Kommt wegen Nebels oder Sturm kein Hubschrauber durch oder ist die Einsatzstelle nicht per Geländefahrzeug erreichbar, vervielfacht sich der Zeit-, Personal- und Materialaufwand schnell. »Was sonst fliegerisch nur ein bis zwei Stunden dauert, wird bei schlechtem Wetter rasch zu einer sehr komplexen und langwierigen Rettungsaktion – wie in alten Zeiten, als die Bergretter generell zu Fuß auf- und absteigen mussten«, so Lang. Die Zahl der Einsätze hängt vor allem vom Wetter während der Haupturlaubszeiten und davon ab, ob es einen schneereichen Winter gab, da dann allgemein mehr Leute unterwegs sind und die Bergwacht in den Skigebieten viel mehr Arbeit hat.
Sehr viele Suchen und nächtliche Rettungen
2015 war vor allem geprägt von ungewöhnlich vielen und zum Teil auch sehr aufwändigen, oft tagelangen Suchen und vielen nächtlichen Rettungen für Verstiegene in Bergnot. Das lag in erster Linie am anhaltend schönen und milden Wetter im Sommer und Herbst, durch das besonders viele Menschen in den Bergen unterwegs waren. Weiter halfen die Bergwachten auch bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Freilassing mit, sicherten den G 7-Gipfel in Elmau mit ab und waren mit Schulungen und Tests zur Einführung des Digitalfunks gefordert.
Außergewöhnliche Einsätze waren eine sehr aufwändige Suche nach einem tödlich abgestürzten Wanderer im Gebiet der Wimbachschneid, ein massiver Felssturz mit zwei Schwerverletzten in der Watzmann-Ostwand, ein tödlicher Absturz in den Vorderen Schwarzachen bei Weißbach an der Alpenstraße, ein tödlicher Absturz bei der Blaueis-Umrahmung, ein 50-Meter-Absturz mit einem schwer verletzten Jugendlichen an der Schärtenspitze, ein schwerer Gleitschirmabsturz am Zwiesel und ein tödlicher Absturz am Mooslahnerkopf.
Weiter beschäftigten die Bergwachtler ein Vegetationsbrand an der Schärtenwand, eine tagelange Suchaktion nach einem tödlich abgestürzten Wanderer beim Röthbach-Wasserfall, ein tödlicher Höhlenunfall im Untersberg, ein tödlicher Absturz auf der Südseite des Hochstaufens, eine nächtliche Rettung ohne Hubschrauber für einen Schwerverletzten auf der Wasseralm in der Röth, die nächtliche Rettung von 14 indonesischen Studenten vom Watzmann, mehrere Skitouren-Notfälle auf der Großen Reibe rund um den Königssee, zwei Skitouren-Unfälle mit Verletzten am Hohen Göll und am Predigtstuhl und eine sehr aufwändige Rettung dreier bei Sturm und einem Meter tiefen Neuschnee verirrter junger Männer am Geigelstein.
14 Menschen starben im Jahr 2015 am Berg
2015 gab es 14 Bergtote in den Berchtesgadener und Chiemgauer Alpen; 2014 waren es 17. »Das sind regionale Schwankungen, die einfach davon abhängen, wie viele Leute unterwegs sind. Bayernweit blieb die Zahl aber mit rund 80 bis 100 Toten jährlich während der letzten Jahre ziemlich konstant«, erklärt Lang weiter.
Unter den 993 (2014: 890) Einsätzen waren 342 (268) beim Skifahren, 202 (163) beim Bergsteigen, 190 (187) beim Wandern, 65 (83) beim Snowboarden, 64 (33) Sucheinsätze, 54 (46) sonstige Einsätze, zum Beispiel Arbeitsunfälle, 43 (44) beim Klettern, 32 (23) beim Bergradeln, 20 (9) bei Skitouren, 14 (13) beim Gleitschirmfliegen, jeweils 11 (14) beim Langlaufen und beim Rodeln (1), 3 beim Drachenfliegen (4), 3 (3) Lawineneinsätze, 2 beim Höhlenbegehen (13 Einsatztage am Untersberg und im Tennengebirge), 2 (0) beim Schneeschuhwandern und jeweils 1 (0) beim Eisklettern und beim Berglaufen (2). Beim Canyoning (1) und beim Skispringen (0) ist 2015 nichts passiert. Es gab auch keine Katastrophen-Einsätze (wie Hochwasser oder Waldbrand).
»Die Zahl der Einsätze ist vor allem vom Wetter in Kombination mit dem Tourismus abhängig. Ist zur Ferienzeit gutes Bergwetter, dann sind auch mehr Leute unterwegs – und wo mehr los ist, passiert in der Regel auch mehr«, erklärt Thomas Küblbeck, Regionaleiter der Bergwacht Chiemgau. Die Anzahl der Einsätze zeige aber nur teilweise den tatsächlichen Aufwand. »Wir müssen immer mehr üben, da die Einsätze zusehends schwieriger und komplexer werden, was auch am veränderten Freizeitverhalten liegt. Früher war vor allem im Winter bei schlechten Verhältnissen kaum jemand am Berg unterwegs, heute sind wir das ganze Jahr über, auch oft in der Nacht gefordert«, sagt Küblbeck.
Viele Bergsteiger erwarteten heute, dass trotz schwierigen Geländes und schlechten Wetters Hilfe genauso schnell ankommt wie im Tal. Diesem Anspruch könne man aber trotz moderner Technik und bester Ausbildung nur bedingt gerecht werden.
Nach der Strukturreform mit vier Einsatzleitbereichen und einem Netz aus ehrenamtlichen Einsatzleitern, die über vier Einsatzleitfahrzeuge verfügen, arbeitet die Bergwacht Chiemgau trotz ihres ehrenamtlichen Charakters stetig professioneller. Spezialisierte Gruppen stehen zusätzlich zur Rettung aus wasserführenden Schluchten bereit (Canyon-Rettung), kümmern sich um die psychische Betreuung von Betroffenen nach schweren Bergunfällen (Kriseninterventionsdienst) oder bilden Suchhunde für Lawineneinsätze aus. Die Bergwacht Freilassing ist auch Bergrettungswache für Höhlenrettung und deckt den südostbayerischen Raum bis Rosenheim und das Salzburger Grenzgebiet zusammen mit der Salzburger Höhlenrettung ab.
Notärztliche Versorgung in jedem Gelände
Ziel der Bergwacht war es in den vergangenen Jahren auch, in jedem Gelände die notärztliche Versorgung sicherzustellen, auch wenn kein Hubschrauber fliegen kann. Dafür wurde eine kompakte Ausbildungsreihe konzipiert, die die reguläre Notarztausbildung mit der Bergwachtausbildung ergänzt; mittlerweile ist die Region Chiemgau gut mit Bergwacht-Notärzten und Sanitätern versorgt. ml