Waldstück war Schauplatz eines »Gefechts«
Die Bedenken wurden nicht geringer, als man erst gegen 3 Uhr morgens am Harzhorn eintraf und vier Stunden später schon wieder der Wecker klingelte. Die Zeit drängte, denn um 10 Uhr vormittags hieß es »auf zum Gefecht«. Neben den Geschütznachbauten der Universitäten Osnabrück und Trier und der Bundeswehr-Universität Hamburg errichteten auch die Isinger Schüler ihr imposantes, knapp 200 Kilogramm schweres und 1,90 Meter hohes Feldgeschütz. Schauplatz war ein Waldstück, das von den Wissenschaftlern mit Bedacht ausgewählt worden war. Im einstigen Germanen-Land am Harzhorn fanden Archäologen und Sondengeher nämlich rund 1800 überwiegend militärische Fundstücke, die von einem blutigen Gefecht zwischen Germanen und Römern im Jahr 235 nach Christus zeugen. Mit vernichtendem und zweifelsohne traumatischem Ausgang für die kampferprobten und furchtlosen Germanen, denn der waffentechnischen Überlegenheit der Römer hatten sie letztendlich nichts entgegenzusetzen.
Doch warum konnte man rund 250 Jahre nach der für Rom so vernichtenden Varusschlacht nicht mehr von einem Duell auf Augenhöhe sprechen? Dieser Frage wollten die Wissenschaftler, Studenten und Schüler mit ihren nachgebauten Geschützen auf den Grund gehen. Als die ersten Geschosse im Blitzlichtgewitter der zahlreichen Medienvertreter mit geschätzten 250 km/h abflogen und sich mit roher Gewalt bis zu zehn Zentimeter in die Baumstämme bohrten, wurde den Isinger Schülern erst so richtig bewusst, welchen Albtraum die Germanen durchlebt haben mussten.
Die anwesenden Wissenschaftler um den provinzialrömischen Archäologen Günther Moosbauer mutmaßten, dass die damalige Schussentfernung bei 150 Metern gelegen haben dürfte. Zwei hintereinander stehende Germanen hätten mit einer einzigen Bolzenspitze durchbohrt werden können. Lehrer Altmann ist davon überzeugt, dass die Römer mit den Geschossen sogar Entfernungen von 300, vielleicht sogar 400 Metern überbrücken konnten. Dies wolle man zu einem späteren Zeitpunkt testen.
Mit ihrem besonders großen Geschütz erregten die Isinger sogar die Aufmerksamkeit des »Stern«, »Hamburger Abendblatts« und der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«. Auch der NDR und N24 griffen das Thema auf. Getoppt wurde dies noch durch ein Foto in der Onlineausgabe der »Washington Post«. Was für eine Überraschung, was für ein Riesenerfolg.
Mühevolle Kleinarbeit war nötig
Die Projekt-Idee sei bereits vor etwa einem Jahr gereift, erzählt Lehrer von Kiesling. Nach der theoretischen Vorarbeit, »haben wir vor etwas sechs Monaten mit der praktischen Arbeit begonnen«. Mangels Überlieferung musste das Geschütz aus den wenigen archäologisch belegten Teilen, darunter metallene Spannkammern und oberer Quertraverse, in mühevoller Kleinarbeit aus Eschenholz rekonstruiert werden. Planungszeichner Hans Berg hatte die Vorarbeit geleistet. Um das Projekt erfolgreich zu vollenden, waren technischer Sachverstand und handwerkliches Geschick genauso gefragt wie Kreativität, Fleiß und Ausdauer. »Meine Schüler haben freiwillig viel Freizeit geopfert«, lobte Altmann. Es sollte sich auszahlen. mmü