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Foto: dpa

»Enkelin« schrie »Opa, hilf mir«

In Angst und Schrecken um Familienangehörige versetzte eine Bande aus Polen 2021 vor allem ältere Menschen, um von ihnen hohe Geldsummen zu erpressen. Mit einer 38-Jährigen aus Frankfurt steht seit Dienstag eine Logistikerin aus der gleichen Organisation vor der Zweiten Strafkammer am Landgericht Traunstein. Im August 2022 hatte die Siebte Strafkammer bereits gegen drei Männer und eine Frau aus derselben Bande hohe Haftstrafen verhängt. Der Haupttäter musste für zehn Jahre und acht Monate ins Gefängnis. Einige der damals abgeurteilten Taten liegen auch der jetzigen Angeklagten zur Last.


Der schon bestrafte 24-Jährige war laut Traunsteiner Urteil der lokale Organisator der Betrügerbande. Während »falsche Polizisten« zumeist von der Türkei aus gesteuert werden, bildet Polen das Zentrum für »Schockanrufe«, wie eine Kripobeamtin nun vor der Zweiten Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Volker Ziegler erklärte. Beide Formen von »Legendenbetrug« mit erfundenen Schauergeschichten erlebten aktuell eine Hochzeit. Dazu die Kriminalhauptkommissarin: »Schockanrufe überrollen uns derzeit und breiten sich immer mehr aus. Es vergeht kaum ein Tag ohne solche Anrufe. Durchschnittlich registrieren wir zwei pro Tag. Dabei ist die Dunkelziffer hoch. Wir haben wöchentlich Festnahmen. Der angerichtete Schaden geht in die Millionen.«

Die Täter setzten auf das Schockmoment und versuchten, »den Verstand der Angerufenen auszuschalten«, berichtete die Kripobeamtin. Die Opfer folgten den Anweisungen »wie paralysiert«. Die Geschädigten litten lange insbesondere unter der Scham, auf so ein Delikt hereingefallen zu sein.

Die Ermittlerin erläuterte, wie man der Bande auf die Spur gekommen war. Über eine Abholung in Übersee am 10. Juni 2021 sei man auf ein polnisches Handy gestoßen. Etwa zwei Wochen später habe man festgestellt, dass sich das schon von der Polizei überwachte Mobiltelefon auf der Strecke von Nürnberg Richtung Rosenheim bewegt habe. Das Fahrzeug sei observiert worden. Den Abholer habe man auf frischer Tat ertappt und zusammen mit seinem Begleitteam am 23. Juni 2021 in Rosenheim festgenommen. Wegen unterschiedlich vieler Fälle erhielten diese Mittäter von der Siebten Strafkammer Freiheitsstrafen von siebeneinhalb, fünf sowie vier Jahren acht Monaten.

Mit der 38-Jährigen sitzt jetzt ein mutmaßlich weiteres Bandenmitglied auf der Anklagebank. Die Analphabetin, deren vier Kinder in staatliche Obhut genommen wurden, soll von Frankfurt aus andere Taten koordiniert und selbst einige Male als Abholerin fungiert haben. Staatsanwältin Sabine Grossmann und Staatsanwalt Dr. Gregor Stallinger werfen ihr neun-fachen vollendeten beziehungsweise versuchten banden- und gewerbsmäßigen Betrug vor.

Die Anklageschrift umfasst neun Fälle zwischen Anfang April und Ende Juli 2021. Die Tatorte waren neben Übersee, Rosenheim und Bad Wörishofen im Süden Deutschlands zum Beispiel auch Bruchsal, Darmstadt, Kaiserslautern und Offenbach. Die Schadenssumme lag insgesamt bei rund 140.000 Euro. Ein »Keiler« aus Polen hatte jeweils angerufen und schreckliche Lügengeschichten erzählt. Schrille Schreie wie »Opa, hilf mir« und lautes Weinen vorgeblicher naher Angehöriger in höchster Not verstärkten den psychischen Druck. Die »Enkelin« oder die »Tochter« habe einen schweren Verkehrsunfall verursacht, bei dem eine Frau gestorben sei, und befinde sich in einer Klinik. Ein »Staatsanwalt« zum Beispiel gab vor, die »Enkelin« könne gegen eine hohe Kaution vor dem Gefängnis bewahrt werden. Weitere Personen wie ein »Krankenhausarzt« oder eine »Polizeimeisterin aus Ingolstadt« wurden vorgegaukelt, wenn der Druck auf die Opfer noch erhöht werden sollte.

Die 38-Jährige stand zu einigen der Vorwürfe. Sie sei bei der Fahrt nach Süddeutschland dabei gewesen, könne sich aber an die Orte nicht erinnern. Später habe sie sich losgesagt von den Mittätern.

Einige der Geschädigten werden am zweiten Verhandlungstag, 23. März, ihre Erlebnisse schildern. 

kd

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