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Ernst Lahner mit den beiden Tagebuchbänden von Rupert Berger. (Foto: Oberkandler)
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Rupert Berger diente in der Kaiserlichen Marine und war von 1946 bis 1952 Oberbürgermeister von Traunstein.

Ein Traunsteiner bei der Kaiserlichen Marine

Traunstein – Historiker, Politiker und Generäle: Das sind in aller Regel jene, die erzählen und aufschreiben, was später in Geschichtsbüchern steht. Relativ selten dagegen kommt es vor, dass zum Beispiel ein einfacher Soldat seine Kriegserlebnisse niederschreibt. Insofern ist es ein Glücksfall, dass das Tagebuch des Matrosen Rupert Berger aufgetaucht ist und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Berger diente in der Kaiserlichen Marine und erlebte den Ersten Weltkrieg auf hoher See mit.


Er war unter anderem bei der Seeschlacht vor dem Skagerrak dabei und schildert in seinem Tagebuch detailliert seinen Alltag in der Kriegsflotte bis hin zum Ende des Kaiserreichs und zu den Wirren der Räterepublik. Ernst Lahner aus Traunstein ist es zu verdanken, dass das handgeschriebene Tagebuch von Rupert Berger – der 1946 nicht nur zum Oberbürgermeister von Traunstein, sondern auch in den Bayerischen Landtag gewählt wurde – nun in Kleinstauflage in gedruckter Form erschienen ist.

Lahner, der selbst von 1961 bis 1963 bei der Bundesmarine war, hat das in Sütterlinschrift verfasste Tagebuch in die heutige Schrift übertragen und digitalisiert. An Rupert Bergers Aufzeichnungen kam er per Zufall: Das Ehepaar Göttlicher lebte im Haus gegenüber Lahners Wohnung an der Traunsteiner Bahnhofstraße. Bei einer Begegnung erzählte Lahner, dass er bei der Bundesmarine war. Und da berichtete ihm Inge Göttlicher, dass auch ihr Vater in der Kaiserlichen Marine gedient habe.

Lahner, Mitglied der Marinekameradschaften Traunstein und Salzburg, erzählte, er würde sich aus historischer Sicht besonders für die Seeschlacht am Skagerrak interessieren. »Bei der war mein Vater dabei«, erzählte die im Jahr 2013 verstorbene Inge Göttlicher. Und sie holte das Tagebuch ihres Vaters. Lahner bekam Kopien der Passage über die große Seeschlacht in Bergers Aufzeichnungen.

Nach dem Tod des Ehepaars Göttlicher erinnerte sich dessen einzige Tochter Nicoletta an das Interesse Lahners an den Aufzeichnungen ihres Großvaters und stellte sie ihm zur Verfügung. Das Ergebnis sind nun zwei dicke Bände. Die erste Hälfte besteht jeweils aus Faksimileabdrucken des Tagebuch-Originals und die zweite aus der Übertragung in Druckschrift. Lahner hat viel Zeit und Herzblut in das Projekt gesteckt.

Eindrücke aus fernen Ländern

All jene, die sich weniger für Seeschlachten und Kriegsgeschichte interessieren, sondern mehr für Reisen und für ferne Länder, werden mit Interesse den ersten Teil des Tagebuchs lesen. Berger beschreibt darin, wie er als junger Marinesoldat während der Ausbildungszeit über die Meere fuhr und fremde Länder kennenlernte. Seine Beschreibung von Land und Leuten, von Tier- und Pflanzenwelt gibt tiefe Einblicke in das Denken eines jungen Menschen vor mehr als 100 Jahren.

Den Beginn seines Abenteuers Marine beschreibt Berger mit den ersten Sätzen seines Tagebuches wie folgt: »Am 15. April 1913 nachmittags 4 h entführte mich das Dampfroß meinem lieben, teuren Chiemgau, um mich an meinen neuen Bestimmungsort, Wilhelmshaven, zu bringen. Nach 16-stündiger Fahrt erreichten wir Wilhelmshaven, den zweitgrößten Kriegshafen des deutschen Reiches, wo wir von unserm ehemaligen Korporalschaftsführer in Empfang genommen und auf dem nächsten Weg an Bord der S.M.S Vineta geführt wurden.«

Die ersten Ausfahrten auf der Ostsee und vor allem die Landgänge beschreibt Berger genau; als erstes Zoppot, ein »herrlicher Badeort von ungefähr 14 000 Einwohnern«. Am nächsten Tag »brachte uns das Dampfroß nach der alten Hansestadt Danzig«. Ausführlich beschreibt er die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Glücksburg, Göteborg, Borkum, Helgoland und Wilhelmshaven waren die nächsten Stationen. Von dort stach man Richtung Spanien in See, ankerte im Hafen von Ferrol. Seine ersten Eindrücke dort schildert Berger wie folgt:

»Auf einem Platz standen mehrere spanische Matrosen, welche uns sehr freundlich grüßten. Sie haben nämlich einen gewaltigen Respekt vor den Alemani grandi, der, wenn es nötig ist, ihnen von Zeit zu Zeit wieder beigebracht wird. Wohin wir auch unsere Schritte lenkten, überall wurden wir von einer Menge bettelnder, kleiner Bürschchen verfolgt und man hörte nichts wie 'una cigaret' und 'una peseta', und nur wenn ein Polizist mit dem gefürchteten Gummiknüppel nahte, waren sie für einen Augenblick, aber auch nur für einen Augenblick, hinter den Ecken, Türen und Nischen verschwunden, um dann wieder dem Bettel zu erliegen.«

Man muss diese Aussagen aus damaliger Sicht betrachten, um sie zu verstehen. Es beeindruckt tief, wie Spanien auf den jungen Mann aus dem Chiemgau wirkte. Aber Berger beschrieb nicht nur Land, Leute und Sehenswürdigkeiten; er hatte auch einen aufmerksamen Blick für die Natur. So beginnt er die Schilderung der fünftägigen Fahrt von Ferrol nach Santa Cruz wie folgt:

Fliegende Fische fielen aufs Deck

»Ganze Schwärme Delphine und Fliegende Fische kreuzten unseren Kurs. Von letzteren fielen viele bei uns aufs Deck. Wir sammelten sie, stopften sie aus und trockneten sie dann, um sie als Andenken mit nach Hause zu nehmen. Aber ich glaube, daß dies nicht einem geglückt ist.

Abends betrachtete ich mir immer das Meeresleuchten, das nirgends so schön sein soll wie hier in der Spanischen See. Am Sonntag, dem 25. nachmittags wurde ich aus dem Schlafe geweckt, der Pico de Tenerife war zu sehen. Erst nur verschwommen, trat er immer klarer aus dem Wasser heraus und bald war die ganze Insel zu sehen. Der Anker war bereits gefallen, der Donner des Saluts hatte sich an den hohen Bergen gebrochen, aber noch immer konnte ich mich nicht von dem schönen Bild trennen, das die Stadt und die Insel mit ihren schroffen Bergen darbot.«

Nächste Stationen der Reise waren Las Palmas und Porto Grande und schließlich die Überfahrt nach Brasilien mit einer detaillierten Beschreibung der sogenannten Linientaufe. Erstes Ziel war der Hafen von Santos, wo Berger unter anderem das Verladen von Bananen auf Frachtschiffe beobachtete und seine Nachforschungen dazu so beschrieb:

»Die Schiffe übernahmen fast ausschließlich Kaffee und Südfrüchte, besonders Bananen. Der Kaffee wird mit maschinellem Betrieb übernommen und für jeden Sack, der den Kai passiert, muß an die Stadt Santos, dem Bundesstaat Sao Paolo und an Brasilien eine bestimmte Abgabe entrichtet werden. Besonders willige Abnehmer für Bananen waren meinen Beobachtungen nach die Franzosen. Für die Fracht der Bananen gibt es eigene Dampfer. Diese nehmen die Bananen im grünen Zustand an Bord. Hier haben sie eigene Aufförderungsvorrichtungen. Während der Überfahrt werden die Bananen reif. Würde man reife Bananen an Bord nehmen, so würden sie, bis sie nach Europa kämen, verfaulen.«

Betrachtungen über Brasilien und die Brasilianer

Hier unkommentiert die Betrachtung Bergers über Brasilien und die Brasilianer: »Der Brasilianer ist ein Franzosenfreund, alles was der Franzose tut und macht, äfft er ihm nach. Für ihn ist Frankreich das zivilisierteste Land und alles, was der Franzose macht, ist schön und wert, gegen jeden Franzosen hat er die unbegrenzteste Hochachtung. Der Deutsche ist zwar auch sehr geachtet, er weiß, dass er ein guter Kolonist, Steuerzahler und Handwerker ist. Er spricht mit Achtung von der deutschen Wissenschaft und Industrie, ja ich habe sogar gesehen, dass in Santos alle Lokomotiven Münchner Fabrikats sind und ebenso alle Klaviere, die ich zu Gesicht bekam. Aber trotzdem will der Brasilianer vom Deutschen nicht viel wissen. Unter Deutschland stellt er sich ein Land vor, das von Militärlasten fast zu Tode gedrückt wird und dessen Volk geknechtet wird. Wenn er einen Deutschen sieht, würde er am liebsten die Faust ballen, aber er getraut es sich nicht, denn er fürchtet die Deutschen.«

Nächstes Ziel war Rio des Janeiro. »Schon von weitem zeigte uns der Zuckerhut an, dass wir uns dem größten Hafen der Welt nähern.« Dieses Zitat steht auf Seite 36 des 200 Seiten umfassenden, ersten Bands von Rupert Berger. Es würde den Rahmen dieses Berichts bei Weitem sprengen, hier noch weitere Beispiele seiner Beobachtungen anzuführen.

Wer sich jedoch dafür interessiert, der erfährt demnächst in unserer Wochenendbeilage »Chiemgaublätter« mehr über die Aufzeichnungen des späteren Traunsteiner Oberbürgermeisters. Klaus Oberkandler

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