Rund 15 Millionen Heimatvertriebene
Die Worte des Vizepräsidenten stimmten nachdenklich und erinnerten an das Schicksal der rund 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen, von denen etwa zwei Millionen bei Flucht, Vertreibung und Zwangsarbeit ums Leben gekommen waren. Für die meisten Bundesbürger sei es nicht mehr vorstellbar, innerhalb kürzester Frist seine Heimat mit 30 Kilogramm für immer verlassen zu müssen, sagte Knauer. Millionenfach sei dies vor 70 Jahren in Mitteleuropa Realität gewesen – und leider sei dies auch heute in vielen Teilen der Welt bittere Wahrheit.
Die Todesangst sei bei den Passagieren des 1945 sinkenden Kreuzfahrtschiffs »Wilhelm Gustloff« – bei dem Unglück waren über 9000 Menschen in der eisigen Ostsee ertrunken – genau so groß gewesen wie bei den Flüchtlingen heutzutage in den überfüllten und kenternden Schlauchbooten auf dem Mittelmeer. Aber der Vergleich, der die aktuelle Zuwanderung mit den ethnischen Säuberungen und dem Vertreibungsdruck der Nachkriegszeit gleichsetze, sei verletzend. Eine genaue Differenzierung zwischen den Opfern von Vertreibungen – gestern und heute – einerseits und denjenigen, die heute eine wirtschaftlich bedingte Migrationsentscheidung treffen andererseits, sei daher unerlässlich.
»Wer dieses missachtet, gefährdet die Akzeptanz für die echten Gewaltopfer und fördert Missbrauch«, zitierte Knauer Bundespräsident Joachim Gauck. Gerade in einer Zeit, in der Deutschland wie kaum ein anderes Land den wirklich politisch, religiös, ethnisch und aus sonstigen Gründen Verfolgten Asyl und Hilfe gewähre, müsse das Land aufpassen, dass dem Missbrauch nicht Tür und Tor geöffnet werde. »Wir wollen alle nicht, dass der 'nationalistische Ungeist' Wiederauferstehung feiert.«
Die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, Emilia Müller, erinnerte an das Leitwort, das sich die Heimatvertriebenen in ihrer Charta 1950 auferlegt hatten, nämlich für ein geeintes Europa einzutreten, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können. »Halten Sie an diesem Kurs fest. Bayern steht an Ihrer Seite.«
Zur Traunreuter Stadtgeschichte stellte sie heraus, dass die Region ohne die deutschen Heimatvertriebenen keinen so erfolgreichen Aufstieg seit der Nachkriegszeit hätte erleben können. Traumatisiert durch den Verlust der Heimat in Bayern angekommen und in schäbigen Baracken einer ehemaligen Munitionsfabrik untergebracht, hätten sie selbst mit angepackt und ihre Ideen, ihr Know-how und ihr Engagement eingebracht.
Die Gedenkstätte im Friedhof bezeichnete sie als wichtiges Zeichen, das nicht nur an die alte Heimat und Toten erinnere, sondern auch den Bogen zu denjenigen spanne, die nach der Vertreibung in Bayern wieder Fuß gefasst hätten. »Wir dürfen nie vergessen, was damals an Unrecht und Gräuel geschah«, sagte die Ministerin, die sich bei ihrem Besuch in Traunreut auch in das Goldene Buch der Stadt eintrug.
Walch würdigte das »Wunder von Traunreut«
Auch Landrat Siegfried Walch würdigte die Leistungen der Stadt Traunreut. Das »Wunder von Traunreut« sei gelungen durch den Fleiß der Vertriebenen, die unendlich viel geleistet hätten, betonte das Landkreisoberhaupt. Die weit über 80 verschiedenen Nationen, die in Traunreut leben, seien die Basis unserer Stadt, sagte Bürgermeister Klaus Ritter. Die Gedenkstätte mit ihrem mächtigen Holzkreuz und Gedenksteinen, die auf die Herkunftsorte der Kriegsflüchtlinge, Heimatvertriebenen oder Spätaussiedler hinweise, die nach Traunreut gekommen seien, sei ein Denkmal, in dem sich alle Völker Traunreuts wiederfänden, so der Bürgermeister.
Wie wiederholt berichtet, sind das Heimatkreuz und die Gedenksteine an den höchsten Punkt des Traunreuter Waldfriedhofs verlegt worden. Jedes einzelne Schicksal spiegle sich in diesem Kreuz, das auch ein Zeichen der Hoffnung sei, sagte die Ministerin bei der Einweihung im Vorfeld des Festakts. »Ich neige mein Haupt vor diesem Kreuz und all den Toten und Opfern der Flucht und Vertreibung.«
Über zwei Stunden dauerte der Festakt mit zahlreichen Ehrengästen, darunter Vertreter der Politik, Kirche und den Vertriebenen-Städten. Der Einmarsch der Fahnenordnungen und die bunten Trachten spiegelten die kulturelle und ländliche Vielfalt der alten Heimat der Landsmannschaften wider. Darunter mischten sich auch die Trachtler und die Blaskapelle aus Traunwalchen, die neben der Jugendtanzgruppe der Traunreuter Siebenbürger Sachsen und der Tanz- und Folklore-Ensembles Ihna und Leba Erlangen den Festakt mit ihren Auftritten bereicherten.
Kulturpreis für Folklore-Gruppen
Den mit insgesamt 2000 Euro dotierten Kulturpreis des Bundes der Vertriebenen erhielten heuer die beiden Erlanger Folklore-Ensembles Ihna und Leba. Die beiden bereits mehrfach ausgezeichneten Gruppen, die weltweit auftreten, seien besondere Botschafter der Pommerschen Kultur und Tradition, sagte Knauer.
Geehrt wurden unter anderem auch zwei Vertreter der Landsmannschaften im Landkreis Traunstein. Der Kreisobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Franz Jaksch aus Traunwalchen erhielt, die Goldene Ehrennadel des BdV-Bayern und der Vorsitzende des BdV-Kreisverbands Traunstein-Berchtesgadener Land, Ludwig Pagatsch, bekam die Silberne Ehrennadel. Beide übten ihre Ämter mit Herzblut und großem Engagement aus, lobte der Landesvorsitzende, der bei der am Vormittag stattgefundenen Landesversammlung erneut in seinem Amt bestätigt worden war.
Mit der gemeinsam gesungenen Bayernhymne und dem Deutschlandlied klang der Festakt aus. ga