Der »Berchtesgadener Anzeiger« erreicht Rennrodelweltmeisterin Anna Berreiter vom RC Berchtesgaden während ihrer Heimfahrt im Auto zum Interview. Die 23-Jährige blieb einen Tag länger in Oberhof, um die WM-Party noch mitzunehmen: »Klar, die wollte ich schon auch mal in vollen Zügen genießen, nach dieser sehr anstrengenden, aber genauso schönen Woche.« Mit zweimal Gold und einmal Bronze war sie die erfolgreichste Athletin der WM in Thüringen.
Anna, Oberhof gehört bislang nicht zu jenen Bahnen, auf denen du früher gerne gefahren bist – das hat sich mittlerweile vermutlich geändert.
Anna Berreiter: Das stimmt. In Jugendzeiten mochte ich diese Bahn überhaupt nicht. Seit ich im Weltcup bei den Erwachsenen unterwegs bin, hat sich jedoch eine gewisse Liebe zu Oberhof entwickelt. Ich fuhr dort im Februar 2020 meinen ersten Weltcupsieg ein, erreichte danach eigentlich immer Podestplätze, jetzt den WM-Titel. Mittlerweile fahre ich dort wirklich gern, trotz meiner beiden Stürze zu Beginn der Saison in Oberhof.
Ähnlich wie in Sigulda? Dort hattest du 2020 einen schweren Trainingssturz, wurdest aber in Lettland zuletzt Europameisterin.
Berreiter: In Sigulda hat die Aufarbeitung für mich deutlich länger gedauert als in Oberhof.
Deine Teamkollegin Dajana Eitberger war in dieser Saison enorm stark, gewann drei Weltcuprennen. Hast du in Oberhof schon am Start gespürt, dass du sie diesmal schlagen kannst?
Berreiter: Ich möchte keine Sportlerin explizit rausnehmen, es gibt so viele starke Rodlerinnen, gerade auch die Julia (Taubitz/Anm. d. Red.), die im Finale noch mal richtig angegriffen hatte. Ich konzentriere mich in einem Rennen aber in erster Linie auf mich und versuche, immer das Beste rauszuholen.
Deine Teamkollegen Tobias Wendl und Tobias Arlt sagen, sie probieren während der Weltcuprennen bei allem Sieg-Ehrgeiz durchaus mal etwas aus, um zum Saisonhöhepunkt – Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften – das bestmögliche Level zu erreichen. Selbst wenn das mal einen möglichen Sieg kostet. Du hast heuer kein Weltcuprennen gewonnen, dafür alle drei in deinem Sport möglichen Titel geholt: deutsche Meisterin, Europameisterin, jetzt sogar erstmals Einzel-Weltmeisterin. Machst du es ähnlich wie die Tobis?
Berreiter: Auf dem gewaltigen Level der Tobis sehe ich mich noch lange nicht. Sie wissen durch ihre enorme Erfahrung ganz genau, wann und wo sie ein wenig mit dem Material »spielen« können. Davon bin ich weit entfernt. Aber es ist natürlich schon so, dass die ganze Weltcupsaison eine Art Vorbereitung auf Olympia oder eben eine WM ist.
Dann scheinst du das optimal abzuarbeiten. Und möglicherweise mental besser hinzubekommen als die anderen. Wie nervös bist du noch vor einem Start wie jüngst bei einer WM?
Berreiter: Es ist meist eine gesunde Nervosität, eine gute Konzentration. Aber das ist sehr unterschiedlich, es wechselt auch. Bei manchen Rennen ist man nervöser, bei anderen sehr ruhig. Bei einer WM ist die Anspannung natürlich etwas höher, die innere Einstellung, das kann man gar nicht so beeinflussen. Es ist natürlich im Kopf, dass es jetzt um einen Titel geht, das ist schon noch mal was anderes.
Hast du nach dem Sprint, dem ersten Oberhofer WM-Bewerb, bei dem du Bronze geholt hast, etwas an deinem Schlitten verändert?
Berreiter: Nein, schon im Training war deutlich zu sehen, dass der Schlitten läuft. Ich bestritt alle drei Rennen mit dem gleichen Set-up. Es gab nichts umzustellen, wir haben die ganze Saison intensiv an der Abstimmung gearbeitet, sie hat jetzt perfekt gepasst. Da bin ich unserem Technik-Coach Christian Thurner extrem dankbar. Athletisch war ich zu Beginn der Saison nicht auf dem Niveau, welches ich mir wünsche. Mit meinem Heimtrainer Patric Leitner habe ich dann intensiv an dieser Sache gearbeitet. Jetzt hat es super gepasst.
Wo reihst du diesen WM-Erfolg ein?
Berreiter: Gold ist immer das Höchste, das wir im Sport erreichen können. Ich möchte aber kein Ranking erstellen und keinen Vergleich zu einem Weltcupsieg ziehen. Jedes Rennen ist anders, alles entsteht unter besonderen Bedingungen, es passieren immer wieder andere und neue Dinge. Letztlich haben alle Bewerbe ihre Berechtigung. Natürlich ist Olympia etwas ganz Besonderes.
Du sagst, die WM in Oberhof war extrem anstrengend.
Berreiter: Wir sind quasi eine ganze Woche durchgefahren, mit dem Training und den Rennen. Die Anspannung befand sich auf dem höchsten Level. Das zerrte alles schon gewaltig an den Kräften. Dazu die vielen Menschen an der Bahn, was natürlich total positiv ist, diese tolle Stimmung. Nach den Corona-Jahren ohne Zuschauer musste man sich aber erst wieder daran gewöhnen, einen solchen Hype um sich zu haben. Für mich war es das erste Großereignis mit Fans. Die Weltmeisterschaften in Sotschi 2020 und am Königssee 2021 und Olympia 2022 fanden ja ohne Zuschauer statt.
Du hast nun schon viel gewonnen, bist aber immer noch erst 23 Jahre alt. Wo siehst du dich aktuell?
Berreiter: Am Übergang von einer Nachwuchsläuferin zu den Erfahrenen. Trotzdem ist das alles nicht selbstverständlich für mich und keine Sache, die von selbst läuft, in dieser starken deutschen Mannschaft. Hier muss man sich immer wieder neu beweisen.
Auf euch Rennrodler/-innen warten nun noch vier Weltcups in Altenberg, Winterberg (2) und St. Moritz. Es ist nicht schwer zu erraten, auf welche Location du dich am meisten freust.
Berreiter: St. Moritz, das ist klar. Diese Kulisse steht für sich, es ist einfach nur schön dort. Die Bahn steht jedes Jahr super, ich bin sehr froh, dass sie nun fest in unserem Rodel-Saisonkalender verankert ist. Gleichzeitig geht mir natürlich der Königssee gewaltig ab.
Das Interview führte Hans-Joachim Bittner.