Wie alle anderen Geschädigten war die Dame aus Neuötting nicht in der Lage, in dem Prozess als Zeugin auszusagen. Zu groß wäre die nochmalige psychische Belastung gewesen. Ausnahmslos hatten die Opfer durch die Taten sehr gelitten an Ängsten, aber auch Schamgefühlen. Nachdem der 33-Jährige bei Verhandlungsauftakt ein volles Geständnis abgelegt hatte, konnte sich das Gericht mit Verlesen der Opferaussagen vor der Polizei behelfen. In jedem der Fälle begann alles mit dem Anruf eines »Keilers« aus der Türkei, der sich als »Polizist« ausgab, an einer Straße in der Nähe der Frauen seien Einbrecher erwischt worden. Sie hätten einen Zettel mit deren Personalien und deren Wohnanschrift dabei gehabt.
Der »Polizeibeamte« erkundigte sich nach den Wertsachen der Opfer, erlegte ihnen strengstens Stillschweigen auf und kündigte zum Beispiel einen »verdeckten Ermittler« an, der die Wertsachen abholen und sicher verwahren werde. Die verängstigte Frau in Neuötting legte Goldbarren, Goldmünzen, Goldschmuck, drei Brillantringe und 8300 Euro Bargeld in eine Tasche. Keine der Damen sah je etwas wieder.
Staatsanwalt Ferdinand Hohenleitner und seine Kollegin Pia Wilczek teilten sich das Plädoyer. Mit hoher krimineller Energie seien »gezielt alte Menschen unter Druck gesetzt und abgezockt« worden. Die Opfer hätten stundenlang, in einem Fall sogar drei Tage, Ängste um sich und ihre Angehörigen durchgemacht. Diese Form der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität mit Schockanrufen und falschen Polizisten habe in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Aus generalpräventiven Gründen müsse diesem Tun ein Riegel vorgeschoben werden. Eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten sei zu verhängen, so die Anklagevertreter.
Die Verteidiger, Dr. Kai Wagler aus München und Konstantin Matzner aus Mannheim, hoben vor allem den Wert des Geständnisses heraus. Über einen Fall, den ihr Mandant eingeräumt habe, sei die Polizei noch gar nicht informiert gewesen. Das rechtfertige – trotz vieler strafschärfender Gesichtspunkte – eine Strafrahmenverschiebung. Eine Haftstrafe von nicht mehr als sieben Jahren und sechs Monaten sei ausreichend. Im »letzten Wort« beteuerte der Angeklagte, sein Handeln bedauere er sehr.
Die Kammer habe das Geständnis des 33-Jährigen überprüft. Seine Schilderung habe sich bestätigt, stellte Vorsitzende Richterin Christina Braune in der Urteilsbegründung fest. Innerhalb der international agierenden Bande liege das Mitwirken des Angeklagten eher im unteren Bereich. Vor allem hochbetagte Frauen seien als Opfer ausgewählt worden. Die »Legenden« rund um die angeblichen Einbrecher seien angereichert worden mit weiteren Personen, darunter Bankmitarbeitern, denen man ebenfalls nicht trauen könne. Der 33-Jährige habe innerhalb der Bande zum Beispiel auf Übergabezeit und -ort keinen Einfluss gehabt, sei »kein großer Entscheider« gewesen, betonte Richterin Braune. Die Kammer habe jedoch keine Zweifel, dass er in groben Zügen von den Betrügereien gewusst habe.
In der Straffindung übernahm das Gericht Aspekte aus den Plädoyers. Die Kammer sehe das Geständnis »deutlich wertiger als die Staatsanwaltschaft«. Der 33-Jährige habe sich kooperativ verhalten und auf die persönlichen Aussagen der Opfer verzichtet.
Der Prozess sei verkürzt worden, den Opfern eine weitere Aussage erspart geblieben. Die Vorsitzende Richterin konstatierte weiter: »Aber auch ohne Geständnis hätte es zur Überführung des Täters gereicht.« Für den 33-Jährigen spreche des Weiteren seine Einsicht und Reue. Weder durch die so genannte »Kronzeugenregelung« noch durch einen »Täter-Opfer-Ausgleich« reiche es für eine Strafrahmenverschiebung. Bei der Schadenshöhe habe die Kammer Abstriche gemacht gegenüber der Anklageschrift. Der Grund: Bei Bargeld und Goldbarren sei es einfach, den Wert festzustellen, nicht aber bei Schmuck. Hier könne das Gericht nur auf die Opferangaben zurückgreifen.
Bei den negativen Punkten bezeichnete Richterin Braune den vorliegenden Fall als »eine der schäbigsten Formen des Betrugs«. Altersbedingt könnten sich diese Geschädigten nicht recht wehren. Schmerzlich sei zudem, den Familienschmuck oder etwas, was der verstorbene Ehemann geschenkt habe, zu verlieren. Ersparnisse könnten nicht wieder aufgebaut werden. Als gesetzlichen Wertersatz legte die siebte Strafkammer einen Betrag von über 156.000 Euro fest – was nicht der tatsächlichen Schadenshöhe entsprach, sondern dem, »was der Angeklagte tatsächlich in der Hand hatte«, wie es Staatsanwältin Pia Wilczek formulierte. In jenen Fällen, in denen der 33-Jährige als »Logistiker« fungierte, hatte er keinen direkten Kontakt zur Beute.
kd