Die Frauen im Alter zwischen 73 und 93 Jahren wurden ausnahmslos von »Keilern« angerufen, ihnen nahe stehende Personen hätten einen schlimmen Unfall verursacht, bei dem Menschen gestorben seien. Gegen eine hohe Kaution könne die Inhaftierung abgewendet werden, hieß es laut Anklage von Staatsanwältin Pia Wilczek und Staatsanwalt Dr. Gregor Stallinger. Im Hintergrund waren bei den Telefonaten gellende »Hilferufe«, ein »Schrei in höchster Not«, flehentliches Weinen oder »Omi, Omi«-Rufe zu hören.
So meldete sich am 4. März dieses Jahres ein unbekannter Anrufer in Taching. Einer älteren Dame wurden 20 000 Euro, die sie für ihre Beerdigung zurückgelegt hatte, abgeknöpft. Eine Frau in Garmisch-Partenkirchen verlor nach einem Anruf am 10. März 10 000 Euro, die sie für ihre Enkel und Urenkel zusammengespart hatte. In Trostberg legte die Bande eine ältere Frau am 11. März herein. Sie übergab einem »Polizeipraktikanten« 28 000 Euro – auf Nimmerwiedersehen.
In Traunstein überließ eine alte Dame einem jungen Mann 1200 Euro in bar und Schmuck im Wert von mehreren Tausend Euro. Das jüngste Opfer (73 Jahre alt) lebt in Ockfen in Rheinland-Pfalz. Statt der verlangten 65.000 Euro hatte dieses Opfer »nur« 11.000 Euro.
Als die Abholerin, angeblich eine »Praktikantin am Amtsgericht«, jedoch nicht in das Gerichtsgebäude ging, verfolgte die Geschädigte die Frau. Es gelang ihr, der Täterin das Geld wieder zu entreißen.
Der sechste Fall spielte am 25. März in Rosenheim. Eine ältere Frau händigte den Tätern 30.000 Euro aus , dazu Goldmünzen, einen 50-Gramm-Goldbarren und Goldschmuck. Sie erhielt alles zurück, nachdem die Beute bei den Angeklagten hatte sichergestellt werden können.
Der 28-Jährige war als Organisator aktiv – der im Auto sitzen blieb, aber sich um Vorbereitungen wie das Besorgen von Handys und das Weiterreichen der Beute an andere Bandenmitglieder kümmerte. Die zwei anderen Männer, 29 und 24 Jahre alt, waren Fahrer beziehungsweise Abholer.
Nur zwei der sechs Opfer konnte die Kammer persönlich anhören. Die anderen Frauen waren nicht vernehmungsfähig. Eine Rosenheimerin erinnerte sich im Zeugenstand an das Flehen einer weiblichen Stimme »Mama hilf mir, Mama hilf mir« und einen »Schrei in höchster Not« am Telefon. Sie sei »völlig wirr«, »wie ein Zombie« gewesen und habe Gold und Schmuck »möglichst schnell zusammengekratzt«. Eine ältere Dame aus Trostberg berichtete, ein Mann habe im Hintergrund des Telefonats »ganz jämmerlich geweint«. Auf Frage des Anrufers nach einer Kaution habe sie das »Sterbegeld ihrer Mutter« von 28.000 Euro erwähnt. Ein junger Mann sei dann mit dem Geld sofort weggelaufen.
Die Vertreter der Staatsanwaltschaft, Pia Wilczek und Dr. Gregor Stallinger, beantragten Freiheitsstrafen zwischen elfeinhalb und sechs Jahren. Die Verteidiger – Julian Praun aus Traunstein, Raphael Botor aus Rosenheim, Maciej Pazur aus München, Dr. Markus Frank aus Rosenheim und Ömer Sahinci aus München – plädierten auf Strafen im unteren Bereich der vereinbarten Strafspannen.
Die Siebte Strafkammer stufte die Strafen im Urteil nach Schwere und Zahl der Taten ab. Die höchste Strafe mit achteinhalb Jahren erhielt ein 28-Jähriger, der als Organisator und Ansprechpartner für die Bande in Polen fungiert hatte. Die Abholer beziehungsweise Fahrer erhielten Haftstrafen von sieben Jahren zehn Monaten und vier Jahren fünf Monaten.
Alle Angeklagten hätten banden- und gewerbsmäßig gehandelt, betonte die Vorsitzende Richterin. Das Gericht habe »überhaupt keine Zweifel, dass alle Angeklagten wussten, was lief«, so Christina Braune. Jeder der Männer sei involviert gewesen. Die Vorsitzende Richterin weiter: »Alle mussten dafür klar bei Verstand sein. Sie sind quer durch Deutschland gereist. Man musste immer bereit sein, eine Order aufzunehmen und hinterher sofort wieder zu verschwinden.«
Die Geständnisse wertete die Kammer unter anderen Aspekten strafmindernd. Andererseits seien die Täter eigens für die Straftaten in die Bundesrepublik eingereist. Die Fälle aus der Anklage seien »unterste Schublade«. Die Vorsitzende Richterin wörtlich: »Die Geschädigten wurden in eine emotionelle Ausnahmesituation gebracht.« Die Polizei als seriöse staatliche Einrichtung werde missbraucht. Schließlich seien auch generalpräventive Gründe strafschärfend zu werten.
kd