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»Niemand kann uns in Afghanistan Sicherheit geben«, sagt Haji Muhammad Defai beim Helferkreistreffen in Palling, zu dem über 350 Betroffene und Interessierte kamen.

»Ihr macht einen Aufstand der Empathie«

Palling – Der Frust unter den vielen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern nimmt angesichts des »bayerischen Sonderweges« in Sachen Integrationsgesetz zu. Die Helferkreise aus Trostberg und Palling haben aus diesem Grund ein überregionales Helferkreistreffen organisiert, zu dem über 350 Interessierte zum Michlwirt nach Palling kamen. Mit einem solchen Ansturm hatte das Organisationsteam nicht gerechnet. »Mir macht diese Veranstaltung Mut, es ist ein gigantisches Zeichen«, betont Marianne Penn, eine der Moderatorinnen des Abends.


Kritik an den Abschiebungen nach Afghanistan

Im Fokus standen die afghanischen Flüchtlinge, die laut Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge meist ins Heimatland oder per Dublin-Verfahren nach Bulgarien und Ungarn abgeschoben werden sollen. Dass Rückführungen stattfinden müssen, wenn die Situation in den Heimatländern geprüft wurde, waren sich die vielen Helfer einig – aber nicht nach Afghanistan, wo die Milizen der Taliban und des IS wieder auf dem Vormarsch sind, täglich über Bombenangriffe mit zahlreichen zivilen Opfern berichtet wird, kein soziales Netzwerk vorhanden ist und kaum medizinische Versorgung.

Wie sich die Situation in Afghanistan darstellt, berichteten Mariam Wahed (Afghanin, Frauenrechtlerin und Mitarbeiterin in einem Frankfurter Erstaufnahmelager), Knut Oelschig (Rechtsanwalt aus Traunstein) und Stephan Theo Reichel (Koordinator für Kirchenasyl der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern). Aber auch Arbeitgeber aus der Region kamen zu Wort sowie zahlreiche afghanische Flüchtlinge aus Trostberg, Palling, Tacherting, Emertsham und anderen Gemeinden.

Eindrücklich und emotional brachte es Mariam Wahed auf den Punkt: »Fast täglich gibt es Bombenangriffe in Afghanistan. Es gibt keine sicheren Gebiete. Es wird Schutz benötigt.« Bei ihren regelmäßigen Besuchen im Heimatland erlebt sie, wie gefährlich die Taliban und andere Terrorgruppen immer noch seien. Und in zahlreichen Gesprächen im Erstaufnahmelager werde sie mit dem Grauen des Terrors konfrontiert. Gefahr sieht sie vor allem für die Jugend, die im und mit dem Krieg aufwächst. Fundamentalisten würden ihnen falsche Wege aufzeigen. Dass Afghanistan gefährlich ist, bestätigten auch die anwesenden Afghanen Haji Muhammad Defai, Ershad Rezaie oder Hussain Alizadah, die in Trostberg ein neues Zuhause gefunden haben. »Niemand kann uns in Afghanistan Sicherheit geben«, betonten sie.

Rechtsanwalt Knut Oelschig, der viele Asylbewerber betreut, ging auf die rechtliche Situation ein. Seiner Ansicht nach sollte den Berichten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) gefolgt und den afghanischen Flüchtlingen wenigstens subsidiär Schutz gewährt werden. Er klagte zudem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an, das seiner Ansicht nach nicht an den Geschichten der Geflüchteten interessiert sei. Bei den Befragungen werde strikt nach dem vorgegebenen Fragenkatalog vorgegangen. Weitere Ausführungen seien nicht relevant, so Oelschig. Anschließend sei im Bescheid zu lesen, dass die Ausführungen nicht detailreich genug gewesen seien.

Stephan Theo Reichelt, Koordinator für Kirchenasyl der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, lobte das Engagement der Helferkreise. »Ihr macht einen Aufstand der Empathie. Damit wird nicht gerechnet.« Die Kirche gebe den Flüchtlingen viel Hoffnung. Derzeit seien in den evangelischen Kirchen Bayerns etwa 90 Personen im Kirchenasyl. In den katholischen Kirchen dürften es ebenso viele sein. Im Jahr 2016 haben sich etwa 500 Personen im Kirchenasyl befunden, hauptsächlich Afghanen. Kirchenasyl werde nicht leichtfertig vergeben, so Reichelt. Es müsse Gefahr für Leib und Leben bestehen. Bei Afghanen könne man mit Fug und Recht behaupten, dass dem so sei.

Anerkennungsquote auf unter 50 Prozent drücken

Bis vor einem Jahr sei die Anerkennungsquote von Afghanen noch bei 80 Prozent gelegen, so Reichelt. Als skandalös bezeichnet er die Anweisung des Innenministeriums an das BAMF, die Anerkennungsquote auf unter 50 Prozent zu drücken. Derzeit seien etwa 19 000 Afghanen in Deutschland von der Abschiebung ins Heimatland bedroht, 12 000 seien laut Bescheid abschiebefähig.

Rudi und Marianne Trinkberger beschäftigen drei Flüchtlinge in ihrem Gastronomie-Betrieb in Palling. »Am Anfang hatten wir viel Arbeit mit ihnen, weil sie die Sprache nicht konnten. Aber jetzt sprechen sie schon recht gut deutsch. Es wäre sehr schade, wenn uns diese Leute wieder genommen würden. Wir müssen auf die Leute bauen, die wir vor Ort haben.« Nachwuchs werde in der Gastronomie dringend benötigt.

Karin Scholz, Geschäftsführerin des beruflichen Fortbildungszentrums der Bayerischen Wirtschaft (BfZ) in Traunstein, berichtete über die Ausbildungssituation dort. Vor kurzem haben sich die Modalitäten bei der Ausbildungsgenehmigung geändert. Zwischen Unterschrift zur Ausbildung und deren Beginn dürfen nun nur noch drei Monate liegen. Eine Einstiegsqualifizierung werde nicht mehr angerechnet und sei bedeutungslos. In ihrer Klasse seien 30 Schüler, davon aktuell 16 aus den Ländern Afghanistan, Gambia, Somalia und anderen Ländern von Abschiebung bedroht. Hier sei man bemüht, dass sie so schnell wie möglich eine Ausbildung beginnen können. Viel Geld sei über Jahre für die teils unbegleitet minderjährigen Flüchtlinge ausgegeben worden. Dass sie jetzt wieder ins Heimatland gehen sollen, verstehe sie nicht: »Das ist mir persönlich zuwider.«

Wortmeldungen aus dem Publikum

Gerhard Auer aus Burghausen findet es erschreckend, wie die Politik mit Helfern und Helferkreisen umgehe. Es werde so viel Engagement gezeigt, die Kritik jedoch werde nicht einmal wahrgenommen. »Es ist eine Missachtung von uns allen.« Alfons Ernst aus Traunreut schlägt vor, sich weiter zu engagieren. Ein Vorschlag ist, eine Unterschriftenliste gegen die Abschiebungen zu initiieren, möglichst bayernweit. In Palling wurde dafür der Anfang gemacht. Elke Neubauer aus Fridolfing regt einen symbolischen Streik an.

Ramin Nazari aus Afghanistan und Mehdi Skeff aus dem Libanon, beide 12 Jahre, belastet die Situation sehr. Sie haben ihre Ängste und Befürchtungen in einem Rap zusammengefasst, den sie in Palling präsentierten. »Hier rappe ich nun für euch mit meinem Herz und mit meinem Kopf. Ich will, dass es in meinem Land keinen Krieg mehr gibt. Und dass durch den Krieg und die Schmerzen alles zu Ende geht. Ich will, dass dort alle Kinder in die Schule gehen können und wenn sie groß sind, dort arbeiten können. Und nicht Terroristen werden müssen. Wir müssen alle aufstehen und Schluss machen mit dem Krieg und den Schmerzen, und ein neues Leben anfangen. Wir wollen nicht mehr das viele Blut und die ganzen toten Menschen sehen. Deshalb sind wir nach Europa und Deutschland gereist. Aber jetzt in Deutschland werden wir abgeschoben. Ich bitte alle Menschen in Deutschland, uns zu helfen und uns nicht zurück zu schicken zu Schmerzen und Krieg....« fb

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