Wenn vom altbayerischen Menschenschlag und seinen Charaktereigenschaften die Rede ist, dann kommt man schnell zum Thema Frömmigkeit und religiöses Frommenwesen. Es zieht sich wie ein roter Faden durch alle landeskundlichen Beschreibungen, angefangen von Johannes Thurmair (»Aventinus«) bis in unser Jahrhundert. Annette Thoma, die Mutter des geistlichen Volkslieds in Bayern, schreibt in ihrem Buch »Bei uns« darüber: Das im Bauern verkörperte Bayerntum macht nicht viele Worte. Doch äußert es sich in einer hör- und sichtbaren Lebensbejahung, im bunten Aufleuchten seiner Feste, im erfindungsreichen Scherz und Spiel wie in der glaubhaften Frömmigkeit seines Kults.
In der Gegenreformation, vor allem aber in der Zeit des Spätbarocks, waren es vor allem die Klöster, allen voran die Benediktiner, die mit ihrem »ora et labora« und den dadurch entstandenen, großartigen Kunstwerken versuchten, ein Stück Himmel und »das, was da kommen soll« bereits auf Erden bildhaft und greifbar darzustellen. Das »einfache Volk, sinnenfroh und begeisterungsfähig wie es war, wetteiferte denn auch alsbald mit seinen großen Baumeistern, Bildhauern und Freskanten. Von der Musik ganz zu schweigen.
Die drei großen kirchlichen Festkreise Ostern, Pfingsten, in erster Linie aber der Weihnachtsfestkreis wurden mit größter Prachtentfaltung gefeiert. Den kunstvoll aufgerichteten Heiligen Gräbern und den im vorigen Jahrhundert zum »Schauspektakel« ausgeprägten Fronleichnamsprozessionen und Wallfahrten stand der Weihnachtsfestkreis in nichts nach.
Das Christkind, Mittelpunkt des ganzen Geschehens, eingehüllt in ein goldbortenbesetztes Tuch, ja sogar mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, sollte der Einfachheit und Anmut des bethlehemitischen Stalles entrissen und als Gottmensch in den Farben seines »Königtums« dargestellt und verherrlicht werden. In den sogenannten »Fatschenkindl« kam und kommt dieser Gedanke in wunderbarer Weise zum Ausdruck. »Fatschenkindl« sind wachsgegossene Jesuskinder, die nach Art der Wickelkinder vergangener Epochen ab der Schulterpartie »gefatscht«, das heißt eingewickelt waren (lateinisch fascia = Binde, Verband).
Um den früher aus Flachs und Stroh, heute meist aus anderen, dafür geeigneten Materialien bestehenden Korpus eines solchen »Jesuleins« wird – vereinfacht gesagt – eine durch Pappe verstärkte Stofftasche gebunden, die den lebensecht wirkenden Wachskopf mit den Füßen verbindet. Dem Ideenreichtum beim Verzieren des über Pappe ausgelegten Nesselstoffs sind keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil: Das Kostbarste ist gerade gut genug.
Mit Edelsteinen besetzt, mit Gold durchwirkt
Vom bäuerlich-schlichten »IHS-Motiv« auf Leinen bis hin zu edelsteinbesetzten, golddurchwirkten Textilfasern reicht die Palette künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten, Perlenbesatz eingeschlossen. Blumen und Rauten, Ährenbüschel, Trauben und Rocaillen aller Art und Größe, aus mühsam selbstgezogenem Gold- und Silberdraht gefertigt und filigran verarbeitet, sollen dem göttlichen Kind Glanz und Ausstrahlungskraft geben.
Bereits einem interessierten Laien dürfte nicht entgehen, dass die einzelnen Orden für »ihre Fatschenkindl« eigene Techniken im Wickeln der Gold- und Silberdrähte entwickelt hatten – als unverwechselbares Gütesiegel sozusagen. Dabei ist und bleibt das Wichtigste bei einem »Fatschenkindl« das Gesicht. Lebensecht, liebenswert, gütig und im wahrsten Sinne des Wortes »ansprechend« soll es sein und seine Augen, aus echtem Glas oder nur aufgemalt, sollen den Betrachter zum Beter, zum andächtig Verweilenden machen.
Die fromme Legende vom »Augustinerkindl«
Vom wohl bekanntesten »Fatschenkindl« im bayerischen Raum, dem sogenannten »Augustinerkindl«, ist diese Wirkung tausendfach überliefert. Es soll sich, so die fromme Legende, nachdem es auseinandergebrochen war, selbst wieder zusammengefügt haben, was ihm den Rang eines »Gnadenkindls« einbrachte. Dieses »Augustinerkindl« ist in der Bürgersaalkirche in München alljährlich von Weihnachten bis Mariä Lichtmess zu sehen. fb