Auf Anregung von Pfarrer Andreas Horn ist in Grassau das sogenannte »Frauentragen«, auch »Herberggehen« genannt, wieder eingeführt worden. Diesen, im bayerisch-österreichischen Alpenraum um 1910 erstmals schriftlich festgehaltenen und auch über weite Strecken im übrigen Chiemgau bekannten, Brauch übten und üben meist junge, aktive Mitglieder einer Pfarrgemeinde oder die Landjugend aus. Sie tragen ab dem ersten Advent eine Statue oder ein Bild der »hoffenden« Muttergottes durchs Dorf und machen bei interessierten Familien oder Einzelpersonen »Station«. Mit den Gastgebern zusammen werden in aller Regel adventliche Lieder gesungen, man betet miteinander und unterhält sich über wichtige Dinge des Lebens.
In einer Zeit wie der jetzigen, in der immer mehr Menschen drauf und dran sind zu vereinsamen, wo Gemeinschaft weithin klein geschrieben wird und immer mehr Menschen auf der Suche nach einer Bleibe Zuwendung und Zuspruch brauchen, soll das »Frauentragen« daran erinnern, dass auch Maria laut biblischen Berichten in den Tagen und Wochen vor der Geburt Christi unterwegs war, zunächst zu ihrer Base Elisabeth und schließlich nach Bethlehem, um dort Herberge zu nehmen.
Bild von der Herbergssuche oder der schwangeren Maria
Mancherorts wurde in den vergangenen Jahrzehnten auch ein Bild von Maria und Josef auf der Herbergssuche von Haus zu Haus getragen. In Grassau stellte Pfarrer Horn eine Skulptur der schwangeren Maria für das »Frauentragen« zur Verfügung, um Menschen, die sich in der Adventszeit einen lieben Besuch und Gemeinsamkeit wünschen, eine Freude zu machen. Interessierte, die einen solchen Besuch wünschen, können sich beim Pfarramt in eine Liste eintragen lassen.
Nachdem die Brauchausübenden das besuchte Haus verlassen haben, verbleibt die Marienstatue die ganze Nacht und den folgenden Tag über bei den Gastgebern und wird am Abend des darauffolgenden Tages von den Personen, die sich zum »Frauentragen« zur Verfügung gestellt haben, wieder abgeholt – wobei die neuen Gastgeber hier schon dabei sein sollten oder zumindest dabei sein könnten.
So wächst nach und nach eine schöne Gemeinschaft heran, die Maria auf ihrem Weg durch den Advent begleitet. Am Abend des 23. Dezember kehrt die Statue wieder in den Pfarrhof zurück, wo sie traditionsgemäß die Nacht auf den Heiligen Abend und natürlich auch die Zeit bis zum nächsten »Frauentragen« im Folgejahr verbringt.
So jedenfalls sagen es die nicht wenigen Berichte von Gewährspersonen, die sich intensiv mit dem weltlichen und religiösen Brauchtum regional und überregional befasst haben. Da ist wohl an erster Stelle die, vielfach deswegen ausgezeichnete, Traunsteiner Lehrertochter Franziska Hager zu nennen, die in ihren Aufzeichnungen festhält, dass der Brauch des »Herberggehens« oder »Frauentragens« überall bekannt war. Dabei beschreibt sie den Ablauf des Geschehens sehr anschaulich und gibt dazu auch an, welche Lieder im Hause der »Herbergseltern auf Zeit« gesungen werden.
Gleiches ist bei Paul Ernst Rattelmüller in dessen Buch »Bairisches Brauchtum im Jahreslauf« zu finden mit dem Hinweis, dass das »Frauentragen« so um 1985 wieder große Verbreitung gefunden habe. Rattelmüller war jahrzehntelang Heimatpfleger des Bezirks Oberbayern und als solcher intensiv mit dem gelebten Brauchtum befasst.
Für den engeren Einzugsbereich kann und darf man sich auf die Ausführungen des ehemaligen Pfarrers Heichele aus Kienberg stützen, der im Heimatbuch des Landkreises Traunstein unter der Rubrik »Kirchliches Brauchtum« das »Frauentragen« ausdrücklich erwähnt mit dem Hinweis, dass es vorwiegend die Landjugend sei, die sich diesem schönen Brauch in der Adventszeit widmet.
Für den Landkreis Berchtesgadener Land wird man im Buch »Sitt' und Brauch im Berchtesgadener Land« fündig, in dem sowohl ein »Aussenden« der »Frauenträger« am Samstag vor dem ersten Advent im Rahmen einer kleinen, kirchlichen Feierstunde erwähnt ist, wie auch eine Art Choreografie des ganzen Geschehens mitsamt Texten.
In Anbetracht der Tatsache, dass heutzutage Perchten- und Kramperlläufe, zuweilen mit St. Nikolaus als Randfigur, die Adventszeit für sich und ihre Schauläufe zu erobern versuchen, ist es durchaus angebracht, angestammtes und meist religiös motiviertes Brauchtum zu fördern und, wo möglich, neu zu beleben.
Übrigens: Die Teilnahme am »Frauentragen« ist selbstverständlich nicht von einer bestimmten konfessionellen Zugehörigkeit abhängig. fb