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Noch arbeitet Kurt Nayder, der zusammen mit seiner Ehefrau Lisi Nayder-Höflinger das Sägewerk betreibt, an der Maschine. Doch bald wird hier Schluss sein. Auf dem Areal soll ein Campingplatz entstehen. (Foto: Ostermaier)

Ende eines Wirtschaftszweiges: Das letzte Sägewerk schließt

Reit im Winkl. Noch stapeln sich neben der Entfeldener Straße auf Paletten akkurat aufgeschichtet die frisch geschnittenen Bretter, noch wuchtet der Greifarm des Lastkrans schwere Fichtenstämme auf eine Fräsmaschine, um die Wurzelstöcke zu entfernen. Noch arbeitet die Gattersäge, die diese Rundhölzer minutenschnell in »sägeraue« Bretter zerteilt. Noch. Bald aber schon wird hier im weitläufigen Areal dieses traditionsreichen Betriebs im Reit im Winkler Ortsteil Entfelden kaum mehr etwas auf dieses Sägewerk hindeuten.


EU-Auflagen machen Betreibern zu schaffen

Die derzeitigen Betreiber, Lisi Nayder-Höflinger (43) und ihr Ehemann Kurt Nayder (44), werden den Betrieb, die »Neubauer Säge«, wie sie dem Hausnamen nach heißt, stilllegen. Zu viele fatale Veränderungen in den vergangenen Jahren haben sie zu diesem Schritt gezwungen. Damit stirbt das letzte Sägewerk im Bergort und damit auch der letzte Zeuge eines Erwerbszweiges, der in den vergangenen Jahrhunderten die wichtigste Einkommensquelle von Reit im Winkl bildete: die Holzwirtschaft. Und es ist nur konsequent, dass anstelle der Holzverarbeitung künftig auch diese Fläche von 16 000 Quadratmetern rein touristisch genutzt wird. Ein Campingplatz mit über 100 Stellplätze soll den Planungen zufolge östlich des Ortszentrums entstehen. Der Gemeinderat stimmte in seiner jüngsten Sitzung dieser Umwandlung bereits zu (wir berichteten).

Es fällt Lisi Nayder-Höflinger, die das 1873 gegründete Sägewerk von ihrem Vater übernommen hat, nicht leicht, über die Ursachen der unfreiwilligen Betriebsaufgabe zu reden: Immer wieder unterbricht sie das Gespräch und wischt sich Tränen von der Wange. So haben dem Sägewerk neue EU-Auflagen zu schaffen gemacht. Diese sahen vor, dass bestimmte Holzprodukte künftig nur kammergetrocknet verkauft werden dürfen. »Eine Trocknungskammer kostet uns bis 100 000 Euro«, sagt sie, »unmöglich.«

Immer schwerer sei es geworden, genügend Rohware zu erhalten und dies zu einem akzeptablen Preis. Zudem seien immer höhere Transportkosten angefallen. »Wir können mit großen Sägewerken einfach nicht konkurrieren«, räumt die gelernte Holzbearbeitungsmechanikerin ein.

Und dies, obwohl das Sägewerk für die Anforderungen der Gegenwart gut gerüstet schien: Bis zu 12 000 Festmeter an Rohholz wurden vor fünf Jahren noch geschnitten, in diesem Jahr werden es allerdings nur noch 5000 Meter werden, schätzt Kurt Nayder, seit 20 Jahren ist das Werk die berufliche Heimat des gelernten Mechanikers.

Einen wesentlichen Grund für diesen eklatanten Rückgang sieht Franz Dieterich, Beirat und Sprecher der bayerischen Holz- und Kunststoffindustrie für Südostbayern, in der Politik der Bayerischen Staatsforsten. Diese weisen den kleinen »Säglern« eine bestimmte Holzmenge zu, von diesen Kontingenten müssen sie weitgehend leben. Allerdings hätten die Bayerischen Staatsforsten 2004 einen Vertrag mit einem in Landsberg ansässigen Großbetrieb geschlossen und diesem dabei Konditionen eingeräumt, die kleinen Sägewerken in den Ruin treiben würde.

Heimatforscher Höflinger arbeitet an Dokumentation

Müssten herkömmliche Sägewerke derzeit etwa 100 Euro je Festmeter bezahlen, würden dem Landsberger Werk nur 60 Euro in Rechnung gestellt. »Und dies in unglaublich großen Mengen«, so Dieterich, der in Ramsau ein Sägewerk betreibt und bis November 2011 der Rosenheimer Holzbörse vorstand. »Die kleinen Betriebe werden sehr unregelmäßig beliefert: Mal bekommen sie wenig, dann über Monate gar nichts und schließlich so viel, dass man es kaum bezahlen kann«, ärgert sich der Diplomingenieur.

Mit der Spezialisierung auf Dachlatten hätte der Reit im Winkler Betrieb eigentlich eine Nische gefunden, die das Überleben hätte sichern können, meint Dieterich, stattdessen wuchsen dort aber die Verbindlichkeiten. »Aber wo sollen die Leute künftig hingehen, wenn zum Beispiel Zimmerer schnell einen Ersatzbalken brauchen oder die Maurer eine Holzverschalung?«, fragt sich Kurt Nayder und schüttelt den Kopf.

Dass mit der Neubauer Säge das letzte Sägewerk in Reit im Winkl schließen muss, wundert Franz Höflinger nicht. Der ehemalige Geschäftsführer der Gemeinde hat sich seit Jahrzehnten schon dem Forschen in der örtlichen Kulturgeschichte verschrieben. Ende Oktober soll seine Dokumentation: »Die Reit im Winkler Sägewerke« fertig sein. 15 Sägewerke waren im Ort bekannt, das erste war mit dem »Penzmüller« schon 1721 urkundlich erwähnt worden. Seither war die vielfältige Holzarbeit die vorherrschende, ja das beinahe einzige Berufsspektrum im Bergdorf: Es gab die »Sagler« in den Sägewerken, im Wald die Holzknechte, die Fuhrleute oder das Heer der »Kulturer«, die sich um die Waldpflege bemühten. Aber im Verlaufe des 20. Jahrhunderts löste der Tourismus in einem schleichenden Prozess die Holzberufe immer mehr ab.

Diesen jahrzehntelangen Prozess von der Holzwirtschaft zum Tourismus schließt also jetzt die Stilllegung des letzten noch aktiven Sägewerks ab. Im kommenden Jahr schon sollen nach dem Willen der Eheleute Nayder-Höflinger Camper dort ihren Urlaub verbringen, wo bis jetzt akkurat frisch geschnittene Bretter auf Paletten lagerten. »Alles hat seine Zeit«, sagt Heimatforscher Franz Höflinger. Mit diesem Satz schließt auch seine Schrift über die Reit im Winkler Sägewerke – ein großes Stück Heimatgeschichte. ost

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