpräfekt Max Eham, begeistert sich Städele für die geistliche Musik – eine Leidenschaft, die er auch noch in seinem hohen Alter durch den Besuch von Orchestermessen und Konzerten ausleben kann.

Nach der lebendigen Jugendarbeit in Fridolfing fühlte er sich als Kaplan in Mühldorf (1961 bis 1964) bei der Mädchenseelsorge anfangs auf verlorenem Posten. Bei einer Pfarrei mit 3 000 Katholiken kamen zur ersten Gruppenstunde nur drei Mädchen. Er führte dort die Buben und Mädchen in den Schola-Gesang ein und prägte als langjähriger Bezirkspräses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), zunächst für Mühldorf und später für Traunstein und Berchtesgaden, ganz Südostbayern.

Nach einem kurzen Intermezzo in München, St. Benedikt, war er froh, als er 1966 in Hirnsberg bei Bad Endorf endlich als selbstständiger Priester ungestört arbeiten konnte. Zwei komplett unterschiedliche Pfarrstellen folgten – ab 1970 in Kirchanschöring und ab 1984 bis zum »Ruhestandsantritt« 2002 in Unterstein in Schönau am Königssee.

Nach vielen Jahren engagierter Mitarbeit in der Stadtkirche Bad Reichenhall akzeptierte Städele am 30. April 2021 mit leiser Wehmut seinen Eintritt in den »endgültigen Ruhestand«. Er bleibt Seelsorger durch und durch, den Menschen verbunden.

»Gott hat den Menschen als Mann und Frau erschaffen.« Daher müsse die Kirche den Frauen alle Weihen ermöglichen. »Ich bin ein Kämpfer für Gerechtigkeit«, sagt er. Es habe schon einen »Mordskampf gekostet, dass Mädchen überhaupt ministrieren dürfen«. Ein Dorn im Auge ist Städele auch die bisherige Diskriminierung homosexueller und lesbischer Menschen, für die der »Synodale Weg« nun auch Segensfeiern für Paare fordert.

Auch beim Zölibat fordert er ein Umdenken: »Der Priester ist ein Mensch wie alle anderen: Weil die Ehe etwas ganz Natürliches ist, fragt man sich, warum da Ehelosigkeit zur Auflage gemacht wird. Die verheirateten Priester wären viel besser geeignet als Seelsorger für Eheleute und Familien.« Er selbst erlebte den Zölibat als »deutlichen Kraftakt«: »Ich habe mich zu den niederen Weihen ein Jahr zurückstellen lassen, weil ich mit mir gekämpft habe.«

Auf die Frage, ob er, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, alles nochmals so machen würde, sagt Kaspar Städele: »Genauso wahrscheinlich nicht, aber ich würde wieder Pfarrer werden.«

Veronika Mergenthal