»Letztlich zahlt jeder von uns den Schaden«

Traunstein – Ein neunfach vorbestrafter, 34-jähriger Raublinger beging unter Verwendung gefälschter Identitäten und Dokumente zahlreiche Straftaten im Internet mit fünfstelligem Schaden (wir berichteten). Häufig machte er dies auch von der Wohnung seiner früheren Freundin im Landkreis Mühldorf aus. Die Zweite Strafkammer am Landgericht Traunstein verhängte gegen den teilgeständigen Angeklagten wegen 81 Fällen verschiedenster Betrügereien eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten.


Knapp zwei Stunden hatte Oberstaatsanwalt Lukas Knorr von der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Zentralstelle Cybercrime Bayern, für das Verlesen der 40-seitigen Anklageschrift mit 120 Einzelkomplexen benötigt. Verteidiger Joachim Voigt aus Bamberg beantragte ein Verständigungsgespräch zur Strafhöhe im Fall eines Geständnisses. Die Kammer sagte eine Freiheitsstrafe zwischen vier Jahren neun Monaten und fünfeinhalb Jahren zu. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde etwa ein Drittel der Taten, die der 34-Jährige nicht begangen haben wollte, mit Blick auf das Gewicht der restlichen Fälle eingestellt.

Der Fall geriet durch Ausweise, die einem unbescholtenen Bürger abhandengekommen waren, ins Rollen. Polizeibeamte aus München stießen in einem Untergrundforum auf die dort zum Verkauf angebotenen Dokumente. Die Kripo Rosenheim startete intensive und langwierige Ermittlungen – mit Telefonüberwachungen, Wohnungsdurchsuchungen und Überprüfung von Rechnern des Angeklagten und weiterer Verdächtiger.

Falsche Ausweise oder Vollmachten vorgezeigt

Ein Kriminalbeamter erläuterte die Einzelheiten. Man habe bei dem 34-Jährigen eine Reihe falscher Dokumente gefunden, teils auf dem Tintenstrahldrucker hergestellt. Mit Hilfe solch falscher Identitäten habe der Angeklagte zum Beispiel Reisegutscheine erschlichen und Waren im Internet bestellt. Die Auslieferung erfolgte über Packstationen. Dort wurden beim Abholen ein falscher Ausweis oder eine Vollmacht präsentiert. Mittels fremder Namen buchte der 34-Jährige zum Beispiel Bayerntickets bei der Deutschen Bahn. Er täuschte unter anderem Banken und eine Führerscheinstelle. Dreistestes Delikt war nach Worten des Anklagevertreters als auch des Gerichts im Urteil, als Sozialhilfeempfänger »mit gutem Einkommen aus den Straftaten« unter anderem Namen nochmals Sozialhilfe zu beantragen. Die Zentralstelle Cybercrime Bayern übernahm später den umfangreichen Fall und erhob Anklage.

Über Verhaltensauffälligkeiten von Kindheit und Jugend an, über Heimaufenthalte und Sonderschule, aber auch einen in Bayern nicht anerkannten Realschulabschluss des Angeklagten in Schleswig-Holstein, informierte der psychiatrische Sachverständige, Oberarzt Rainer Gerth vom Bezirksklinikum in Gabersee. Drogenprobleme und erste Straftaten folgten. 2004 wanderte der durchaus intelligente 34-Jährige erstmals ins Gefängnis. Seither habe sich dieser nicht einmal drei Jahre in Freiheit befunden, betonte der Gutachter.

Seit der Jugend habe sich beim Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und narzisstischen Zügen entwickelt – allerdings nicht von Krankheitswert. Einsichts- und Steuerungsfähigkeit seien bei den Taten nicht eingeschränkt gewesen. Der Vorsitzende Richter Erich Fuchs warf ein, es sehe so aus, als ob sich der Angeklagte »seine eigene Welt« schaffe, in der er Bewunderung finde. Dem widersprach der Sachverständige nicht.

Oberstaatsanwalt Lukas zitierte den Angeklagten im Plädoyer auf fünfeinhalb Jahre Haft mit dem Satz: »Bezahlen ist ein Wort, das es in meinem Wortschatz nicht gibt.« Für den Angeklagten spreche seine problematische Entwicklung. Oft seien ihm die Taten leicht gemacht worden. Relativ früh habe er ein Teilgeständnis abgelegt. Negativ wirke sich aus, dass er aus Prunksucht viel Geld habe verdienen wollen, um davon nach Thailand und Italien zu reisen. Auch der hohe Schaden, die Vielzahl der Taten und die Vorahndungen müssten strafschärfend berücksichtigt werden.

Schaden überwiegend für Banken und Firmen

Verteidiger Joachim Voigt forderte, das Geständnis seines Mandanten müsse »etwas wert sein«. Dadurch seien viele Tage Hauptverhandlung erspart worden. Der Schaden von rund 40 000 Euro sei überwiegend Banken und Firmen entstanden. Zu bedenken seien die Persönlichkeitsstruktur des 34-Jährigen und die äußerst einfache Tatbegehung. Im Internet bestehe »generell eine geringe Hemmschwelle«. Vier Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe seien ausreichend.

Der Angeklagte sei im gesamten Bereich der Internet-Kriminalität, aber auch in anderen strafrechtlichen Bereichen tätig gewesen, hob der Vorsitzende Richter im Urteil heraus. Das Geständnis sei glaubhaft und bestätigt worden durch die Polizeizeugen.

Straferschwerend seien der hohe Schaden, die Vielzahl der Fälle und die enorm hohe kriminelle Energie. Der 34-Jährige sei nahezu täglich im Internet aktiv gewesen: »Es scheint fast ein Spielchen zu sein. Er versucht, einiges auszuloten, um künftig noch mehr Straftaten begehen zu können.« Zumeist handle es sich bei den Geschädigten um eine Bank oder eine Firma. Für viele Personen habe das aber viel Ärger gebracht. Die Schadenssumme gäben Banken und Firmen weiter an die Kunden. »Letztlich zahlt jeder von uns den Schaden«, so Fuchs. Der massiv vorbestrafte Angeklagte sei unbelehrbar: »Man hat den Eindruck, sie benötigen eine enge Struktur, um mit dem Leben zurechtzukommen. Vielleicht nützen Sie Ihre Fähigkeiten künftig zu vernünftigen und ehrlichen Dingen.« kd

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