In der Anklageschrift hatte Staatsanwalt Jan Salomon im Zeitraum von September 2019 bis November 2020 231 Fälle des Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen im Alter von unter 14 Jahren aufgelistet, dazu 30 weitere Fälle mit Opfern unter 16 Jahren und weitere Delikte. Der Missbrauch lief immer nach ähnlichem Muster ab.
Der Erzieher, zumeist in der Nachmittagsbetreuung tätig, baute zu Kindern und Eltern ein Vertrauensverhältnis auf. Ab September 2019 bestellte er elf Kinder regelmäßig und mit zunehmender Tendenz außerhalb der Betreuungszeit an Werktagen nach 18 Uhr und an Wochenenden per Messenger-Diensten in die Einrichtung – um an ihnen »Erziehungsmaßnahmen« mittels »Übungen« vorzunehmen.
Dabei ereigneten sich die sexuellen Handlungen. Die Opfer mussten sich teils ausziehen, wurden von dem 31-Jährigen umarmt und gestreichelt, auch an sehr intimen Bereichen.
Dank des Geständnisses wird keines der Missbrauchsopfer vor Gericht aussagen müssen. Vorsitzende Richterin Heike Will hatte dem 31-Jährigen zuvor nach Verlesen der Anklage ins Gewissen geredet. Die Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft hätten im Vorfeld Kontakt gehabt und für die Hauptverhandlung ein Rechtsgespräch vereinbart. Will betonte, der Sachverhalt der Anklage basiere auf den Angaben der Kinder. Ein Teil der Fälle sei eingestellt worden. »Momentan haben wir keine Anhaltspunkte, dass die Kinder gelogen hätten. Auffallend war der immer sehr ähnliche modus operandi.« Die Kammer sehe keinen Grund, warum die jungen Menschen den Angeklagten zu Unrecht belasten sollten. Die Kinder hätten ihn gemocht. Persönlichkeitsfremd seien die Vorwürfe nicht.
Will verwies auf Vorfälle, bei denen sich der Angeklagte als »Polizeibeamter« Kindern genähert habe. Alle Umstände sprächen dafür, »dass die Angaben der Kinder richtig sind«. Die Vorsitzende hob weiter heraus, die Taten seien sexuell motiviert und überschritten die »Erheblichkeitsschwelle« – was auch das Oberlandesgericht München in zwei Haftentscheidungen festgestellt habe. Der Angeklagte müsse mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen und könne seine Zukunft nur durch ein Geständnis verbessern.
Die Prozessbeteiligten zogen sich zu einem Rechtsgespräch zurück. Im Fall eines umfassenden Geständnisses sollte der Strafkorridor zwischen drei und vier Jahren liegen. Verteidigerin Eva Maria Krötz und ihr Kollege Florian Zenger, beide aus München, trugen für ihren Mandanten eine geständige Einlassung vor. Persönlich erläuterte der 31-Jährige, anfangs habe er sich selbst gegenüber sein Handeln beschönigt. Während der Untersuchungshaft jedoch habe er viel Zeit zum Nachdenken gehabt: »Es fiel mir schwer, einzugestehen, dass meine Taten einen sexuellen Hintergrund hatten.« Er sei bereit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Der 31-Jährige beteuerte: »Es tut mir wahnsinnig leid – vor allem, dass ich das Vertrauen der Kinder und ihrer Eltern ausgenutzt habe.« Einige Eltern sind in dem Verfahren Nebenkläger. Ihnen stehen als Opferanwälte Antje Brandes aus München und Peter Dürr aus Rosenheim zur Seite.
Um die Richtigkeit der Kinderaussagen ging es dem Gericht bei Vernehmung einer Zeugin der Kriminalpolizei Rosenheim. Sie hatte drei der Opfer von »Durchsuchungen durch den Angeklagten« befragt. Ein Bub habe von zwei anderen betroffenen Kindern gewusst. Sie, so die Beamtin, habe den Kindern geglaubt. Ein Kollege war mit vier Kindern befasst, die zumeist zu mehreren »Bestrafungsaktionen« des 31-Jährigen über sich ergehen lassen mussten.
Nach dem Eindruck des Polizisten hielten diese Kinder die Handlungen des Angeklagten für »normal«. Der Hauptsachbearbeiter der Kripo kam am heutigen Mittwoch zu Wort, ebenso der psychiatrische Sachverständige Professor Dr. Michael Soyka.
Richterin Heike Will verurteilte den geständigen Mann aus dem Kreis Rosenheim nun zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
kd/red