Marie-Luise Gschwendner zahlt derzeit 4240 Euro und ab Juli 5000 Euro im Jahr. »Vor zehn Jahren waren es noch 500 Euro«, ist sie über die Verzehnfachung der Haftpflichtbeiträge entsetzt. Die hohen Kosten zwingen immer mehr Geburtshelferinnen, den Beruf an den Nagel zu hängen. »Auch ich hab schon darüber nachgedacht, aufzuhören, wenn es jetzt noch weiter steigt«, sagt die 54-Jährige.
Von den 25 bis 30 Hausgeburten, die Marie-Luise pro Jahr betreut, sind umgerechnet zehn Geburten nötig, dass die Haftpflichtversicherung gedeckt ist. »Dadurch nimmt man den jungen Kolleginnen, insbesondere denen mit Kindern, die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. Es rechnet sich nicht mehr«, ärgert sich die 54-Jährige. Eine Folge davon sei, dass in den drei Landkreisen Traunstein, Berchtesgadener Land und Altötting nur noch zwei Hausgeburtshebammen tätig sind.
Jede freiberufliche Geburtshelferin in Deutschland – egal ob Hausgeburtshebamme, Hebamme in einem Geburtshaus oder Beleghebamme in einem Krankenhaus – braucht eine Berufshaftpflichtversicherung für den Fall, dass sie bei der Geburt einen Fehler macht und ein Kind zu Schaden kommt. Dass die Prämien steigen, liegt nicht etwa daran, dass es mehr Schadensfälle gibt. Vielmehr sprechen Gerichte den geschädigten Kindern ein immer höheres Schmerzensgeld zu und erkennen die langfristigen Kosten der Pflege an. Und diese wachsen, da die Kinder dank der guten medizinischen Versorgung länger überleben. Das Geld holen sich die Kassen von der Berufshaftpflichtversicherung der Hebamme.
Hohe Versicherungsbeiträge also für etwas, was Marie-Luise Gschwendner in 32 Berufsjahren noch nie passiert ist. »Während der Arbeit denke ich nicht darüber nach, dass mir ein Fehler passieren könnte – sonst könnte ich den Beruf vielleicht gar nicht machen.« Hausgeburten sind der 54-Jährigen ein ganz besonderes Anliegen und sie ist überzeugt: »Für eine Gesellschaft ist eine freie Geburtswahl wichtig.«
Das Besondere an der Hausgeburt sei die ganz persönliche, individuelle Betreuung. »Ich bin glücklich, meine berufliche Vorstellung von der Betreuung der unterschiedlichen Familien verwirklichen zu können.« Allerdings muss Marie-Luise jedes Jahr auch einigen Frauen, die gerne zu Hause entbinden würden, absagen, da sie nicht mehr Zeit hat.
»Ich habe einen ausgefüllten Arbeitstag«, schildert sie ihren Alltag: »Der beginnt mit einer telefonischen Sprechstunde, Beratungsgespräche zu Beschwerden in der Schwangerschaft, Stillproblemen und Hilfen im Wochenbett. Der Nachmittag ist mit Nachsorge ausgefüllt. Dazu kommen noch zweimal die Woche Vorbereitungs- und Rückbildungskurse am Abend.« Wenn eine Geburt ansteht, muss der Tagesplan geändert werden. Flexibilität ist in diesem Beruf gefragt.
Die 54-Jährige beklagt sich aber nicht, dafür liebt sie ihren Beruf viel zu sehr. Und diese positive Einstellung hilft ihr auch in schwierigen Zeiten. Dass ihr Berufsstand ernsthaft in Gefahr ist, mag sie nicht glauben. »Es wird für diese Haftpflicht-Problematik eine Lösung geben. Es muss eine Lösung geben.« Denn was wäre eine Gesellschaft ohne freiberufliche Hebammen – also ohne Hausgeburten, Geburtshäuser und Kliniken mit Beleghebammen? ka