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Foto: dpa/Symbolbild

Geiselnahme in einer Spielothek – Bauchstich gegen Helfer

Im Prozess um eine Geiselnahme in einer Spielothek in Mühldorf, bei der ein couragierter 43-jähriger Gast als einziger einer mit einem Messer bedrohten 27-jährigen Angestellten zu Hilfe kommen wollte, ordnete das Schwurgericht Traunstein gegen einen psychisch kranken 35-jährigen Mann aus Mühldorf die zeitlich unbegrenzte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der schuldunfähige Täter hatte dem 43-Jährigen einen gefährlichen Stich in den Bauch versetzt.


Der Gast hatte am Nachmittag des 15. November 2021 die Frau aus ihrer verzweifelten Lage retten wollen. Der 35-Jährige hatte sie wenige Minuten zuvor an der Theke als Geisel genommen. Nach einem Gang zur Toilette waren die beiden auf dem Rückweg. Der Beschuldigte sah, dass im Eingangsbereich der Spielhalle Polizisten warteten. Um »von der Polizei erschossen zu werden«, wie der Beschuldigte während der Ermittlungen und vor Gericht behauptete, musste die Frau mit ihm in Richtung Eingang gehen. Dabei kam es zu dem Messerstich in den Bauch des 43-Jährigen. Schließlich schubste die 27-Jährige den 35-Jährigen weg und brachte sich in Sicherheit. Der Helfer kam in ein Krankenhaus. Dank einer Notoperation überlebte er. Jedoch ist er – wie die 27-Jährige – bis heute massiv beeinträchtigt. Beide Opfer traten in der dreitägigen Verhandlung als Nebenkläger auf.

Die Antragsschrift von Staatsanwalt Markus Andrä umfasste Geiselnahme, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung. Im psychiatrischen Gutachten gelangte der Sachverständige Dr. Rainer Huppert zu dem Schluss, die Unterbringung in der Psychiatrie sei unumgänglich. Der 35-Jährige sei psychisch krank, habe Drogenprobleme und zudem bei der Tat über zwei Promille Alkohol im Blut aufgewiesen.

Staatsanwalt Andrä betonte im Plädoyer auf Unterbringung: »Was passiert ist, ist für alle Beteiligten tragisch.« Der Beschuldigte habe geglaubt, gegen ihn laufe eine Verschwörung, sein Leben würde zerstört. Ein »versuchter Totschlag«, wie ursprünglich in der Antragsschrift genannt, sei nicht erwiesen. Andrä dazu: »Der Täter wusste, dass er ein Messer in der Hand hielt. Zu einem Tötungsvorsatz gehören jedoch das Wissens- und das Wollens-Element. Ich bin nicht überzeugt, dass der Beschuldigte wollte, dass jemand stirbt.« Deshalb nahm Andrä bezüglich des Messerstichs lediglich »gefährliche Körperverletzung« an, allerdings in den zwei Varianten »lebensgefährliche Behandlung« und »Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs«. Zu der Tat des Beschuldigten an der 27-Jährigen stellte der Staatsanwalt fest: »Er wollte mit dem Messer am Hals der Frau eine Handlung der Polizei herbeiführen. Das ist rechtlich eine Geiselnahme.«

Die Nebenklagevertreter schlossen sich weitgehend an und hoben die Schäden für die Opfer heraus. Abweichend vom Staatsanwalt sah der Anwalt des 43-Jährigen sehr wohl einen »versuchten Totschlag«.

Verteidiger Martin Lämmlein aus Mühldorf sprach von »einem Tiefpunkt, einer Abwärtsspirale« seines Mandanten durch die Tat. Der 35-Jährige habe immer wieder vergeblich versucht, Fuß zu fassen im Leben und fühle sich »nicht ernst genommen«. Der Verteidiger wünschte beiden Opfern ausdrücklich »gute Besserung«. Der 27-Jährigen habe der Beschuldigte »eigentlich nichts tun wollen«. Deshalb sei nur der Tatbestand einer Freiheitsberaubung erfüllt. Das Gericht bat der Verteidiger, die Frage der Unterbringung zu prüfen. Im »letzten Wort« entschuldigte sich der 35-Jährige ein weiteres Mal bei den Nebenklägern: »Ich wollte niemand schaden. Ich war alkoholisiert.«

Der anhand der Zeugen festgestellte Sachverhalt entspreche dem der Antragsschrift, so Vorsitzender Richter Volker Ziegler im Urteil. Der Staatsanwalt sei von einem Tötungsvorsatz abgerückt. Das sehe er genauso. Entscheidend sei: »Der Beschuldigte hat zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet, dass der 43-Jährige von hinten an ihn herantritt. Der Beschuldigte sah die Polizei, musste die Geisel unter Kontrolle halten. Unruhe herrschte, es wurde geschrien. Dass der 35-Jährige auch noch auf den Nebenkläger achtet, ist auszuschließen.« Gleichzeitig würdigte der Vorsitzende Richter das sehr couragierte Vorgehen des 43-Jährigen. Unter diesen Umständen sei nicht auf einen Tötungsvorsatz des Beschuldigten zu schließen. kd