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Lange haben sie Einkommensverluste aus Berufsethos schweigend hingenommen. Jetzt aber machen die Traunsteiner Hausärzte mit einer jeweils einwöchigen Praxisschließung in der letzten Woche der ersten drei Quartale auf ihre Sorgen und Nöte, aber auch auf die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit aufmerksam. Foto: dpa

Hausärzte protestieren gegen mangelnde Wertschätzung

In Traunstein werden heuer nicht alle Praxen in der jeweils letzten Woche der ersten drei Quartale geöffnet sein


Traunstein – Jeder Handwerker schlägt die Inflation auf seine Kunden um – Hausärzte dürfen das nicht. Auch wenn sie nicht streiken dürfen, sehen sich die Traunsteiner Hausärzte gezwungen, mit einer Schließung ihrer Praxen in der jeweils letzten Woche der drei ersten Quartale dieses Jahres auf ihre deutlichen Einkommenseinbußen hinzuweisen, die längst weit über die Inflation hinausgehen.

»Natürlich sind nie alle Praxen gleichzeitig geschlossen, sondern jeweils nur ein Drittel, die anderen vertreten einander«, sagt dazu die Sprecherin des Traunsteiner Ärztevereins, Eva Greipel. Für die Aktion gebe es viele Gründe, zuletzt sei das Fass einfach übergelaufen.

»Auf Probleme aufmerksam machen müssen wir«

»Streiken dürfen wir ja nicht, aber auf unsere Probleme aufmerksam machen müssen wir, wenn das System nicht kollabieren soll.« Dabei werde eine geschlossene Woche gar nicht reichen, um die überbordende Bürokratie abzubauen, die inzwischen aufgelaufen sei. »Theoretisch müssten wir vier Wochen zu machen, damit das Verhältnis stimmt.«

»In der Pandemie wurden weit über 90 Prozent der Patienten von Hausärzten versorgt«, erklärt Greipel. »Vier von fünf Anliegen der Patienten werden generell beim Hausarzt diagnostiziert und abschließend behandelt.« Hausärzte seien das Fundament der Gesundheitsversorgung, würden aber als solche weder gesehen noch geschätzt.

»Wenn wir nicht da sind, läuft nichts«, sagt Greipel. »Unser Aufgabenspektrum reicht von der Krankmeldung über den verstauchten Knöchel, die Voruntersuchungen und Nachsorge sowie Medikamentenverschreibung bei Operationen, über ungeklärte Brustschmerzen und Rezepte für alles Mögliche bis zum grippalen Infekt. Das lässt sich beliebig fortsetzen.« Bei gesetzlich Versicherten gebe es einen Geldtopf, über den Hausärzte Leistungen nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abrechnen können. Dabei seien aber zum Beispiel Langzeit-Behandlungen so schlecht vergütet, »dass dieser Topf gar nicht leer werden kann, egal, wie viel wir arbeiten«.

Mehr noch: »Wenn wir 'zu viel arbeiten', fordert die Kassenärztliche Vereinigung Geld zurück.« Nur dem Berufsethos der Hausärzte sei es zu verdanken, dass sie jetzt erstmals laut ihre Rechte einforderten. »Die Missachtung zieht sich ja schon über Jahre.«

»Was unzureichend bezahlt wird, sind Dinge wie Medikamentenpläne erstellen oder die Kommunikation mit Kliniken, Angehörigen und Pflegeheimen, die Versorgungskoordination und die Bürokratie.« Das sei aber alles wichtig für den Patienten, »damit nicht der eine Facharzt dies verschreibt, der andere das und es zu gefährlichen Wechselwirkungen kommt«, so Greipel. »Wir müssen weg von der quartalsmäßigen Abrechnung. Die Patientenversorgung während des ganzen Jahres muss gerecht vergütet werden«.

Dabei fehle nicht nur die Wertschätzung für die Ärzte, sondern auch für die Teams. »Unsere Medizinischen Fachangestellten (MFA) sind super aus- und weitergebildet, nehmen Blut ab, schreiben EKGs, testen die Lungenfunktion, die stemmen das alles im Hintergrund und versuchen sich Zeit zu nehmen, spenden Trost und leisten emotionale Hilfe, wo es nur geht. Sie werden aber von Politik und Kassen komplett ignoriert«, sagt Greipel: »Ein Corona-Bonus für sie wurde vom Bundesgesundheitsministerium explizit abgelehnt«.

Ihre Gehälter seien in den letzten Jahren zwar völlig zu Recht gestiegen, »aber verdienen würden sie erstens noch viel mehr und zweitens wird das von den Kassen nicht refinanziert. Das tragen komplett die Hausärzte als Arbeitgeber«. Trotz der enormen Inflation erhalte der gesamte Bereich der niedergelassenen Ärzte heuer nur zwei Prozent mehr. »Das ist ein Fehler im System«, moniert Greipel. Dagegen würden gestiegene Gehälter in den Kliniken schon refinanziert. »Dort verdienen medizinische Fachangestellte mehr. Sie werden auch gern genommen, weil sie top ausgebildete Leute sind. Und wir niedergelassenen Ärzte schauen auf dem Arbeitsmarkt in die Röhre.«

Absurde Vorschläge zur Notfallversorgung

Auch bei der Reform der Notfallversorgung seien »völlig absurde Vorschläge« gekommen – in der Kommission dafür seien nur die Krankenhausgesellschaften vertreten gewesen, nicht aber diejenigen, die einen Großteil der Akut- und Notfallversorgung leisten, nämlich die Hausärzte.

Bei Privatpatienten sei die Gebührenordnung zuletzt 1996 geändert worden. »Seit fast 30 Jahren verdienen wir das Gleiche, aber die Kosten haben sich in dieser Zeit verdoppelt.« Zudem sei die Gebührenordnung sehr techniklastig – gut bezahlt würden zwar EKG, Lungenfunktion, Labor oder Ultraschall, das Gespräch mit dem Patienten – »das A und O jeder Behandlung« –, abtasten oder abhören seien aber schlecht bewertet.

Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, Kosten sinnvoll zu reduzieren. »Früher hat man bei Erkältung Mama oder Oma gefragt, heute geht man zum Arzt«, sagt Greipel als Beispiel mangelnder Gesundheitskompetenz von Teilen der Bevölkerung. Auch die hochgelobte freie Arztwahl verursache immense Kosten: »Heute kann sich jeder mit der Chipkarte Termine bei so vielen Fachärzten machen, wie er mag, ohne zuvor den Hausarzt zu konsultieren. Das bedeutet oft doppelte und dreifache Untersuchungen. Das ist eine Riesengeldverschwendung.«

Dagegen hilft auch die geplante Einführung der elektronischen Patientenakte nicht wirklich, denn die Handhabung ist so, wie derzeit geplant, völlig unpraktikabel – von ungeklärten Fragen des Datenschutzes ganz abgesehen.

Hausärzte seien im Übrigen ebenfalls Fachärzte – für Allgemeinmedizin. »Wir sind Fachärzte für den gesamten Menschen.« Und auch, wenn sie und ihre Mitarbeiterinnen Kontrollen nach Operationen, Wundversorgungen oder Labor – wie von Fachgebietsärzten angefordert – quasi »on top« machten, »mache ich das gern, einfach, damit da nichts medizinisch aus dem Ruder läuft.«

»Wozu brauchen wir 100 Krankenkassen?«

Ein weiteres Problem sei die Vielzahl der Krankenkassen samt Aufsichtsräten und Verwaltungen, »aber wozu brauchen wir 100 Kassen?« Würde man deren Zahl reduzieren, würden aber wohl viele Leute mit Geld und Macht Geld und Macht verlieren. »Da wird das Geld mit beiden Händen zum Fenster rausgeschmissen«, findet nicht nur Greipel. Auf die lange Sicht sei eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens, auch des ambulanten Sektors, unerlässlich.

Das Traunsteiner Tagblatt hat beim Bundesgesundheitsministerium nachgefragt. Bis zum Redaktionsschluss für diese Ausgabe waren jedoch keine Antworten der Behörde in der Redaktion eingetroffen. coho

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