Mit seinen großen dunklen Augen schickt es dann noch eine Botschaft hinterher: Eine Flasche mit der guten Bio-Ziegenmilch wäre jetzt genau das Richtige. Mit kräftigem Schmatzen saugt das neue Familienmitglied der Hornbergers in Nullkommanix einen halben Liter der kraftspendenden Flüssigkeit weg.
Dass »Bambi« heute so unbekümmert mit den Men-schen umhertollt, sich streicheln lässt, alles neugierig beschnuppert und schließlich mit seinem neuen Spielkameraden »Gypsi«, einem Kamerunschaf, schmust, ist einer Reihe von glücklichen Zufällen zu verdanken. »Das Leben von 'Bambi' stand auf Messers Schneide«, erinnert sich Peter Hornberger.
Ein weiß gepunkteter Rücken im hohen Gras
Als Jagdberechtigter im Gebiet Grabenstätt Süd fand er das neugeborene Hirschkalb Mitte Juni in einer Wiese unweit eines größeren Hofes. »Ich habe gerade eine mähbereite Wiese auf der Suche nach versteckten Rehkitzen durchstreift, als mir im kniehohen Gras der weiß gepunktete Rücken ins Auge gefallen ist«, erzählt er.
Es war ganz ungewöhnlich, dass das Hirschkalb ausgerechnet im Gras lag, weil das Rotwild seine Jungen normalerweise im Wald absetzt«, sagt sich Peter Hornberger. Möglicherweise handelte es sich um eine Sturzgeburt. Schnell war klar, dass das Neugeborene bei Tagestemperaturen von 30 Grad nicht lange überleben würde: Mit verschmiertem Fell und Nabelschnur, eingefallenen Läufen und matten Augen konnte es sich kaum auf den Beinen halten und litt unter Wassermangel. Ein Versuch, das Tier im Wald erneut Kontakt zur Hirschkuh finden zu lassen, wurde nach kurzer Zeit wieder abgebrochen.
»Im Gegensatz zum Rehwild, das Einzelgänger ist, lebt das Rotwild in einem sehr engen Herdenverbund, was die Aufzucht natürlich sehr viel aufwändiger macht«, sagt Jäger Hornberger. In der ganzen Region sei seit Jahrzehnten kein vergleichbarer Fall bekannt. Trotzdem gingen Hornberger, seine Frau Sabine und Tochter Kerstin (12) das Wagnis ein, das Kalb aufzuziehen.
Gute Tipps zu Besonderheiten bei der Aufzucht gab der Verein Rehkitzhilfe aus dem niederrheinischen Kleve. »Ich musste in kürzester Zeit entscheiden, ob ich tatsächlich Ersatzmutter für Bambi sein wollte«, berichtet Sabine Hornberger. Mit allen Konsequenzen: Anfangs musste sie dem anhänglichen Tier alle zwei Stunden die Flasche mit Ziegenmilch geben. »Wenn ich mal kurz weg war und 'Bambi' mich nicht roch, wurde sie schon unruhig«.
So gab es auch kuriose Szenen: »Bambi« begleitete – von Passanten bestaunt – Sabine und Kerstin morgens im Auto zur Schule, verbrachte im Frisörgeschäft der Hornbergers ein paar Stunden auf der Inkontinenzdecke und freundete sich zu Hause sogar mit der Jagdhündin »Bella« an. »Über Wochen blieb der Fernseher aus und wir spielten im Beisein von 'Bambi' Spiele, was unserer Familie gut getan hat«, berichtet Sabine Hornberger.
Wie schnell es sprinten kann, bewies das Hirschkalb im Garten und bei Spaziergängen. »Es war kurios, dass 'Bambi' anfangs sogar Angst vor dem Wald hatte. Sie tobte sich aus, kam aber spätestens nach 100 Metern wieder zurück. Berührend war die Szene, wie sie sich beim Suhlen in einer Schlammpfütze im Wald quasi selbst entdeckt hat.«
Ein Schaf als Spielkamerad
Inzwischen sind gut neun Wochen vergangen und das 34 Kilo schwere Kraftpaket braucht ein neues Zuhause mit mehr Auslauf und Grünfutter. Fündig wurde Peter Hornberger auf einem großen Hof bei Grabenstätt. Seit einigen Tagen ist Bambi dort in einem ehemaligen Eselstall mit einem 500 Quadratmeter großen Freigelände untergebracht, das extra eingezäunt worden ist. Mit von der Partie ist das junge Kamerunschaf »Gypsi« von einem Schafzüchter aus Vachendorf. »Als Herdentier braucht 'Bambi' unbedingt Gesellschaft«, erläutert Peter Hornberger. Beide sind bereits ein Herz und eine Seele.
Wie es weitergeht, ist noch offen: »Jetzt bringen wir Bambi erstmal über den Winter. Wenn im nächsten Jahr die Brunftzeit beginnt, sehen wir weiter«, sagt Peter Hornberger. eff