Die Impfpflicht, die ab dem 16. März greift, zwingt sie, neben erfahrenem Personal wohl auch Azubis ziehen zu lassen, die nicht geimpft sind. »Eine Pflicht ist immer der falsche Weg, man muss die Leute überzeugen«, ist sich Kretschmar sicher. Denn: »Pflichten führen immer zu Wut und Gegenwehr«, das sehe man nun auch am Aufschrei der vielen Betroffenen.
Dass die Impfpflicht für das Anwerben neuer Auszubildender ein Problem werden könnte, habe sie schon bei der Ausbildungsmesse im Herbst gemerkt. »Die Mädels, die sich für den Beruf interessieren, sind in der Regel minderjährig. Wenn die Eltern der Impfung nicht zustimmen – was häufiger vorkomme, als man denkt –, dann darf ich sie nicht einstellen.« Denn alle Neuverträge in den Bereichen, für die die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt, dürfen nach derzeitiger Gesetzeslage nur mit dem Nachweis über eine vollständige Covid-19-Impfung ausgestellt werden.
Als Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands Traunstein wurde sie schon von mehreren Praxen kontaktiert: »Wo können wir noch nach Personal oder Azubis suchen, wir finden niemanden. Keine Ahnung, ich kann mir ja auch keine MFA schnitzen.« Sie weiß das aus eigener Erfahrung. Normalerweise ist bei ihr der Vertrag für das kommende, neue Ausbildungsjahr im Januar bereits unterzeichnet. »Bisher habe ich keine einzige Bewerbung erhalten.«
Was Dr. Melanie Kretschmar am meisten stört: »Es wurde seitens der Politik zu wenig an die Konsequenzen gedacht. Wenn wir erfahrenes, aber ungeimpftes Personal freistellen müssen und gleichzeitig keine neuen Auszubildenden bekommen, weil die sich nicht impfen wollen oder dürfen, dann müssen wir das Leistungsangebot gezwungenermaßen herunterfahren.« In ihrer Praxis betrifft die Impfpflicht vier von elf Angestellten, die entweder noch ungeimpft sind oder deren Genesenenstatus zum Stichtag nicht mehr gilt. Muss sie das Angebot reduzieren, würden darunter vor allem die Patienten leiden.
Den Mangel an Auszubildenden kennt auch Sieglinde Flatscher, Praxismanagerin der Hausarztpraxis Sebastian Bähr in Ruhpolding und selbst seit 30 Jahren medizinische Fachangestellte. Auf der Internetseite der Praxis sind drei Stellenanzeigen ausgeschrieben: MFA in Voll- oder Teilzeit, MFA-Azubis, Hygienefachkraft in Voll- oder Teilzeit. »Wir haben seit zwei Jahren schon keine Bewerbung mehr für einen Auszubildenden bekommen und es sieht auch nicht so aus, als ob sich daran etwas ändert.« Bei der Berufsmesse im Herbst hat sie ähnliche Erfahrungen gemacht wie Kretschmar: Viele Interessenten, aber keine da-raus resultierenden Bewerbungen.
Allerdings sieht sie dafür jenseits der Impfpflicht noch weitere Gründe: »Für Männer ist die Ausbildung völlig uninteressant, man verdient einfach viel zu wenig, da kannst du keine Familie ernähren.« Zudem würden inzwischen Eltern ihren Kinder abraten, eine Ausbildung im medizinischen Bereich zu machen. »Die Eltern haben Angst, dass sich das Kind infiziert und dann Corona in die Familie einschleppt.« Die Impfpflicht sei da ein zusätzlicher Faktor.
Noch Hoffnung für das kommende Ausbildungsjahr hat man bei den Kliniken Südostbayern. Wie Unternehmenssprecher Ralf Reuter mitteilt, gab es laut Personalabteilung bei den Azubis noch keine Rückzieher. »Die nächsten Azubis werden ja erst im September beginnen und da liegt die Vermutung nahe, dass wohl erst einmal vorsichtiges Abwarten angesagt ist«, so Reuter. In der Berufsfachschule für Pflege gäbe es bei den Bewerbungen für die kommenden Ausbildungsplätze bisher auch keine Rückzieher.
vew