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Wie es sich anfühlt, die Kartoffeln wie früher mit eigenen Händen aufzusammeln, lernten diese Erntehelfer kennen. Stolz trugen sie die per Hand geernteten Erdäpfel zum Sammelplatz. (Foto: Rasch)

»Es hat richtig Spaß gemacht«

Traunreut – Jetzt wissen auch die minderjährigen Flüchtlinge, die seit Anfang September in der Carl-Orff-Schule in Traunwalchen leben, über die Kartoffelernte in ihrer neuen Heimat Bescheid: Mit vereinten Kräften ernteten sie im Rahmen des »Polletzky-Projekts« gemeinsam mit Traunwalchner Kindern und deren Eltern auch zwei »Ackerl« Biokartoffeln ab und lernten, wie es sich anfühlt, die Kartoffeln wie früher mit eigenen Händen vom Acker aufzusammeln.


»Very hard«, meinten sie und lachten. Umso begeisterter waren sie von der Erntemaschine: »Good, good, good«, schwärmte ein 15-jähriger Eritreer und grinste übers ganze Gesicht. Jeweils zwei durften auf dem Vollernter mitfahren. Aber auch hier hieß es anpacken und kleine Steine und Erdklumpen von den Kartoffeln zu trennen. Bei der verdienten Kaffeepause waren sich alle Erntehelfer einig: »Es hat richtig Spaß gemacht.«

»Sie waren sehr fleißig«, bestätigte Germain Bennett von der Jugendhilfe »Jonathan« seinen Schützlingen. Bennett, der mit einem Kollegen die jungen Flüchtlinge in Traunwalchen betreut, ist um jede Unterstützung froh. Es soll aber nichts übers Knie gebrochen werden. Es sei wichtig, dass die Jugendlichen zunächst zur Ruhe kommen. »Sie alle haben Fluchterlebnisse zu bewältigen und haben kaum oder gar keinen Kontakt zu ihren Familien.«

Die Anregung, die jungen Flüchtlinge bei der Ernte mit ins Boot zu nehmen, kam von den Initiatoren des Gemeinschaftsprojekts »Polletzky-Kartoffeln – Qualität aus der Region« (wir berichteten). Fünf Landwirte haben heuer zum sechsten Mal auf einer etwa zwei Tagwerk großen Anbaufläche Kartoffeln angebaut. Der Gewinn aus der Ernte wird einem sozialen Zweck zugeführt. Unter anderem haben der Traunwalchner Kindergarten, in Not geratene Traunwalchner Familien und das Kinderheim St. Josef in Traunstein von dem Gewinn aus der Ernte, die heuer bei 10 Tonnen liegt, bereits profitiert. Seit letztem Jahr bauen die jungen Landwirte auch Zuckermais an. Spaziergänger oder Radfahrer können sich für einen kleinen Obolus, der ebenfalls in den Spendentopf fließt, mit dem süßen, kaliumreichen Getreide eindecken.

Das »Polletzky-Kartoffelprojekt« hat heuer auch beim Zukunftswettbewerb des Bayerischen Bauernverbandes in der Kategorie »Soziales Engagement« den Sonderpreis gewonnen. Der Wettbewerb richtet sich an engagierte Bäuerinnen und Bauern, die pfiffige, zukunftsstarke Betriebskonzepte umsetzen, Betriebe, die das Leben im Dorf bereichern, ihre Heimat mit gestalten gemäß dem BBV-Motto »Landwirt-schaf(f)t Heimat« und damit das Image der Landwirtschaft in der Gesellschaft verbessern. Die Idee, die jungen Neubürger mit ins Boot zu nehmen, verträgt sich insofern hervorragend mit dem BBV-Motto.

Die Jugendlichen, die sich nach Angaben von Bennett in Traunwalchen in der kurzen Zeit gut eingelebt haben und sich sehr wohl fühlen, entdecken ihre neue Heimat und werden in das Dorfleben integriert. Wie für alle Schulkinder beginnt auch für die jungen Flüchtlinge nächste Woche der »Ernst des Lebens«. »Am Montag geht es richtig los mit dem Deutschunterricht. Mit dem Ziel, eine Regelschule zu besuchen oder in Ausbildung zu gehen«, erklärte Bennett. Gegenüber dem Traunsteiner Tagblatt lobte er über die von »Jonathan« als Schulprojekt deklarierte Kartoffelernte hinaus allgemeine Hilfsbereitschaft der Traunwalchner. Leute hätten Zwetschgen vorbeigebracht, die dann auch gleich zum Datschi verarbeitet worden seien. Einige der Jugendlichen seien auch schon beim Fußballtraining gewesen.

Die ausschließlich männlichen Jugendlichen müssen aber auch mit einer für sie völlig neuen Kultur vertraut gemacht werden und dabei neue Regeln lernen. Das betrifft beispielsweise das Fahrradfahren und die damit einhergehende Verkehrsordnung. »Eine Kollegin ist mit einigen schon durch das Dorf geradelt und hat ihnen erklärt, welche Vorschriften sie beachten müssen«, so Bennett.

Die Hilfsbereitschaft muss aber auch koordiniert werden. Ansprechpartnerin des Traunwalchner Helferkreises ist Karin Reiter. Über die Biebingerin können die Kontakte hergestellt werden. Der Helferkreis ist unter anderem bemüht, die Unterkunft in der Carl-Orff-Grundschule noch etwas gemütlicher zu gestalten. Geplant ist auch eine Bergwanderung.

Zurück zur Kartoffelernte: Viele schaulustige Autofahrer und Radfahrer verfolgten den Ernteeinsatz an der alten Frühlinger Straße. Eltern mit Kindern schauten vorbei und wer wollte, durfte auch mithelfen. Das Einbringen der Ernte war zwar an einem Tag geschafft. Die eigentliche »Knochenarbeit« steht aber noch bevor. In circa zwei Wochen geht es ans Sortieren und Einsacken. »Dann dürft ihr wieder kommen, wenn ihr wollt«, sagte Frank Janetzky, dessen Mitstreiter auch eine besondere Leidenschaft zu Oldtimer-Traktoren verbindet. So wird auch heuer wieder die bestellte Ernte mit einem 16 PS starken Schlepper der Marke Eicher aus den 1950er Jahren an die Kunden im Dorf ausgefahren. ga

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